Was war. Was wird.
When the night has come? Ach, genießen wir noch etwas den Sommer, meint Hal Faber, auch wenn selbst in einem heißen August der IT-Landschaft etwas Ordnung gut täte. Machen wir uns also an die Arbeit...
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Sommer, Sonne, Ferien. Nein, es sind nicht mehr die Ferien aus der Schulzeit, als man sich 6 Wochen lang in den Wäldern und Seenlandschaften herumtrieb, ein Gefühl, das man als Erwachsener höchstens noch beim Anschauen von Stand By Me nachvollziehen kann, ein Gefühl, das sich seitdem auch immer in die Gehirnwindungen schleicht, wenn Ben E. King oder von mir aus auch John Lennon loslegen. Ach, ach, so rennt denn ein kleiner Kolumnist nicht der Zeit, sondern diesem Gefühl hinterher, sei es in französischen Atlantikwellen oder kalabrischer Dürre, sei es in kastilischer Hitze oder gomerischer Wohltemperiertheit. Ja, es ist Sommer, immer noch, auch wenn die Ferien nach und nach zu Ende gehen. Genießen wir ihn noch ein bisschen, gilt mir doch schon seit Kindertagen der August als heißester und schönster Monat des Jahres.
*** Also: Was gibt es Schöneres, als im Sommer faul am Strand zu liegen und auf die Flut zu warten, die die Wellen bringt, für die ein Surfer lebt? Nicht jeder hat es so einfach wie der in San Jose lebende Biometrie-Papst Jim Wayman, der grundsätzlich keine Vorlesungen gibt, wenn die Flut kommt, und das selbst im tiefsten kalifornischen Winter. Winter? Winter? Da war doch etwas? Richtig, wenn es bei uns klirrt und matscht, wird der Start der LKW-Maut mit Feuerwerk und dergleichen mehr gefeiert. So richtig zum Aufgeilen in brütender Hitze gebührt dem manager magazin Dank, das uns darüber aufklärt, was für tolle Kameraden es sind, diese Super-Programmierer, die da für Toll Collect ins vaterländisch wichtige "Maut-Manöver" ziehen. Vom Artikel behalte ich die schöne Sentenz zurück und brenne sie (noch abgabenfrei) ins Gehirn: "Mit einem Wort, die Wirtschaftswelt steckt voller Wunder. Einerseits. Andererseits steckt sie aber auch voller Wahnsinn." Wirtschaft -- Wunder -- Wahnsinn, das sind die Themen, die ins WWWW passen, Blasphemie vom Feinsten sozusagen.
*** Lassen wir das also mit dem Sommer und den Ferien, mit dem Wellen und dem Sand, mit den Büchern, die zu lesen und den Gedanken, die zu ordnen waren. Ordnen wir die Schnippsel der vergangen Woche, und fangen wir mit der Wirtschaft an, begeben wir uns vom Strand weg nach Brüssel, wo die EU-Kommission die den Wettbewerb behindernden Praktiken der Firma Microsoft untersucht. Wundersam ist es schon, dass Microsoft den "Schlaf der Vernunft" (Deutsche singen bei der Arbeit) nicht mitmacht und bei der Rechtschreibung den Weg nach Vorn beschreitet. Aber wie wäre es mit der Berufung von Nickel Neelie Kroes-Smit zur obersten Wettbewerbshüterin? Die Frau, die als Leiterin der Privatuniversität Nijenrode im Jahre 1996 Bill Gates mit der Ehrendoktorwürde auszeichnete und in einer Rede den Vater von Windows lobte, ist Microsoft wohlgesonnen. Dafür gab es damals heftige Kritik: Einen Ehrendoktor für die Großtat, der Welt den schweren Ausnahmefehler geschenkt zu haben, das fand Dap Hartmann zuviel des Guten: "Ph.D.s are intended to accolade scientific accomplishment, and should not be handed out like evaluation copies of Windows 2000 or OBEs."
*** Von den Ehrendoktoren der Wirtschaft kommen wir, immer brav beim Ordnen, zu den Wundern derselbigen. Sie sind in der IT-Branche weitaus häufiger anzutreffen als allgemein vermutet wird. Schon der erwähnte Ausnahmefehler bringt Laien zum Grübeln über den Sinn des Lebens, sodass die Idee eines nach den Prinzipien des Feng Shui gestalteten Motherboard nicht so abwegig ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Nach einer Pressemitteilung der Geek Squad fürchten 9 von 10 Amerikanern den Computercrash mehr als den Tod oder die Steuerfahndung. Die Geeks, die in dieser Todesschwadron gegen die Ausnahmefehler antreten, müssen etwas viel Schwierigeres bewältigen als die Linuxer, die zusammen mit Richard Stallman den Programmer's Song klatschen müssen, ohne aus dem vertrakten Takt zu kommen. Sie müssen nämlich mit Anwendern leben, die unter anderem an diese "Rechte" glauben.
-- You have the right to trust your computer with your life.
