Das Kamerajahr 2023: KI und dicke Brummer, gute Aussichten für 2024

Profi-Spiegellose gehen zu jedem Preis, KI steckt in allen neuen Kameras und manche Nischen sterben einfach nicht aus. Andere wachsen sogar beständig.

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Trotz zweier Rückrufe vielfach zur Kamera des Jahres gekürt: Nikons Z 8, hier ohne Objektiv – eine Plasikklappe schützt den Sensor, einem mechanischen Verschluss gibt es nicht.

(Bild: Nikon)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Nico Ernst
Inhaltsverzeichnis

Mussten wir 2022 noch über anhaltende Lieferverzögerungen, monatelange Produkteinführungen in Salamitaktik und wenig große Neuerungen berichten, so sind diese Nachwirkungen der Pandemie inzwischen zum Glück überholt. 2023 war ein gutes Kamerajahr, in dem es zahlreiche Neuvorstellungen quer durch alle Genres und alle Preisklassen gab.

c't Fotografie 3/24

Spannend blieb es bis kurz vor Jahresende, als Sonys A9 III erschien. In diesem Jahr löste sich zudem die Frage, ob und wie Nikon sein Topmodell Z 9 so abspecken würde, dass der Profiklotz kompakter und bezahlbarer wird. Mit der Nikon Z 8, vielfach "Baby-Z 9" genannt, ist das auch eindrucksvoll gelungen. Statt 6000 Euro UVP werden nur 4600 Euro aufgerufen und die Kamera ist immer noch kleiner als vergleichbare DSLRs. Der Sensor mit 45 Megapixeln beim Fotografieren und 8K beim Filmen blieb dennoch unverändert.

Ebenso, und das ist in der Oberklasse ein erfreulicher Trend, bringt Nikons Z 8 gleich zwei USB-C-Anschlüsse mit. Das dient nicht nur zur Stromversorgung, vielmehr lassen sich auch Ethernet-Adapter und externe SSDs anschließen. Letzteres wird beim Filmen immer wichtiger, auch manche andere Kameras unterstützen das. Die spiegellosen Systemkameras werden also immer mehr nur zu einem Baustein eines kompletten Setups, das wie bei dedizierten Filmkameras mit einem optionalen Rahmen, Rig genannt, für allerlei Zubehör genutzt wird. Externes Display per HDMI, Beleuchtung, Mikro, Audiorekorder und SSD? Alles nicht mehr ungewöhnlich. Das gilt auch für Kino-Farbformate, die intern wie extern unterstützt werden.

Aufgrund der guten Leistungen ist die Z 8 auch bei vielen Branchenbeobachtern die Kamera des Jahres, unter anderem bei DPReview. Diese Webseite mit ihren detaillierten Vergleichstabellen und Tests wurde 2023 nach einer langen Durststrecke gerettet, nachdem der vorige Eigentümer Amazon sie schlicht abschalten wollte. Bei allem Lob für Nikons Produktpolitik war jedoch dieser Hersteller auch in bisher nicht bekanntem Maß von Qualitätsproblemen betroffen und brachte es gleich auf drei Rückrufe.

Erst gingen bei einigen Z 9 die Objektive nicht mehr ab, bei der Z 8 ließen sie sich nicht richtig verriegeln – also das umgekehrte Fehlerbild –, und bei der Z 8 brachen schließlich an manchen Geräten die Ösen für den Kameragurt aus dem Gehäuse. "Ausgerechnet Nikon" schrieben wir in unserer wöchentlichen Foto-Kolumne, und diese Kritik bleibt auch bestehen, denn: So etwas darf schlicht nicht vorkommen. Immerhin: betroffene Kameras wurden kostenlos repariert, und seit diesen Anfangsschwierigkeiten traten keine neuen Rückrufe auf. Die Ursachen sind weiter unklar, nur beim Bajonett der Z 9 sprach Nikon einmal von einem fehlerhaften Bauteil eines Zulieferers.

