Wirtschaft und Abgeordnete enttäuscht vom Datenschutzgipfel
Während Unternehmensverbänden die geplante Opt-in-Pflicht bei der Weitergabe von Kundendaten zu weit geht, sprechen Parlamentarier von einem "Alibi-Aktionismus" und nicht ausreichenden Ergebnissen.
Wirtschaftsverbände haben ablehnend auf die Ergebnisse des Datenschutzgipfels reagiert. Die geplante Stärkung der gesetzlichen Regeln zur Sicherung der Privatsphäre im Unternehmensbereich schießt ihrer Ansicht nach übers Ziel hinaus und verhindere den florierenden illegalen Handel mit Kundendaten nicht, so die einhellige Meinung der Lobbygruppen. Abgeordneten im Bundestag geht die unter anderem geplante Erfordernis zur Einwilligung in die Weitergabe von Adressdaten durch die Verbraucher sowie die Erhöhung des Bußgeldrahmens dagegen nicht weit genug. Die Parlamentarier wollen Mitte September bei einem eigenen Gipfeltreffen auf Einladung des Vorsitzenden des Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), selbst Vorschläge zur Verbesserung des Datenschutzes im privaten Sektor ausarbeiten.
Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), rechnet bei der gesetzlichen Verabschiedung der Pläne aus der Bund-Länder-Runde mit schwerwiegenden Folgen für die Volkswirtschaft. Kundeninformation und zielgenaue Werbung für Produkte würden erheblich erschwert. Dies könne auch nicht im Interesse der Verbraucher sein. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hatte sich dagegen im Vorfeld gemeinsam mit Datenschützern unter anderem vehement für die beschlossene Opt-in-Bestimmung ausgesprochen.
Der Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) sieht gar zahlreiche Unternehmen in ihrer Existenz bedroht. Ein Sprecher der Vereinigung betonte, dass durch die Vorschläge die Möglichkeit eines kriminellen Missbrauchs von Kundendaten nicht beseitigt werde: "Da betreibt die Politik Augenwischerei." Ähnlich äußerte sich der Bundesverband des deutschen Versandhandels. Der IT-Branchenverband Bitkom warnte ebenfalls vor dem Vorstoß. Die Vorschriften müssten sich auf bestimmte Bereiche des gewerblichen Datenhandels beschränken. Sie könnten dort sinnvoll sein, wo Daten erhoben würden, ohne dass eine Kundenbeziehung bestehe oder angebahnt werde.
Der SPD-Innenpolitiker Michael Bürsch zeigte sich genau aus entgegengesetzten Gründen enttäuscht über den Ausgang des Gipfels. Außer kurzfristigen, von der SPD schon lange geforderten Änderungen sei nichts herausgekommen, erklärte er laut dpa. "30 Jahre nach Erlass des Datenschutzrechts hat sich klar gezeigt, dass es den technischen und gesellschaftlichen Anforderungen an Datenschutz in vieler Hinsicht nicht mehr gerecht wird." Der SPD-Datenschutzexperte Jörg Tauss sprach von einem "plötzlichen Alibi-Aktionismus".
Der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth reichen die Beschlüsse ebenfalls nicht aus. "Das Schneckentempo der Bundesregierung ist der Situation nicht angenmessen." Die Wirtschaft müsse stärker zu Datenschutz und -sparsamkeit verpflichtet werden. Zudem sei Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die "größte Datenkrake". Unter dem Strich bleibe es bei Ankündigungen und Unklarheiten, ergänzte Nicole Maisch, Sprecherin für Verbraucherpolitik der Grünen. Wer einen wirklichen Schutz der Verbraucher vor Datenmissbrauch wolle, für den sei Schäubles Wandlung vom Schnüffel-Saulus zum Datenschützer-Paulus nicht glaubwürdig.
Ins gleiche Horn stieß FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Ihr zufolge ist der Datenschutz im öffentlichen Bereich genauso dramatisch bedroht wie in der Wirtschaft. Der Staat müsse die Datensammelwut insgesamt eindämmen, um Missbrauchsgefahren zu verhindern. Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, kritisierte ebenfalls die staatlichen Datensammlungen, sprach aber mit Blick auf die geplanten Verschärfungen auch von ersten Schritten in die richtige Richtung.
Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) äußerte sich skeptisch über eine tatsächliche Verbesserung des Datenschutzes. Die Ergebnisse des Spitzentreffens würden dem Bürger nicht helfen: "Seine Daten sind im Zweifelsfall schon im Umlauf, können national oder international genutzt werden, heute oder erst in 20 Jahren. Diese vagabundierenden Datensätze sind nicht wieder einzufangen." Kritisch sieht die Kripo ferner den auf Ebene der Innenministerkonferenz verabredeten Arbeitskreis, der sich mit den unterschiedlichen Datenschutzregelungen befassen soll. Dies "zeigt, mit welchen folkloristischen Ansätzen Deutschland kriminellen Machenschaften im Internet und im internationalen Datenhandel zu begegnen beabsichtigt". Bürgern, die befürchten, dass ihre Kontodaten bereits im Umlauf sind, rät der BDK zu einem Wechsel der Kontonummer. Wer sich vor unerwünschten Anrufen schützen wolle, sollte sich eine neue Telefonnummer geben lassen.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kann die laut gewordenen Einwände nicht nachvollziehen. "Dass wir so schnell zu einer Einigung finden würden, war im Vorfeld nicht zu erwarten", gab die SPD-Politikerin zu bedenken. In Richtung Wirtschaft meinte sie, dass die beschlossenen Änderungen "nicht so gravierend" seien: "Ich kann daher Befürchtungen, dass damit ein ganzer Berufsstand vernichtet würde, nicht nachvollziehen." Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) sprach von einem "Durchbruch" und machte Werbung für einen "höheren Stellenwert" des Datenschutzes in der Bevölkerung. Die Verbraucher müssten auch selbst sparsamer mit ihren personenbezogenen Informationen umgehen.
Zum Skandal um den illegalen Handel mit Kunden- und Kontendaten siehe auch:
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- Unternehmen gegen Datenhandelsverbot
- Streit um Datenschutzrecht in Mecklenburg-Vorpommern
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(Stefan Krempl) / (jk)