Medikamente Mangelware? Wie die Produktion nach Europa geholt werden könnte

Fiebersaft für Kinder, Tamoxifan als Brustkrebsmedikament: Lieferengpässe bei den verschiedensten Medikamenten zeigen die Probleme der Abhängigkeit von Asien.

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(Bild: Moment/Getty Images)

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Von
  • Susanne Donner
Inhaltsverzeichnis

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SARS-CoV-2 hat uns eindringlich die Fragilität der globalen Pharmaproduktion vor Augen geführt. Bis heute weiten sich Lieferengpässe aus. Ob das Brustkrebsmedikament Tamoxifen, Fiebersaft für Kinder oder nun das Schlaganfallmedikament Actilyse – die Mangelwirtschaft ist im Westen neues Leid für Patienten und Apotheker. Lieferketten, einst just in time ein Räderwerk der Effizienz, stocken heute immer wieder. Ursache sind Flaschenhälse in der Produktionskette. Ein Wirkstoff oder ein Vorprodukt stammt manchmal nur noch aus einem einzigen Werk weltweit. Kann diese Fabrik nicht liefern, ist die weltweite Versorgung in Gefahr.

Würde ein Bakterium die nächste Pandemie auslösen, wären die Folgen vielleicht noch verheerender als während der aktuellen Viruspandemie: Die Infizierten würden massenhaft Antibiotika brauchen, weltweit. Aber 90 Prozent der Antibiotika kommen aus Asien. "Wir hätten es extrem schwer gehabt, unseren Arzneibedarf zu decken, wenn aus Ländern wie China und Indien bei enormem Eigenbedarf womöglich nichts mehr exportiert hätte werden können", sagt Matthias Braun, bis Mai 2022 Geschäftsführer Pharmazeutische Produktion und Fertigung von Sanofi in Deutschland. Die globale Arbeitsspezialisierung und Monopolbildung sind vor allem eins: profitabel. Krisenfest sind sie dagegen definitiv nicht. Im Zuge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2021 kündigte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor diesem Hintergrund die Rückholung der Produktion wichtiger Arzneistoffe nach Europa an.

Passiert ist seitdem nicht viel. Die Produktion von Arzneistoffen verlagert sich seit Langem und weiterhin unaufhaltsam ostwärts. Die Zahl der Produzenten in der EU schrumpft seit Jahren. Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge ist die Zahl der Pharmaunternehmen in China von 2010 bis 2018 jedes Jahr um 1,3 Prozent gewachsen. In Europa samt der Schweiz schrumpfte sie im selben Zeitraum um 0,8 Prozent pro Jahr. Nahezu alle Generika, also jene Arzneien, deren Patente ausgelaufen sind und die günstig verkauft werden, kommen aus China und Indien. Diese Medikamente sind die medizinische Grundversorgung, etwa Präparate gegen Fieber, Kopfschmerzen und Grippe. Lässt sich ein solcher Trend, der den enormen Triebkräften der Marktwirtschaft unterliegt, brechen? Lässt sich die Pharmaproduktion deglobalisieren?

Über Rohstoffe und De-Globalisierung:

Shenzhen, Hafen von Yantian

(Bild: zhangyang13576997233 / Shutterstock.com)

Die vergangenen Monate haben schmerzlich gezeigt, dass die Abhängigkeit von Ressourcen einen hohen Preis hat. Doch lässt sich das Rad noch zurückdrehen? Werfen wir also einen Blick auf die Versorgungslage. Wie weit sich Europa mit strategisch wichtigen Rohstoffen selbst versorgen könnte und was das für die Industrie bedeutet, wollen wir mit einer Rohstoff-Artikelserie erkunden.