Noch ein Blick zurück nach vorn: 2022 verzeichneten wir eine Renaissance von APS-C, und das setzte sich auch 2023 fort. Fujifilm präsentierte die X-S20, Sony die Alpha 6700, beide folgen der Devise: schneller und intelligenter. Canon begann schon vor anderthalb Jahren mit den Modellen R7 und R10, seine APS-C-Kameras auf das RF-Bajonett umzustellen, 2023 erschien mit der R50 auch eine Kamera, die nicht zufällig wie das bisherige Einsteigermodell M50 heißt. Folglich war im Oktober des Jahres dann das M-Bajonett endgültig veraltet, entsprechende Geräte werden nicht mehr hergestellt. Das gilt für Gehäuse wie für Objektive. Groß angekündigt hat das Unternehmen das aber nicht, die Modelle verschwanden einfach von der Webseite und waren bis auf vereinzelte Exemplare schnell ausverkauft.

Hatten sich schon 2022 die Kompaktkameras als eigenes Segment erledigt, so stellen die Systemkameras mit APS-C oder Micro-Four-Thirds-Sensor nun die neue Klasse der Immer-Dabei-Kamera dar. Das gilt natürlich nur dann, wenn die durchaus immer besseren Leistungen der Smartphones nicht ausreichen. Dass MFT nicht nur eine Nische ist, hat eindrucksvoll Panasonic bewiesen, denn die Lumix G9II ist eine durchaus professionelle Kamera, die kaum kleiner als manche Vollformat-DSLM ist. Wenn 25 Megapixel, aber auch 4K-Video ausreichen, ist der Einstiegspreis von 1900 Euro nur für den Body im Vergleich mit den Vollformat-Boliden der anderen Hersteller verlockend.

Doch auch im Vollformat gab es noch weitere Neuerungen, beispielsweise präsentierte Sony als Nachfolger der A7C gleich zwei Modelle, und zwar mit 33- oder 61-Megapixel-Sensor. Letztere, die A7CR, stellte sich in unserem Test aber als "Widerspruch in sich" heraus, denn trotz der hohen Auflösung fehlen 8K-Video und andere professionelle Funktionen. Dafür 3500 Euro zu verlangen, schränkt den Kundenkreis wohl stark ein.

Wie bereits im letzten Jahr festgestellt, sind Kameras im Retro-Design klassischer Spiegelreflexe nicht nur ein kurzfristiger Trend, sondern ein etabliertes Segment in der Kamerabranche. Das zeigte sich 2023 unter anderem mit Nikons Z f, der großen Schwester des APS-C-Modells Z fc. Die Z f bringt einen Vollformatsensor mit 25 Megapixeln im kompakten Gehäuse unter, was aber angesichts moderner Gehäuse Kompromisse bedingt: die zweite Speicherkarte ist nur als Micro-SD zu haben, der Akkus ist klein, und so fort. Unser kommender Test zeigt dennoch, dass die Kamera technisch konkurrenzfähig ist. 2500 Euro sind jedoch ein happiger Aufpreis gegenüber technisch vergleichbaren Kameras.

Nicht totzukriegen ist für manche Anwendungen auch das Mittelformat, hier hat Fujifilm mit der GFX 100 II seine Kamera auf die Höhe der Zeit gebracht. 102 Megapixel scheinen nur wie ein moderates Upgrade gegenüber den 100 des Vorgängers, aber acht Bilder pro Sekunde, 8K-Video und Motivverfolgung machen die Kamera wieder konkurrenzfähig. Bei 8000 Euro muss man sich aber sehr gut überlegen, ob man die enorme Auflösung wirklich braucht.

