Nationale Wasserstoffstrategie: Tafelwasser oder Champagner der Energiewende?

Seite 5: Wackelige Partnerschaften

Inhaltsverzeichnis

Noch im Juni 2020 schmiedete Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) eine "Allianz" mit Marokko. Die Pläne für den Bau eines davon erfassten ersten Hybridkraftwerks nebst Meerwasserentsalzungsanlage und 100-MW-Elektrolyseur schienen zunächst gut voranzukommen. Die Vorarbeiten für das Referenzwerk liege im Zeitplan, antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion noch im März. Doch wie fragil solche Partnerschaften sein können, zeigt das Beispiel auch. Derzeit herrscht eine diplomatische Eiszeit zwischen Rabat und Berlin, nachdem das Auswärtige Amt den Schritt der US-Regierung, Marokkos Souveränität über das umstrittene Gebiet der Westsahara anzuerkennen, kritisiert hatte. Der FDP-Bundestagsfraktion erklärte das Außenministerium mittlerweile, dass die Kooperation zwar "in beiderseitigem Interesse bleibe", aufgrund der aktuellen Entwicklung aber auf dem Prüfstand stehe. Mittel würden nur ausgezahlt, "wenn der Partner seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt".

Stefan Liebing, Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, glaubt nicht, dass sich das Klima zwischen beiden Ländern kurzfristig bessert. Dagegen gebe es in anderen afrikanischen Ländern Fortschritte bei Wasserstoffprojekten, an denen deutsche Unternehmen beteiligt seien. Gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erklärte der Afrikakenner, dass dabei auf kosteneffiziente Differenzverträge statt klassische Kredite gesetzt werde.

Am Rande des G7-Gipfels im britischen Cornwall gaben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der australische Premierminister Scott Morrison derweil Mitte Juni den Abschluss einer "deutsch-australischen Wasserstoff-Vereinbarung" bekannt. Damit verknüpft sei "ein nachhaltiges Bekenntnis zu einer verstärkten Zusammenarbeit in den Bereichen technologischer Innovation, Forschung und Entwicklung sowie der Einführung von Technologien, um eine globale Wasserstoffindustrie aufzubauen".

Peter Altmaier spricht mit dem australischen Handelsminister Tehan über die Perspektiven der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen

(Bild: BMWI, Andreas Mertens)

Man werde in diesem Rahmen etwa mit "Hydrogen Hubs" die Produktion von Wasserstoff im industriellen Maßstab in Australien unter Einsatz deutscher Technologie beflügeln, kündigte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dazu an. Als weiteren "großen Vorteil der Partnerschaft" machte seine Kollegin im Forschungsressort, Anja Karliczek (CDU), aus, dass Australien unter dem Motto "Shipping the sunshine" quasi "verpackten Sonnenschein" exportieren und sich eine "neue, klimafreundliche Perspektive" geben könne. Für die Kooperation habe sie über einen Zeitraum von drei Jahren bis zu 50 Millionen Euro eingeplant. Dazu hieß es aus dem BMWi, dass Canberra bereit sei, eine Auktion mit etwa ebenso viel Geld zu unterstützen, bei der in Australien produzierter H2 nach Deutschland geliefert werden solle. Dass die Entfernungen für solche Transporte weltweit kaum größer und so wenig klimafreundlich sein dürften, schneidet die Regierung nicht an.

Die erwähnten knapp 40 Vorschläge für weitere Maßnahmen in der NWS sind sehr allgemein gehalten. Die Rede ist hier davon, dass die Grundlagen für einen funktionierenden Heimatmarkt in einer ersten Phase bis 2023 angestoßen werden sollten. Parallel "werden wegbereitende Themen wie Forschung und Entwicklung sowie internationale Fragestellungen" forciert.

Von 2024 an werde der hiesige Markt gefestigt "und die europäische sowie internationale Dimension von Wasserstoff gestaltet und für die deutsche Wirtschaft genutzt". Eine "zeitnahe und ambitionierte Umsetzung der EU-Erneuerbare-Energien-Richtlinie" sollte eigentlich noch 2020 den Einsatz von grünem Wasserstoff bei der Kraftstoffherstellung und als Alternative zu Benzin und Diesel verankern. Dieser Schritt lässt aber weiter auf sich warten.

Ferner will sich die Regierung etwa für die "internationale Harmonisierung von Standards bezüglich Mobilitätsanwendungen für Wasserstoff- und Brennstoffzellensysteme" starkmachen. Dies soll Fragen von Betankung, Wasserstoff-Qualität, Eichung, Wasserstoff-Kfz Typengenehmigung und der Zulassung von Schiffen einschließen.

Monatelang tat sich nach dem Beschluss der H2-Agenda trotz halbwegs konkreter Arbeitsaufträge nicht viel. Am schnellsten nahm der Wasserstoffrat seine Tätigkeit auf, die Bundesregierung übte sich derweil allenfalls im Klein-Klein. Größere gesetzgeberische Schritte, um den Rahmen mit Leben zu füllen, folgten zunächst nicht. Erst im Mai – kurz vor dem ersten Geburtstag der NWS – setzte die Exekutive eine neue Markierung. Die Bundesministerien für Wirtschaft und Verkehr teilten mit, 62 Wasserstoff-Großprojekte aus über 230 eingereichten Vorschlägen ausgewählt zu haben, die im Rahmen des entsprechenden europäischen IPCEI staatlich gefördert werden sollen.

Insgesamt 8 Milliarden geben Bund und Länder dafür frei, der größte Anteil stammt mit rund 4,4 Milliarden Euro aus dem BMWi. 1,4 Milliarden Euro schießt das Verkehrsressort zu, der Rest stammt von den Ländern. Insgesamt sollen so Investitionen in Höhe von 33 Milliarden Euro ausgelöst werden, davon über 20 Milliarden Euro von privaten Investoren. Altmaier versicherte: "Wir wollen bei Wasserstofftechnologien die Nummer 1 in der Welt werden."