Die Gründe für das Abwandern der Pharmaproduktion nach Asien sind trivial, wie das Beispiel der Allerweltsarznei Paracetamol zeigt: Vor über 15 Jahren stiegen chinesische Fabrikanten in die Nitrophenolproduktion ein. Nitrophenol ist giftig und steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Wie immer waren die Auflagen für Umwelt- und Arbeitsschutz im Umgang mit der Chemikalie in China verglichen mit der EU ungehörig niedrig, die Löhne ebenso. Nitrophenol ist aber der Grundstoff, aus dem Paracetamol hergestellt wird. Europäische Unternehmen kauften alsbald günstig und gerne ihr Nitrophenol in China, erhöhte das doch ihre eigene Gewinnmarge. Noch heute heißt es in der hiesigen Pharmabranche: Der Gewinn liegt im Einkauf. Einzig der Preis entscheidet, strategische und moralische Beweggründe spielen praktisch keine Rolle. Da für die Herstellung von Paracetamol kein dezidiertes Pharmawissen notwendig ist, sondern das Molekül in zwei Reaktionsschritten großtechnisch hergestellt wird, verlegten sich bald auch chinesische Hersteller darauf, das Schmerzmittel selbst zu erzeugen.

"Diese Leute haben dann europäische Hersteller mit niedrigen Preisen systematisch aus dem Markt geboxt und dann die Preise angehoben", erzählt Sanofi-Manager Braun. Von 120.000 Tonnen weltweit benötigtem Paracetamol kommen heute zwei Drittel aus China und Indien. Die Türkei und die USA teilen sich die übrigen Kapazitäten.

Dieser Text stammt aus: MIT Technology Review 7/2022

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Wenige Euro kostet das Kilogramm Paracetamol, das wichtigste Medikament bei Fieber und Schmerzen, das seit 1977 auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation steht. "Es ist ein Wettlauf nach unten", quittiert Braun. "In China baut man solche Fabriken zehnmal so groß wie hier und hat 1,5 Milliarden Menschen, die das Medikament selbst brauchen." Es klingt nach einer unverrückbaren Tatsache: Paracetamol aus Europa – das geht eben nicht mehr.

Die Rohstoffe für die Medikamentenherstellung werden vollautomatisch eingewogen und in Sammelbehälter befördert. In der Freiburger High-Containment-Fabrik hat jeder Produktionsschritt seinen eigenen Raum.

(Bild: Pfizer)

Die französische Regierung sieht das anders und versucht derzeit mit einem staatlichen Kraftakt, die Paracetamol-Produktion wiederzubeleben. 2013 schloss dort das letzte europäische Werk in Roussillon südlich von Lyon. Mittlerweile haben sich andere Firmen auf dem Gelände angesiedelt. Doch der einstige Fabrikant, heute Seqens, ist noch da.

Und so soll Seqens mit zusätzlichen 30 Millionen Euro aus Paris eine neue Paracetamol-Fabrik errichten. Schon ab 2023 sollen in Roussillon 10.000 Tonnen des Wirkstoffes entstehen – umweltfreundlich, nach einem neuen, CO2-reduzierten und inzwischen patentierten Verfahren. Ein Drittel des europäischen Bedarfes soll die Produktionsstätte decken. Seqens selbst tätigt eigenen Angaben zufolge mit 100 Millionen Euro die größte Investition seiner Geschichte.

Das Projekt in Roussillon ist nur das i-Tüpfelchen eines gigantischen staatlichen Reindustrialisierungsprogramms des französischen Staates. Seqens soll insgesamt zwölf Wirkstoffe, darunter das wichtige Betäubungsmittel Propofol, wieder auf französischem Boden erzeugen. Ob die Medikamente "Made in France" mehr kosten werden, wenn erst einmal die staatliche Anschubfinanzierung vorbei ist, ist noch offen. Das Paracetamol werden jedenfalls die französischen Medikamentenhersteller Sanofi und UPSA abnehmen; entsprechende Kooperationsverträge sollen schon unterschrieben sein.

Ist der Wirkstoff fertig hergestellt, bringt eine Tablettenpresse das Medikament in die gewünschte Form. Da die Presse nicht in den Produktionsprozess eines Wirkstoffes integriert ist, sondern separat steht, kann sie für unterschiedliche Medikamente verwendet werden.

