Plug-in-Hybrid im Geländewagen: Land Rover Defender P400e
Es ist wohl als eine zarte Annäherung an den Zeitgeist zu verstehen, dass es nun auch im Defender einen Plug-in-Hybridantrieb gibt. Eine erste Ausfahrt.
- Jürgen Wolff
Oh je, wird sich wohl manch ein Traditionalist denken: War es wirklich nötig, den Defender mit einem Plug-in-Hybrid zu versehen? Jenen Geländewagen, den man einst gefühlt notfalls mit Taschenmesser und Kieselstein in der Wildnis reparieren konnte? Ein erster Fahrbericht zeigt indes, dass das Ergebnis nicht schlecht ist. Und dennoch eine Menge Fragezeichen hinterlassen kann.
Weiterkommen im Gelände
Der aktuelle Defender, der seit 2019 auf dem Markt ist, hat mit einem klassischen Geländewagen, der Leiterrahmen und Starrachsen mitbringt, nichts mehr zu tun. Land Rover ist in Richtung SUV abgebogen, was Fans bedauern, Controller aber begrüßen. Für ein SUV kann der Defender im Gelände aber noch immer eine ganze Menge, vermutlich mehr als fast alle Konkurrenten. Bei 45 Grad Schräglage neigt sich der Fahrer wie von allein in Richtung Beifahrertür und hofft, dass das üppige Frühstück den Schwerpunkt nicht ungünstig verschoben hat. Der Defender kommt im Gelände fraglos weiter als die so populären SUV es vielfach andeuten. Er ist einer der wenigen, die in dieser Hinsicht keine Blender sind.
Die Bodenfreiheit beträgt 291, die Wattiefe 900 mm; die Böschungswinkel liegen vorne bei 38 und hinten bei 40 Grad, der Rampenwinkel bei 28 Grad. Die Steigfähigkeit liegt ebenso wie der seitliche Neigungswinkel bei 45 Grad. Eine blanke Felswand hoch: Kein Problem. Rechts abbiegen in einen – nennen wir es mal – Weg voller grobem Geröll: Kein Problem. Erst sackt der rechte Vorderreifen in eine tiefe Mulde und das linke Hinterrad schwebt frei in der Luft, dann wühlt sich das Vorderrad mit gefühlvollem Gaseinsatz hoch, das Hinterrad bekommt wieder Bodenkontakt.
Land Rover Defender P400e außen (6 Bilder)
Viel mehr Komfort
Auf befestigten Straßen ist der Defender dagegen ein komfortables SUV. Nichts mehr von dem kernigen Charme des Arbeitstieres, das man nur lieben oder hassen konnte. Wer größer ist als 1,65 Meter ist, musste sich im alten Defender zwischen Lenkrad und Rückenlehne quetschen, das Fenster der Fahrertür ließ man selbst als schmalbrüstig gebauter Mensch auch bei Kälte freiwillig offen, um überhaupt ein wenig Platz für den linken Arm zu haben. Beim Neuen sind die Sitze bequem und vielfach einstellbar, wie auch das Multifunktions-Lenkrad. Reichlich Platz und Ablagen, robuste Haltegriffe rundum, viele sinnvolle Assistenzsysteme für On- und Offroad. Unsicher, ob die Räder wirklich gerade auf der kleinen Brücke aus zwei Baumstämmen links und rechts ausgerichtet sind? Kameras blicken an den Seiten runter und zeigen jeden Millimeter.
Keine neuen Rekordwerte beim Verbrauch
Es ist vermutlich vor allem dem Zeitgeist geschuldet, dass der Defender mit einem Plug-in-Hybrid versehen wurde. Er hilft der Marke beim Flottenverbrauch, der tatsächliche Nutzen für die Umwelt gegenüber den anderen Modellen ist dann doch recht übersichtlich. Immerhin sind hier insgesamt knapp 2,6 Tonnen Material verbaut. Wenig tröstlich: Der im Februar 2021 vorgestellte V8-Benziner ist noch etwas schwerer. Dass die Bewegung solcher Massen einen gehörigen Einsatz von Treibstoff einfordert, liegt auf der Hand. Neue Minimal-Rekorde beim Verbrauch von Sprit oder Strom wird hier niemand ernsthaft erwarten. Wer nicht nachlädt, wird im Normalfall kaum unter 10 Litern auf 100 km liegen, beim Stromverbrauch sind inklusive Ladeverluste mit 35 kWh/100 km aufwärts zu rechnen.
