Nationale Wasserstoffstrategie: Tafelwasser oder Champagner der Energiewende?

Seite 3: Keine extra Geldmittel mit "Klima-Label"

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Obwohl die Bundesregierung Wasserstoff in der Strategie insgesamt eine hohe Bedeutung auch beim Erreichen der Klimaziele zumisst, verknüpft sie damit keine neuen Geldmittel. Die Verfasser führen vielmehr bestehende Förderprogramme auf. Der größte Batzen stammt demnach aus dem Zukunfts- und Corona-Konjunkturpaket des schwarz-roten Koalitionsausschusses von Juni 2020. Es sieht vor, dass 7 Milliarden Euro "für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien" in Deutschland und 2 Milliarden für internationale Partnerschaften in diesem Bereich bereitgestellt werden. Die Produktion von grünem Wasserstoff wollen die Regierungsfraktionen dabei unterstützen und von der EEG-Umlage zum Ausbau der erneuerbaren Energien ausnehmen.

Im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) hatte die Exekutive schon von 2006 bis 2016 rund 700 Millionen Euro an Fördermitteln bewilligt, im aktuellen Zeitraum 2016 bis 2026 ergibt sich daraus ein weiteres Fördervolumen von bis zu 1,4 Milliarden Euro. Gut eine weitere Milliarde Euro für Wasserstoffprojekte steht über das Nationale Dekarbonisierungsprogramm von 2020 bis 2023 zur Verfügung. Dabei geht es um Investitionen in Technologien und großtechnische Anlagen in der Industrie.

Governance-Struktur der Nationalen Wasserstoffstrategie

(Bild: Die Nationale Wasserstoffstrategie (PDF))

Zudem wird laut der NWS die anwendungsorientierte Grundlagenforschung zu grünem Wasserstoff im Rahmen des Energie- und Klimafonds von 2020 bis 2023 mit 310 Millionen Euro ausgebaut. Ferner sei beabsichtigt, die anwendungsnahe Energieforschung zu Wasserstofftechnologien mit 200 Millionen Euro von 2020 bis 2023 zu stärken. Schon zuvor habe man mit nicht aufgeschlüsselten Mitteln aus dem Energieforschungsprogramm dafür gesorgt, dass hierzulande eine "hervorragende Forschungslandschaft" habe entstehen können.

Bis 2030 sieht die Regierung dem Dokument zufolge einen Wasserstoffbedarf von 90 bis 110 Terawattstunden (TWh). Um zumindest einen Teil dieses Bedarfs national zu decken, sollen bis 2030 in Deutschland Erzeugungsanlagen von bis zu 5 Gigawatt (GW) Gesamtleistung einschließlich der dafür erforderlichen "Offshore- und Onshore-Energiegewinnung" entstehen, wobei vor allem Windparks in der Nord- und Ostsee im Gespräch sind. Dies entspreche einer grünen Wasserstoffproduktion von bis zu 14 TWh und einer benötigten erneuerbaren Strommenge von bis zu 20 TWh.

Für den Zeitraum bis 2035 beziehungsweise "spätestens bis 2040" sollen "nach Möglichkeit" weitere 5 GW zugebaut werden. Die Exekutive geht dabei von einem durchschnittlichen Wirkungsgrad der Elektrolyseanlagen von 70 Prozent sowie 4000 Volllaststunden aus. Das angesetzte Maß etwa für die Ausnutzung eingesetzter Windenergieanlagen ist recht hoch: ein Windrad, das eine Maximalleistung von 3000 Kilowatt (kW) aufweist, erzeugt jährlich circa 6 Millionen kWh Strom. Die Vollbenutzungsdauer liegt so bei 2000 Stunden. Mit dieser Größe rechnen etwa die Niederlande.

Zugutekommen soll das vorgesehene Wasserstoffvolumen vor allem der Industrie. Aktuell werde in Deutschland jährlich – größtenteils grauer – Wasserstoff im Umfang von rund 55 TWh für stoffliche Anwendungen genutzt. Diese müssten soweit wie möglich in eine auf grünem Wasserstoff basierende Produktion überführt werden. Schätzungen zufolge würde etwa die Transformation der heimischen Stahlproduktion hin zur Klimaneutralität bis 2050 über 80 TWh Wasserstoff benötigen. Die Umstellung der deutschen Raffinerie- und Ammoniakproduktion würde etwa 22 TWh grünen Wasserstoff erfordern.

