Neuer US-Präsident: Datenschutzregeln könnten US-Problem mit TikTok lösen

IT-Politik wird bei Joe Biden nicht an erster Stelle stehen, weil es drängendere Themen gibt. Dennoch erwartet Public Knowledge IT-Initiativen.

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Joe Biden und Kamala Harris jubeln vor riesiger US-Flagge

Joe Biden und Kamala Harris erwarten zahlreiche IT-Baustellen, darunter Misinformation, Breitbandwüste, fehlender Datenschutz und eine selbst-entmachtete Regulierungsbehörde.

(Bild: buildbackbetter.gov)

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"Noch nie habe ich so viel Misstrauen in ein Wahlergebnis gesehen", hält der US-Amerikaner Chris Lewis zur Präsidentschaftswahl fest, "Die Technik-Branche spielt dabei eine Rolle." Lewis ist Präsident der Bürgerrechtsorganisation Public Knowledge und spezialisiert auf Telekommunikation: "Es ist wichtig, die Rolle der Technik zu verstehen, insbesondere der interaktiven Medien."

Chris Lewis, Präsident Public Knowledge' bei einem früheren Interview mit heise online im November 2018 in Washington, DC

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Entgegen weit verbreiteter Meinung seien Soziale Netzwerke nicht die wichtigste Quelle vorsätzlicher Fehlinformation – diese stamme in den USA insbesondere von Nachrichtensendern im Kabel-TV. Deren falschen Behauptungen und Darstellungen würden dann aber häufig im Internet weiterverbreitet.

Die Reaktionen der Plattformbetreiber seien unterschiedlich ausgefallen: "Es gab verstärkten Aufwand der (größeren) Sozialen Netzwerke, Informationen zu überprüfen, die dem Wahlsystem schaden könnten. Bei den kleineren Plattformen haben wir das nicht beobachten können", sagte Lewis im Interview mit heise online.

Insbesondere – aber nicht nur – Republikaner sind sauer auf Facebook, Google und Twitter. Ein wichtiger Teil der politischen Reaktion sind zahlreiche Gesetzesanträge. Die US-Regierung möchte Webhoster und User häufiger haftbar machen. Parallel versucht die Regulierungsbehörde FCC, den einschlägigen Gesetzesabschnitt "neu zu interpretieren", um so ohne Gesetzesänderung Suchmaschinen und Soziale Netzwerke regulieren zu können. Der einschlägige Gesetzesabschnitt ist als "Section 230" bekannt. Republikaner wollen ihn am Liebsten streichen.

Section 230

Section 230 schützt interaktive Onlinedienste, die von Nutzern generierte Inhalte verbreiten, unter bestimmten Voraussetzungen davor, für diese Inhalte verantwortlich gemacht zu werden. Schließlich ist es Facebook, Twitter und Co. unmöglich, jedes Posting eines Users vor Veröffentlichung auf Wahrheitsgehalt oder mögliche Rechtswidrigkeit zu überprüfen.

Es gibt aber Ausnahmen, etwa bei Copyrightverletzungen oder Verweisen auf Prostitution, die gelöscht werden müssen. Der Betreiber darf durch seine Nutzungsbedingungen den Nutzern auch weitere Vorgaben machen. Tritt er allerdings darüber hinaus als Redakteur auf, verliert er die Immunität. Das Gesetz soll keine Herausgeber schützen, die für sich selbst veröffentlichen, sondern Betreiber, die die technische Infrastruktur für Dritte bereitstellen.

"Wir sind sehr besorgt", gibt Lewis offen zu, "Public Knowledge ist ein großer Fan der Section 230. Sie gibt Betreibern die Möglichkeit, moderierend einzugreifen." Ohne Section 230 gäbe es entweder gar keine Moderation mehr, oder Übermoderation. Beispielsweise ermögliche sie Twitters Bonzen-Paragraphen. Der gefällt natürlich nicht allen Usern. Doch Lewis sieht darin die Möglichkeit zu Vielfalt und Wettbewerb: "Wir müssen sicherstellen, dass es Auswahl gibt im Markt, damit die Nutzer entscheiden können, welche Plattformen sie bevorzugen."

Ein Allheilmittel gegen vorsätzliche Falschinformation kennt auch Lewis nicht. Notwendig seien große Anstrengungen mit vielfältigen Ansätzen: "Ich hätte gerne einen 'Superfonds', um die Fehlinformation zu bereinigen." Im Amerikanischen ist das ein Wortspiel: Der Superfund ist ein 1980 in Anlauf genommenes Umweltprogramm zur Sanierung von etwa 40.000 Altlasten in den Vereinigten Staaten. Mithelfen kann laut Lewis auch jeder Einzelne: "Unterstützen Sie lokalen Journalismus der Fakten überprüft und Informationen verifiziert."

Wie der designierte US-Präsident Joe Biden den Konflikt um Section 230 angehen möchte, ist noch nicht bekannt. Lewis hofft, dass Biden einen Plan dazu hat und ihn bald veröffentlichen wird. Bei der Vorbereitung auf die US-Präsidentschaft habe Biden bereits gute Berater gefunden. Darunter sind etwa Wissenschaftler, Tech-Manager und – für den Justizbereich – auch ein Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation Public Knowledge. Allerdings werde es Biden angesichts der politischen Spaltung des Landes nicht leicht haben, seinen Plan durchzusetzen – unabhängig von dessen Inhalt.