Land Rover Defender P400e Technik (5 Bilder)
Üppige Leistung
Der Zweiliter-Benziner mit vier Zylindern im Plug-in-Hybrid leistet 221 kW, der E-Motor, der im Getriebe eingebaut ist, 105 kW. Die Systemleistung liegt bei 297 kW, das maximale Drehmoment bei 640 Nm. Das erscheint viel, doch ist hier eben auch eine gewaltige Masse anzuschieben. Der erste Fahreindruck vermittelt dennoch eine gewisse Leichtigkeit, die sich in den Werksangaben schon andeutet: 5,6 Sekunden verspricht der Hersteller dort im Standardsprint, und wer den Defender mit 22-Zoll-Felgen bestellt, erreicht auf der Autobahn bis zu 209 km/h, andernfalls sollen es 191 km/h sein. Dieser drastische Unterschied hat natürlich nichts mit dem Format der Reifen zu tun, sondern mit ihrem Aufbau: Die Standardbereifung ist auf Halt im Gelände ausgelegt, nicht auf Stabilität für eine hohe Geschwindigkeit.
Einphasiges Ladegerät
Im WLTP verspricht Land Rover Werte zwischen 3,3 und 3,9 Liter. Die elektrische Reichweite in diesem Zyklus wird mit 43 km angegeben. Die Batterie soll einen Energiegehalt von 19,2 kWh haben, von denen sich 15,4 nutzen lassen. An Wechselstrom ist eine Ladeleistung von 7 kW möglich. Allerdings verbaut Land Rover nur ein einphasiges AC-Ladegerät. In Deutschland lässt sich die volle Leistung in der Regel also nur an öffentlicher Infrastruktur nutzen. In der heimischen Garage ist dagegen durch die Schieflastverordnung meistens bei 4,6 kW Schluss.
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Wie schnell an DC?
In der ersten Pressemeldung zum Defender PHEV erwähnte Land Rover eine Schnellladeoption. In den anderen Modellen der Marke mit diesem Antriebsstrang sind an Gleichstrom immerhin 32 kW möglich. Konfigurator und Preisliste des Defender verraten dazu – Stand heute – nichts, so haben wir bei Land Rover nachgefragt. Sehr wahrscheinlich wird sich auch der Defender mit 32 kW an Gleichstrom laden lassen, ganz genau wusste es aber auch die hilfsbereite Pressestelle nicht. Das Ergebnis ihrer Recherche reichen wir nach. Grundsätzlich ist die Entscheidung, einen Plug-in-Hybrid mit dieser Option auszustatten, vorbildlich – hoffentlich im wahrsten Sinne des Wortes.
Bequemer als zuvor
Beim alten Defender waren lange Autobahnstrecken eine Tortur: Unruhiges Fahrwerk, der Geradeauslauf eine Katastrophe, von der Geräuschkulisse ganz zu schweigen. Der Aktuelle? Geradezu ein Reiseauto. Dazu die weiteren Tugenden eines starken Allradlers: Die maximale Anhängerlast von drei Tonnen, eine statische Dachlast von bis zu 300 Kilogramm. Der neue Defender ist alltagstauglich, aber für den Alltag eigentlich zu schade. Wer nicht wirklich ab und zu ins Gelände fährt, Pferdeanhänger über matschige Feldwege zieht oder im Winter von seinem Gehöft durch den Tiefschnee pflügt, der ist mit dem neuen Defender schlicht overdressed.
Land Rover Defender P400e innen (6 Bilder)
Defender als Luxusgut
Der Basispreis der Defender 110 P400e liegt bei 74.700 Euro, wer mag, kann auch deutlich mehr als 120.000 ausgeben. Mit dem wunderbar knorrigen Waldschrat von einst hat der aktuelle Defender spätestens dann nichts mehr zu tun. Was beide verbindet, ist abgesehen vom Namen eine Geländetauglichkeit, die optisch vergleichbare Modelle anderer Hersteller nicht einmal ansatzweise erreichen.
Dass der aktuelle Defender kein Geländewagen mehr im klassischen Sinn ist, werden Fans bedauern, alle anderen eher nicht. Denn auf befestigten Wegen fährt er besser als je zuvor. Der Plug-in-Hybrid ist eine angenehme Antriebsquelle und so gesehen durchaus eine Bereicherung in diesem Sortiment. Die Umwelt profitiert nur insofern, als das der elektrisch zurückgelegte Streckenanteil durch den sich verändernden Strommix jedes Jahr etwas weniger umweltschädlich wird.
(mfz)