Aber auch der Mobilitätssektor birgt nach Ansicht der Regierung "großes Potenzial" für den Einsatz von Wasserstoff. Insbesondere in der Luftfahrt, zu Teilen im Schwerlastverkehr, bei mobilen Systemen für die Landes- und Bündnisverteidigung und in der Seeschifffahrt seien viele Routen und Anwendungen nicht rein elektrisch darstellbar. Deshalb müssten hier die derzeit noch zu über 95 Prozent eingesetzten fossilen Einsatzstoffe und Energieträger durch Alternativen ersetzt werden, die auf erneuerbarem Strom basieren. Der Verkehrsbereich sei gezwungen, auf technologischen Fortschritt zu setzen, führt die Exekutive aus. Sonst könnten dort die sektoralen Klima- und Erneuerbaren-Ziele nicht erreicht werden, bei deren Einhaltung der Bereich bereits in Verzug ist.

Die Einführung von Brennstoffzellenfahrzeugen könne etwa im Öffentlichen Personennahverkehr bei Bussen und Zügen, bei Lkw und Nutzfahrzeugen etwa für den Einsatz auf Baustellen sowie in der Land- und Forstwirtschaft oder in der Logistik mit dem Lieferverkehr Spezialfahrzeugen wie Gabelstaplern "die batterieelektrische Mobilität ergänzen und den Ausstoß von Luftschadstoffen sowie CO₂-Emissionen erheblich senken".

Größeres Konfliktpotenzial birgt diese Ansage: "Auch in bestimmten Bereichen bei Pkws kann der Einsatz von Wasserstoff eine Alternative sein." Im ursprünglichen Entwurf der Strategie aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hatte es sogar noch geheißen, dass die Brennstoffzelle im Pkw-Bereich "gute Perspektiven" habe. Dies gelte "insbesondere bei Fahrzeugen mit einem hohen Eigengewicht" wie SUVs, "im Dauerbetrieb und im Einsatz auf langen Strecken".

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte hier aber auf strenge ökologische Maßstäbe gedrängt, sodass das Bundeskabinett diese breite Formulierung strich. Vor allem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer schwört trotzdem prinzipiell weiter auf E-Fuels auch für Pkws. Dabei handelt es sich um synthetische Kraftstoffe, die mithilfe von Strom aus Wasser und CO₂ produziert werden.

"Grüner Wasserstoff und Brennstoffzellen sind – quer über alle Verkehrsträger hinweg – eine super Ergänzung zu reinen Batteriefahrzeugen", betont der CSU-Politiker. "Um alle Bereiche der Mobilität mit Null-Emissionslösungen abzudecken, brauchen wir Technologieoffenheit." Deshalb unterstütze die Bundesregierung "auch die Brennstoffzellentechnologie sowie Fahrzeug- und Komponentenhersteller, um international den Anschluss nicht zu verpassen".

Scheuer will Wasserstoff generell wegbringen vom Image des exklusiven Prickel- und Sprudel-Images. "Viele sagen, Wasserstoff sei der Champagner unter den alternativen Kraftstoffen: viel zu teuer, viel zu knapp und viel zu aufwendig in der Herstellung". Das sei aber falsch, moniert der Minister: "Wir brauchen den Wasserstoff als Tafelwasser." Dass im Verkehrsbereich dafür auch der Aufbau eines dichten Netzes an H2-Tankstellen nötig wäre, erwähnt die Exekutive in dem Papier nur am Rande.

Den Bereich Heizung streift die Regierung in der NWS ebenfalls nur: Auch langfristig wird ihr zufolge nach Ausschöpfen der Effizienz- und Elektrifizierungspotenziale bei der Prozesswärmeherstellung oder im Gebäudesektor ein Bedarf an gasförmigen Energieträgern bestehen bleiben, der teils über Wasserstoff gedeckt werden könnte. Das bislang noch sehr wertvolle Gas ist für die Exekutive ferner auch ein Bildungsthema: "Die Wasserstoffwirtschaft braucht Fachkräfte – in Deutschland und im Ausland. Daher werden wir neue Wege in der Zusammenarbeit von Bildung und Forschung gehen." An diesem Punkt bleibt die Strategie aber vage.