Ausgleichende (Un-)Gerechtigkeit

Seite 2: Wertersatz und Textform

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Wertersatz und Textform

Dreh- und Angelpunkt für die Antwort auf diese Frage sind die §§ 346 bis 354 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). In erster Linie regeln diese Vorschriften etwas anderes, nämlich die Rechte und Pflichten von Vertragsparteien im Falle eines Vertragsrücktritts (der nicht zu verwechseln ist mit einem Widerruf!). Dabei geht es um die Pflicht, die gegenseitig erbrachten Leistungen zurückzugewähren, und um die unter bestimmten Voraussetzungen bestehende Pflicht, Wert-, Nutzungs- oder Verwendungsersatz zu leisten.

Nach § 357 Abs. 1 BGB sind diese Rücktrittsregelungen aber auch beim Widerruf von online geschlossenen (Kauf-)Verträgen anzuwenden, sofern der Verkäufer als Unternehmer im Sinne von § 14 BGB gehandelt hat und der Käufer ein Verbraucher im Sinne von § 13 BGB ist.

Für die Anwendung der Rücktrittsvorschriften auf den Widerruf nennt § 357 Abs. 3 BGB allerdings eine Besonderheit: "Der Verbraucher hat abweichend von § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Wertersatz für eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung zu leisten, wenn er spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist, sie zu vermeiden. Dies gilt nicht, wenn die Verschlechterung ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist. § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 findet keine Anwendung, wenn der Verbraucher über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden ist oder hiervon anderweitig Kenntnis erlangt hat."

Auf Deutsch: Beim Rücktritt vom Kauf sieht das Gesetz einen Wertersatz für den Fall vor, dass der Zustand des Kaufgegenstands bei der Rückgabe schlechter ist als zuvor. Keinen Wertersatz soll es jedoch dann geben, wenn diese Verschlechterung bloß darauf zurückzuführen ist, dass der Käufer den Kaufgegenstand ganz normal genutzt hat. Ein solcher Kaufrücktritt findet etwa im Rahmen des Gewährleistungsrechts möglicherweise noch nach über einem Jahr statt – es ist einsichtig, dass da weder das Aufschneiden einer Blisterversiegelung noch eine alltägliche, sorgfältige Nutzung durch den Käufer ein Hindernis bilden darf.

Beim Widerruf ist das jedoch anders: Eine Verschlechterung durch eine normale Nutzung muss der Verkäufer hier nicht einfach ersatzlos hinnehmen. Der Käufer muss Ersatz leisten – und zwar dann, wenn er die betreffende Sache stärker genutzt hat als nur für eine bloße Funktionsprüfung. Aber diese Ersatzleistung muss er nur bringen, wenn der Verkäufer ihn zuvor "in Textform" darauf aufmerksam gemacht und ihm auch einen Weg genannt hat, diese unangenehme Konsequenz zu vermeiden.

Schließlich betont das Gesetz noch einmal, dass vor der Wahrnehmung des Widerrufsrechts nicht mehr als eine bloße Funktionsprüfung erfolgen soll: Beim Widerruf muss eine Verschlechterung des Kaufgegenstands auch dann durch einen Wertersatz ausgeglichen werden, wenn sie bloß durch eine alltägliche Nutzung zustande gekommen ist und der Käufer die Ware ganz einfach wie sein übriges Eigentum behandelt hat. Voraussetzung dafür: Der Käufer wusste über sein Widerrufsrecht Bescheid und konnte insofern eine "bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme" während der Widerrufsfrist vermeiden.