Denkfabrik schlägt Dritten Weg im Streit um die "Netzneutralität" vor

Eine Washingtoner Stiftung will Netzanbietern Möglichkeiten zum Errichten hochpreisiger Datenhighways einräumen, solange sie auch eine gut ausgebaute Infrastruktur mit normalen Internet-Schnellstraßen bereithalten.

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Die Information Technology and Innovation Foundation (ITIF) glaubt einen Ausweg aus der in den USA hitzig geführten Debatte um die "Netzneutralität" gefunden zu haben. In einem 16-seitigen Report (PDF-Datei) schlägt die Washingtoner Denkfabrik vor, Netzanbietern Möglichkeiten einzuräumen, für besonders schnelle Datenhighways mit zugesicherter Übertragungsqualität von großen Inhalteanbietern oder Web-Portalen gesonderte Gebühren zu verlangen. Die Errichtung der exklusiven Mautstraßen soll aber nur gestattet und öffentlich gefördert werden, wenn die Telcos oder TV-Kabelfirmen gleichzeitig eine gut ausgebaute Infrastruktur mit normalen Internet-Schnellstraßen ohne Zuschlaggebühr bereithalten.

Kernpunkt der Empfehlung ist es, Firmen für ihr Investment in neue, den aktuellen Stand der Technik berücksichtigende Breitbandnetze finanzielle Anreize zu gewähren. Die ITIF bringt dabei vor allem Steuerbegünstigungen ins Spiel. Der US-Kongress soll die Breitbandanbieter zudem dazu verpflichten, ihre Zugangs- und Nutzungsbedingungen mitsamt Angaben zu Netzbandbreiten, zu Latenzzeiten beim Datenabruf oder Einschränkungen für Nutzer beim Zugang zu Inhalten oder Diensten klar zum Ausdruck zu bringen. Die Federal Communications Commission (FCC) ist in dem Vorschlag als staatliche Kontrollkommission vorgesehen. Ihr soll es obliegen, zunächst Geschwindigkeitsmargen festzulegen, ab denen ein Provider als Breitbandanbieter gilt. Das Diskussionspapier schlägt vor, die Minimalgrenze von Downloadgeschwindigkeiten bei 2 Mbit/s festzulegen.

Anbieter, die Netze mit höheren Bandbreiten bauen, sollen von den Steuervorteilen profitieren. Die FCC würde laut dem Vorstoß die Aufgabe haben, auf die Einhaltung der Nutzungsbedingungen der Breitbandanbieter zu achten und wettbewerbsfeindliches Verhalten zu verhindern. Insbesondere soll die FCC darauf achten, dass die begünstigten Erbauer von Hochgeschwindigkeitsdatenautobahnen den geforderten Betrieb ihres offenen, nicht mit speziellen Extras aufwartenden Basisnetzes nicht vernachlässigen.

Die ITIF wendet sich mit dem Vorschlag gegen Bestrebungen im US-Repräsentantenhaus zur Stärkung der Netzneutralität. Dort hat der Justizausschuss gesetzliche Änderungen gefordert, denen zufolge Breitbandnetzbetreiber verpflichtet werden sollen, allen Inhalte-Anbietern gleiche Geschwindigkeit und Qualität zu bieten. Der heutige Zusammenschluss zahlreicher Netzwerke zum Internet ohne Prioritätsbahnen für spezielle Applikationen erscheint der Denkfabrik angesichts steigender Ansprüche an Online-Dienste wie Videokonferenzen oder telemedizinische Anwendungen aber als "fragwürdige Plattform". Zudem sei eine komplett offene Netzarchitektur offen für Bedrohungen durch Viren oder Denial-of-Service-Attacken.

Gleichzeitig erkennen die Autoren des Papiers aber auch an, dass der offene und diskriminierungsfreie Zugang zum heutigen Internet erst alle signifikanten Online-Innovationen etwa im E-Commerce, beim Suchen von Inhalten oder bei VoIP ermöglicht hat. Beide Ansätze müssten daher weiterhin möglich bleiben, sodass die Kontrahenten für und gegen "Netzneutralität" nicht länger das bevorstehende "Ende des Internet" heraufbeschwören könnten.

Die Anbahnung eines "Dritten Wegs" zur Sicherung eines innovationsfreundlichen Netzwerks ist bei Interessensvertretungen auf geteilte Meinungen gestoßen. Die sich für ein freies Internet einsetzende Organisation Public Knowledge fürchtet, dass der Vorschlag zu nah an die Vorhaben großer Telcos oder Kabelanbieter angelehnt ist, ein Zwei-Klassen-Netz aufzuziehen. Die ITIF habe nicht ausreichend im Auge, dass die Breitbandanbieter damit leichter Wettbewerber im Geschäft um bandbreitenhungrige Inhalte außen vor halten könnten. Ein Sprecher von AT&T sieht dagegen Anzeichen für einen "vernünftigeren" und "ehrlicheren" Ansatz als in den Gesetzgebungsinitiativen, welche "Online-Giganten" wie Google oder Yahoo vorantreiben würden.

Meg Whitman, die Chefin von eBay, hat derweil in einem Schreiben mehr als eine Million US-amerikanische Nutzer der Auktionsplattform aufgefordert, bei ihren jeweiligen Volksvertretern für die Beibehaltung eines neutralen Netzwerks zu plädieren. "Die Telefon- und Kabelfirmen, die den Internetzugang kontrollieren, wollen ihren enormen politischen Muskel spielen lassen, um das Internet dramatisch zu verändern", beklagte Whitman. Es sei zwar schwer zu glauben, aber die Gesetzgeber würden ernsthaft darüber nachdenken, "ob Verbraucher künftig noch das Internet so nutzen dürfen, wie sie es wollen."

Siehe zur Debatte um die Netzneutralität auch:

(Stefan Krempl) / (hob)