(Bild: Pfizer)

In den Nachbarländern wird die französische zentralistische Wiederbelebungskampagne skeptisch verfolgt. Eine Produktion, die tot ist, zu revitalisieren, erfordert eine Investition von Jahren, nicht von Monaten. "Man kann das machen. Aber ohne den Staat würde das nicht passieren", sagt Axel Glatz, Werksleiter einer neuen Pfizer-Arzneimittelfabrik in Freiburg. Es ist eine Frage der strategischen Bedeutung von medizinischer Grundversorgung. Der US-Konzern verfolgt eine andere Strategie, um auch in Europa zu produzieren. "Die Schlüssel sind Innovation, Automation, Digitalisierung, sehr gut ausgebildete Fachkräfte und eben gerade die Produktion für den globalen Markt, weil das die Mengen bringt, bei denen wir wirtschaftlich werden", sagt Glatz.

Diese wirtschaftliche europäische Produktion soll eine – laut Pfizer – "der modernsten Hightech-Pharmafabriken weltweit" seit Mai dieses Jahres in Freiburg sichern. Die sogenannte High-Containment-Fabrik sei hermetisch von der Umwelt abgeriegelt, weil darin Wirkstoffe verarbeitet würden, die in besonders geringen Dosen hochwirksam seien. Sieben Milliarden Tabletten und Kapseln entstehen hier jedes Jahr. Auf den zwei Stockwerken arbeiten nur wenige Menschen, es dominieren Roboter und Maschinen. "Die Fertigung wird über mehr als hundert intelligent miteinander vernetzte IT-Systeme gesteuert", schildert Glatz. Die Produkte werden in 150 Länder ausgeliefert.

In einer der drei Nachbarfabriken am Standort Freiburg geht die Digitalisierung so weit, dass die Arbeitsschritte am Computer kombiniert werden: Die Einwaage der Wirkstoffe, das Vermischen, das Pressen – den verschiedenen Produktionsprozessen seien eigene Räume vorbehalten. In Summe seien es 60 Zimmer. Diese und damit die Arbeitsschritte lassen sich per Computer beliebig miteinander kombinieren. "Dadurch kann das Werk flexibler, schneller und ressourcenschonender produzieren", veranschaulicht Glatz.

In Freiburg arbeitet zudem die weltweit erste Anlage zur vollautomatischen Fertigung von Tabletten und Kapseln. In wenigen Sekunden entsteht hier eine Tablette. Die Wirkstoffgehalte werden noch während der Herstellung mit Nah-Infrarot-Spektroskopen gemessen. Die Identität und Reinheit der eingesetzten Rohstoffe überprüfen Raman-Spektroskope durch die Behälterwände hindurch, berichtet Glatz. Computer werten die komplizierten Spektren eigenständig aus und steuern die Anlage. "Es dauert nur wenige Stunden, eine komplette Charge zu fertigen. In der traditionellen Fertigung dauert das ein bis zwei Wochen", betont er und argumentiert: Bei diesem hohen Grad an Automation und Digitalisierung und bei den großen Produktionsmengen fallen die hohen Lohnkosten pro Kopf nicht mehr so sehr ins Gewicht. So lassen sich innovative Arzneimittel in Europa noch wettbewerbsfähig produzieren. Das Höher, Schneller und Weiter soll hiesige Produktion und damit hiesige Löhne sichern.

Ein EuroApi-Mitarbeiter füllt am Standort Frankfurt Pulver für die Produktion von Oligonukleotiden und Peptiden ab.

(Bild: Euroapi)

Aber hat sich dieses Monopolmantra, dass einer hocheffizient für alle produziert, seit Beginn der Coronapandemie nicht als besonders unsicher erwiesen? Glatz entgegnet, dass man konzernintern viel für Versorgungssicherheit tun könne. Einen bestimmten Wirkstoff stelle Pfizer nicht nur an einem Standort her, sondern stets an mehreren. Bei kritischen Rohstoffen beauftrage man mehrere Lieferanten. Und wenn eine Blisteranlage zum Abpacken der Tabletten ausfällt, laufen in Freiburg immer noch 39 andere.

