Test Harley-Davidson Sportster S: Härte der Moderne

Der neue, wassergekühlte V2 ist sicher der beste Motor, den Harley-Davidson je gebaut hat, aber das Fahrwerk der Sportster S geriet zu hart. Ein Test

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Eine Harley-Davidson mit Wasserkühlung war etwas, das sich die Fans der US-Bikes beim besten Willen nicht vorstellen konnten. Dann brachte die Marke aus Milwaukee Ende 2020 die Reiseenduro Pan America 1250 auf den Markt, die von einem komplett neu konstruierten Motor namens "Revolution Max 1250" angetrieben wurde. Es blieb zwar beim traditionellen V2, aber er wies einen Zylinderwinkel von 60 statt 45 Grad auf, besaß Flüssigkeitskühlung, vier Ventile pro Zylinder, je zwei obenliegende Nockenwellen und variable Ventilsteuerung. Zudem hatte der Motor zwar üppige 105 mm Bohrung, aber nur 72,3 mm Hub, was gestandene Harley-Fans völlig verwirrte, waren sie doch Hübe von deutlich über 100 mm gewohnt. Er kam auf 1252 cm3 Hubraum und leistete 152 PS bei 8750/min – am luftgekühlten Milwaukee-Eight-V2 mit untenliegender Nockenwelle würden bei solchen Drehzahlen die Ventile rausfliegen.

Ebenfalls 2020 verkündete die Chefetage in Milwaukee die Einstellung der altehrwürdigen Sportster, die seit 1957 mit luftgekühlten V2 gebaut wurde, worauf sich ein großes Wehklagen unter den Anhängern erhob. Doch nur ein Jahr später präsentierte Harley-Davidson eine komplett neu konstruierte Sportster S, die einen modifizierten Revolution-Max-Motor mit der Bezeichnung 1250T besaß. Das "T" stand für "Torque", also Drehmoment. Der Revolution-Max 1250T-Motor ist entsprechend auf mehr Drehmomentfülle bei niedrigen Drehzahlen ausgelegt und erreicht 125 Nm bei 6000/min, während die Pan America zwar 128 Nm erreicht, aber dazu muss die Kurbelwelle 6750-Mal rotieren. Dafür waren tiefgreifende Maßnahmen im Motor nötig, der Revolution Max 1250T erhielt eine angepasste Software, modifizierte Kolben, kleinere Ventile, andere Nockenwellen und verengte Ansaugquerschnitte im Luftfilterkasten. Dabei blieben jedoch auch etliche Pferdestärken auf der Strecke, die Sportster S bringt es auf 122 PS bei 7500/min.

Der wassergekühlte, kurzhubige Revolution Max 1250T ist der beste Motor, den Harley-Davidson je gebaut hat.

(Bild: Gach)

Die Designer gingen bei der neuen Sportster S in Richtung Muscle-Bike, eine Stilrichtung, die ihre Kraft unverhohlen zur Schau stellt und hauptsächlich dazu dient, auf dem Boulevard von Ampel zu Ampel zu sprinten. Sie zeigt sich sehr flach und mit breiter (Kühler)-Brust versehen. Tanks waren an Sportstern schon immer klein, da macht die Neue keine Ausnahme. Der Einzelsitz und das knappe, rundliche Heck sowie der hochgelegte Doppelrohrauspuff aus Edelstahl sollen eine Reminiszenz an die ruhmreichen Flat-Tracker von Harley-Davidson sein. Serienmäßig ist die Sportster S als Solomotorrad ausgelegt, wer jemanden mitnehmen will, muss mindestens 219 Euro für einen Soziussitz und 186 Euro für Soziusfußrasten aus dem hauseigenen Zubehör blechen. Beim Rahmen schlugen die Entwickler neue Wege ein. Vorne hält ein Hilfsrahmen die Upside-down-Gabel, ein Heckrahmen und noch ein kleiner Hilfsrahmen hinten nehmen den Motor als tragendes Element auf. Auffallend ist die adrette Schwingenkonstruktion aus Rundrohren.

Die Sportster S wird, wie alle Harley-Davidsons für den europäischen Markt, nicht in den USA, sondern in Thailand gefertigt. Für einige hartgesottene Harley-Davidson-Fahrer ist das eine Abkehr vom Glaubensbekenntnis. Mich stört das nicht, die Qualität ist ganz sicher nicht schlechter und das Produkt identisch. Das Motorrad wirkt sehr hochwertig und die Verarbeitungsqualität ist tadellos. Als einzigen Kritikpunkt fand ich leichten Flugrost in der offenen Schwingenachse, hier würde eine Kappe schnelle Abhilfe schaffen.

Harley-Davidson Sportster S (4 Bilder)

Die Sportster S ist die moderne Fortsetzung einer altehrwürdigen Linie im Hause Harley-Davidson.
(Bild: Gach)

Die Sportster S bringt 228 kg auf die Waage, für eine Harley-Davidson ist sie ein echtes Fliegengewicht. Merkwürdigerweise ist beim Rangieren kaum etwas davon zu merken, sie lässt sich nur behäbig bewegen und hat einen Wendekreis wie ein Öltanker. Beim ersten Aufsitzen muss ich mich tief sinken lassen, die Sitzhöhe beträgt nur 765 mm. Ich bin gezwungen, bis zum flachen und breiten Lenker den Oberkörper deutlich vorzubeugen. Wer jetzt – wie bei einem sportlichen Naked Bike üblich – die Fußrasten unter sich sucht, tritt ins Leere. Die Rasten hat Harley-Davidson an der Sportster S wie an seinen Cruisern weit vorne angebracht, so dass sich eine ergonomisch sehr ungünstige Körperhaltung ergibt.