Bei Leica stellen sich dem Markenimage gemäß solche Fragen gar nicht erst. So darf auch die neue Q3 für 6000 Euro nur ein fest verbautes Objektiv (28mm, f /1.7) mitbringen und als Edelkompakte für Street- und Reportagefotografie gelten. Dass auch bei Leica nicht alles beim alten bleiben kann, zeigen die umfangreichen Drahtlos-Funktionen samt App und die Auflösung von 61 Megapixeln, die mit anderen Topkameras konkurrieren kann. 8K-Video ist da fast selbstverständlich.

Bei anderen Marktbereichen muss man sich dagegen fragen, warum die Hersteller sie so stiefmütterlich behandeln. Sowohl Ricoh mit seiner Marke Pentax als auch OM System, früher als Olympus bekannt, haben mit der WG-90 und der TG-7 neue Outdoor-Kameras vorgestellt. Beide bieten jedoch kaum Neuerungen gegenüber den Vorgängermodellen und sind dennoch teurer. Dass es dieses Segment überhaupt noch gibt, liegt vor allem daran, dass diese Kameras bei Sportlern, insbesondere Tauchern, beliebt sind. Bis rund 15 Meter Tiefe sind sie ab Werk wasserfest, Gehäuse von Drittherstellern erlauben auch Gerätetauchen in größerer Tiefe. Diese Systeme sind deutlich billiger als die für Systemkameras.

Auf KI-Funktionen, wie sie alle neuen Systemkameras besitzen, muss man bei den kleinen Outdoor-Spezialisten verzichten. Ansonsten sind diese Funktionen ein Mega-Trend, der nicht mehr verschwinden wird. Speziell beim Autofokus, der Motive erkennt und verfolgt, verändert die sogenannte Künstliche Intelligenz das Fotografieren nachhaltig. Je nach Preisklasse werden nicht nur Menschen oder bestimmte Tiere erkannt, auch Flugzeuge oder Autos können im Fokus gehalten werden.

Während das KI-Thema eine fortwährende Entwicklung ist, gab es am Ende des Jahres noch einen regelrechten Umbruch: Der Global Shutter für Fotokameras ist endlich da. Unter dem Namen versteht die Branche das gleichzeitige, also globale Auslesen der gesamten Sensordaten, bisher verlief dies Zeile für Zeile. Das bedeutet, dass die Bildraten beim Fotografieren wie Filmen höher werden können, ohne dass es Bildfehler durch den sogenannten Rolling-Shutter-Effekt gibt, die Funktionsweise haben wir hier beschrieben.

Sony hat, da es selbst die Sensoren herstellt, mit der A9 III die erste Kamera mit Global Shutter vorgestellt. Das Unternehmen positioniert die Alpha zwar als professionelles Gerät für Sport und Action, aber auch andere Bereiche sollten von 120 Bildern im Raw-Format bei voller Auflösung und kontinuierlichem Autofokus profitieren. Dafür müssen jedoch sowohl die Objektive wie die Speicherkarten und bei elektronischen Verschlusszeiten von bis zu 1/80.000 Sekunde sogar die Blitze mitspielen.

Bisher hat Sony nur wenigen Medien Vorserienexemplare zur Verfügung gestellt, die jedoch keine Raw-Dateien speichern können. Die Firmware ist auch an anderen Punkten bisher nicht fertig. Damit lässt sich nicht abschließend sagen, wie groß die Revolution wirklich ausfällt, erst im Januar 2024 soll die Kamera ausgeliefert werden. Von dann bis zu den Olympischen Spielen in Paris im Juni 2024 ist noch viel Zeit, sodass auch Konter von Canon oder Nikon nicht ganz auszuschließen sind. Das ist jedoch bisher nicht abzusehen, denn es ist nicht bekannt, ob Sony seinen Sensor mit Global Shutter samt Support auch anderen Kameraherstellern zur Verfügung stellt. Gleichwohl wird das Sportfest von Paris, wie alle Olympischen Spiele, wieder eine Leistungsschau für die Fotobranche werden. Damit verspricht auch 2024 ein weiteres gutes Jahr für digitale Fotografie zu werden.

(cbr)