Vor diesem Hintergrund boomt auch die Auftragsfertigung. Sie ist Sanofis Antwort auf die Forderung nach mehr Pharma in Europa. Der Konzern gründete 2021 die Plattform EuroApi. Das Konzept dahinter ist, dass Pharmaunternehmen ihre Wirkstoffe nicht zwingend selbst fertigen müssen, sondern ebenso gut bei einem auf Lohnfertigung spezialisierten Betrieb einkaufen können. Diese Unternehmen halten Anlagen und spezialisiertes Personal vor, entwickeln und produzieren aber keine eigenen Wirkstoffe. Das EuroApi-Konsortium soll sich nun als Lohnfertiger für Wirkstoffe "Made in Europe" behaupten.

Weniger als eine Autostunde von Pfizers neuem Hightech-Werk entfernt glaubt Markus Bergmann an eine ganz andere Zukunft der Pharmaproduktion in Europa. Nicht die alten Generika und nicht die Riesenfabriken würden es sein, sondern Minifabriken am Krankenbett. Auf Knopfdruck käme die individuelle Arznei gleichsam einem Getränk aus dem Apparat.

Die Minifabriken sollen Arzneien und Impfstoff aus mRNA drucken, jener Substanz, aus der die Coronaimpfstoffe von Biontech und Moderna bestehen. "Wir haben die Maschine, etwas kleiner als ein Auto, schon hier im vierten Stock in Tübingen stehen", sagt Markus Bergmann, Geschäftsführer der neuen Tochtergesellschaft CureVac RNA Printer GmbH. Ein Gramm pro Woche und entsprechend 80.000 Dosen Impfstoff könne das Gerät herstellen.

Der mRNA-Printer von CureVac soll die Herstellung von Impfstoffen und später einmal Krebsmedikamenten dezentralisieren.

(Bild: CureVac AG)

Gespeist wird sie mit DNA. Auf Knopfdruck wird die DNA mithilfe von Enzymen in ihre Bestandteile zerlegt. Diese dienen als Rohmaterial zur Erzeugung neuer mRNA. Um aber definierte RNA zu gewinnen, ist eine zweite Charge an DNA erforderlich. Sie enthält den Bauplan zur Herstellung der gewünschten mRNA. Im Covid-Impfstoff beinhaltet die gespritzte mRNA die Anleitung für die Körperzellen, das Spike-Protein des Coronavirus herzustellen. Es wird dann von einigen Körperzellen auf der Oberfläche gebildet und das Immunsystem lernt, es als fremd zu erkennen. Es greift dann auch das Coronavirus im Falle einer Infektion an.

mRNA ist allerdings sehr empfindlich. In Zellen übersteht sie in der Regel nur ein paar Minuten. CureVacs Drucker modifiziert sie, damit sie stabiler wird, und verpackt sie in Lipidkügelchen. Auch das Reinigen der gewünschten mRNA ist unabdingbar, sagt Bergmann, sonst könnten Verunreinigungen dem Patienten schaden.

Noch in diesem Jahr rechnet CureVac mit der Lizenz zum Drucken der ersten mRNA-Therapeutika. Das Unternehmen möchte damit Universitätskliniken und große Forschungseinrichtungen weltweit für klinische Studien beliefern. Prinzipiell könnte die Medikamentenfabrik aber auch direkt am Krankenbett stehen oder in Länder gebracht werden, die gerade mit einer neuen Variante eines Virus zu kämpfen haben, stellt Bergmann in Aussicht. Denn die Fabrik funktioniere universell und könne mehr als nur einen Typ an mRNA liefern. Die Steuerung dafür entwickelt derzeit Tesla Automation, das ursprünglich deutsche Maschinenbauunternehmen Grohmann Engineering mit Hauptsitz in Prüm. Elon Musk respektive Tesla Motors hat den Spezialisten für Mikroprozessoren, Speicherchips, Sensoren und Steuergeräte 2017 aufgekauft.