Einen Zündschlüssel gibt es nicht, wohl aber einen Schlüssel für das Lenkerschloss und den Tankdeckel. Die Sportster S verfügt über ein Keyless-Entry-System. Rechts am Lenker muss ein Schalter nach unten bewegt werden, damit das runde TFT-Cockpit aufleuchtet. Es dauert etliche Sekunden, bevor der Bordcomputer alle Daten gesammelt hat und Abfahrbereitschaft signalisiert. Ein kurzer Druck auf die Starttaste und der V2 böllert los, leider mit hohem Standgas. Die Lautstärke aus den übereinanderliegenden Serien-Auspuffrohren ist erfreulich dezent, was wieder einmal beweist, dass die extrem lauten Harleys alle von ihren Besitzern mit anderen Auspuffanlagen versehen wurden.

Ein Muscle-Bike aus Milwaukee mit flacher Linie und dezenten Anleihen am Flat-Track.

(Bild: Gach)

Der nächste Aha-Effekt erfolgt beim Einlegen des ersten Gangs: Was früher bei Harley-Davidson-Getrieben stets von einem markerschütterndem "Klonk" quittiert wurde, erfolgt nun butterweich und mit dezenter Geräuschkulisse. Interessanterweise hält Harley-Davidson auch bei seinem sportlichsten Modell am Zahnriemenantrieb zum Hinterrad fest und verzichtet auf den in der Klasse üblichen Kettenantrieb.

Das TFT-Cockpit zeigt sich auf Höhe der Zeit, es lassen sich die üblichen Informationen abrufen und zudem per Bluetooth-Verbindung und der entsprechenden App auf dem Smartphone Musik abspielen, Telefonieren und Navigieren mittels angezeigter Pfeile. Am linken Lenkerende befindet sich eine unübersichtliche Fülle von Bedientasten. Fünf Tasten für das Navigieren im Menü, eine Hometaste zum Zurückspringen, eine für Fernlicht/Abblendlicht, eine für die Griffheizung, zwei Schalter für den Tempomat und zwei Tasten deren Bedeutung ich erst nach intensivem Studium des dicken Handbuchs herausfinde. Den Blinker und die Hupe so ungünstig unterhalb des knubbeligen Plastikgehäuse zu platzieren, dass sie mit dem Daumen kaum erreichbar sind, ohne den Griff loszulassen, ist eine Fehlkonstruktion.

Mit nur 765 mm Sitzhöhe passt die Sportster S für fast alle Körpergrößen.

(Bild: Gach)

Harley-Davidson stellt drei Fahrmodi (Rain, Road und Sport) sowie einen frei konfigurierbaren Modus bereit, in dem der Fahrer Motorbremse, Kurven-ABS und Schlupfregelung in mehreren Stufen einstellen kann. Der Rain-Modus kappt die Leistung gefühlt um die Hälfte und fällt zu zaghaft aus, der Sport-Modus ist etwas zu forsch, aber der Road-Modus erweist sich als passend mit ausreichend direkter und dennoch weicher Gasannahme. Der Revolution Max 1250T-Motor ist beeindruckend, er hat ab Standgas viel Leistung und Drehmoment, reißt bis 7000/min linear an, darüber wirkt er allerdings etwas zäh bis zum roten Bereich bei 9000/min. Hier zeigen sich die Modifikationen im Vergleich zur Pan America 1250, die einen deutlichen Hänger im mittleren Drehzahlbereich hat, darüber aber bis 9000 Touren durchstürmt.

Dabei kennt der Revolution Max 1250T-Motor kaum Vibrationen, eine Tatsache, die hartgesottene Harley-Davidson-Fahrer entsetzen dürfte, die ich aber sehr zu schätzen weiß. Die Kupplung funktioniert erfreulich leichtgängig, das Sortieren der Gänge ebenfalls. Beim Befehl "Vollgas" im Sport-Modus heißt es, sich gut am flachen Lenker festzuhalten, die Sportster S ist ein echtes Sprinttalent, doch auch beschauliches Cruisen im letzten Gang beherrscht sie tadellos. Auf der Autobahn erreicht die Sportster S 220 km/h. Das ist zwar ohne jeglichen Windschutz nicht angenehm für den Fahrer, aber beeindruckend. Der Revolution Max 1250T ist der beste Motor, den Harley-Davidson je gebaut hat.

Das Problem der Sportster S liegt im knüppelharten Fahrwerk. Die voll einstellbare Upside-down-Gabel und das hintere Federbein von Showa verfügen nur über minimalistische Federwege von 92 mm vorne und 51 mm hinten. Jegliche winzige Unebenheit im Asphalt wird gnadenlos an den Fahrer weitergeleitet, Löcher oder Wellen bedeuten Schläge in den Hintern und die Handgelenke. Selbst wenn das Federbein über das außenliegende Handrad maximal vorgespannt wird, tritt kaum Besserung ein.