Nun beruhen heute gerade erst einmal zwei Impfstoffe gegen Covid-19 auf mRNA. Zigtausend andere Arzneien sind dagegen aus anderen Stoffen. Dennoch glaubt Bergmann an eine Ära der mRNA-Medikamente und damit an seine flexible Minifabrik. Hoffnung auf den Wandel macht ihm der Trend zur Individualisierung in der Medizin – insbesondere in der Krebsmedizin herrscht Aufbruchstimmung. Patienten werden heutzutage unterschiedlich behandelt, nachdem ihre Krebszellen genetisch und molekularbiologisch analysiert wurden. CureVac möchte genau jene mRNA in den Körper spritzen, die gesunde Körperzellen dazu bringt, den Krebszellrezeptor auszubilden und die Körperabwehr dagegen mobil zu machen. Auch andere haben sich von der Aufbruchsstimmung anstecken lassen: Das US-Start-up Nutcracker Therapeutics will ebenfalls mit einem mRNA-Drucker aufwarten, um in das Feld der Krebsmedizin vorzustoßen.

"Wenn mRNA-Therapeutika an Bedeutung gewinnen, ist das Drucken in kleinen Anlagen ein hochinteressanter Ansatz zur Flexibilisierung der Produktion", sagt Henrik Jeimke-Karge, Pressesprecher vom Verband forschender Arzneimittelhersteller. Andere äußern sich skeptischer. Glatz wendet ein: "Als das Genom von den Neunzigerjahren an dechiffriert wurde, hieß es, wir hätten bald nurmehr Gentherapeutika. Klassische Wirkstoffe werden aber über viele Jahrzehnte weiterhin ihre Bedeutung nicht verlieren", sagt er.

Jedenfalls müsste sich die Pharmaindustrie grundlegend wandeln, wenn sie von hermetisch abgeriegelten Produktionshallen abkommt und auf Apparate am Krankenbett setzt. Bisher sind mit jedem neuen Wirkstoff mehrere klinische Studien erforderlich und deren Design muss strenge Kriterien erfüllen. Von Asien bis nach Europa hat sich diese regulatorische Praxis etabliert. Bergmann meint jedoch: "Zugelassen wird in unserem Fall dann nur noch das Gerät und der Herstellungsprozess, nicht mehr das Medikament selbst."

Losgelöst vom Stellenwert von mRNA-Therapeutika hat die Branche einen Trend zu flexibler und modularer Produktion erfasst. Modulare Anlagen, in denen sich verschiedene Substanzen synthetisieren lassen, sind nun in Europa gefragt, hört man vonseiten der Anlagenbauer. Sie sind einerseits ein Tribut an die zunehmende Individualisierung in der Medizin – wie sie mit den mRNA-Druckern auf die Spitze getrieben wird. Andererseits sind sie ein Spiegel des steigenden Kostendrucks in der Pharmaindustrie. Bis aus einem Wirkstoff ein Medikament wird, müssen drei extrem kostspielige klinische Phasen durchlaufen werden und die Zeit, in der die dann zugelassenen Medikamente patentgeschützt gewinnbringend verkauft werden können, ist mit 20 Jahren kurz.

Der Druck in der Pharmaindustrie, diese Medikamente schnell in kommerziellen Größen zu produzieren, ist groß, denn die Generikahersteller stehen bei Wirkstoffen, die einen breiten Einsatz versprechen, mit dem Tag der Zulassung quasi in den Startlöchern. Die Planung und Realisierung einer konventionellen Anlage auf der grünen Wiese kann jedoch bis zu drei Jahre dauern – Zeit, die von den gewinnbringenden 20 patentgeschützten Jahren abgeht. Mit dem Bau modularer Anlagen könne diese Zeitspanne auf weniger als zwei Jahre verkürzt werden, so Exyte, ein international agierendes Anlagenbau-Unternehmen aus Stuttgart. Und auch wenn die nächste Pandemie kommt: Agilität – die Fähigkeit, möglichst schnell mit angepasster Rezeptur etwa auf neue Virusvarianten reagieren zu können, – sei wichtig wie nie. In flexiblen Produktionsanlagen wie in Freiburg müssen die Module für unterschiedliche Produkte lediglich angepasst und neu kombiniert werden.

Ob nun künftig Pillen aus einer Maschine neben dem Patientenbett purzeln, Fabriken menschenlos ferngesteuert laufen oder Staaten ihr Geld darauf verwenden, medizinische Grundversorgung wieder aufzubauen – die Sicherung von Zugängen zu Arzneien kann eines am meisten brauchen: Diversität.

(jsc)