-- You have the right to a life without manuals.
Und wer über die doofen Amerikaner lacht, sei auf die deutschen Sophisten verwiesen, die ein Support-Handbuch mit dem schönen Kapitel "Hellsehen für Fortgeschrittene" offerieren.
*** Wie ordentlich, genau. Vom okkulten Wunder zum hellen Wahnsinn kommt man dann schnell zur Böll-Stiftung, die sich mit Innovationen befassen will, aber sprachlich nur eine Vorlage für das beliebte Bullshit Bingo liefert, wenn von den "unübersehbaren Schwächen des industriegesellschaftlichen Innovationsparadigmas" gefaselt wird. So eine gigantisch unübersehbare Schwäche wird dann durch "partizipative kooperative Wissenspolitik" überwunden. Ist es nicht Wahnsinn, wie auf der systemischen Ebene Geschäftsmodelle von Menschen mit eigenem Antrieb (vulgo: user-driven) Innovationen auslösen? Nehmen wir nur die 100.000 Wiesn Cards und 450 Terminals, die auf dem Oktoberfest mit einer neuen Lösung das Kampftrinkparadigma neu definieren, ganz ohne alkoholisiert abgegebene Fingerabdrucke. Innovation unter dem Druck des Allokationsprinzip knapper Güter oder einfach nur Big Brother?
*** Zu den wichtigen Nachrichten dieser Woche kann man den Lackmus-Test der GPL zählen, den IBM in den USA nun doch vor Gericht bestreiten will, ausgerechnet gegen SCO, die aus der GPL eine hübsche kleine Erwerbsmaschine zimmern möchte. Damit ist nicht ausgemacht, dass das Gericht der Interpretation deutscher Gerichte folgt. Was bei SCO derzeit abläuft, hat ein Hal-Fan mit diesem leicht unsittlichen, chauvinistischen, geschmacklosen Link beschrieben, der nicht bei Shakespeare zu finden ist. Auch bemerkenswert: Gregory Blepp, der auf der CeBIT seine Visitenkarten als Vice-President SCOsources verteilte und für das weltweite Lizenzgeschäft außerhalb der USA zuständig war, ist nunmehr nur noch ein einfacher Consultant, ein Handlungsreisender ohne Koffer und Fortüne. Wie knüllreimte schon der übersetzte Shakespeare: "Wenn Ihr die hohlen Eier so gern habt als die hohlen Köpfe, seid Ihr wohl schal genug, die Schalen ohne Eier zu essen." Beim Hohlkopf sei mir noch der kleinlich wirkende Verweis erlaubt, dass beim -- brumm, brumm -- Star-Analysten Rob Enderle mit seinem Ferrari Laptop inzwischen offensichtlich Frau Enderle die Geräte rezensieren muss, damit die Familie ein Auskommen findet.
*** Der für mich wichtigste Geburtstag -- ja, okay, ich sehe hier einfach mal vom Hundersten ab, den Count Basie am gestrigen Samstag gefeiert hätte. Denn der eigentlich für mich wichtigste Geburtstag wird ausnahmsweise einmal nicht von einem Musiker, sondern von Ray Bradbury gefeiert, bekannt als Autor der Mars-Chroniken und Original-Autor von Fahrenheit 451. Der 84-Jährige gehört zur Gilde der Science-Fiction-Autoren, die sich als Handwerker in einem großen logischen Puzzle verstanden. Wer alle Teile richtig zusammensetzt, der hat die Zukunft gesehen, so beschreibt Dietmar Dath, leider auf unleserlichem E-Paper der FAZ, die heroische Ära der Science-Fiction. Ray Bradbury zählt jene Mary Bradbury zu seinen Vorfahren, die als Hexe von Salem verbrannt wurde. Von ihr hat er den Kampf gegen Unwissenheit und Intoleranz übernommen. Heute gibt es nur noch Schinken wie die von Bruce Sterling und keine wirklich gut gemachten Kurzgeschichten wie die über 600 Stücke von Bradbury, die ein kleines Stück des Puzzles zum Leben erwecken. "I don't try to describe the future. I try to prevent it." Mach es weiter, Ray.
Was wird.
Hören wir auf mit dem Ordnen. Ob Maschsee oder Atlantik, Steinhuder Meer oder Mittelmeer, ob eigentlich gar nicht italienisches Sizilien oder nur wenig afrikanische Spanien-Inseln: Die richtigen Wellen sind da, die Sonne lockt, die einzig richtigen Ferien, das ist es. Was lohnt es sich dann noch, über die Zukunft zu schreiben. Richtig putzig sieht sie in Bielefeld aus, wo der Big Brother Award verliehen wird. Brav wird da an den Nominierungsschluss erinnert, wo doch der Preisträger längst fest steht. In einer Republik, in der die Manager in jedem Halbsatz die amerikanischen Verhältnisse verklären, aber bei der verlangten Offenlegung ihrer Gehälter die Phimose kriegen, ist das von den Datenschützern kritisierte Auskunftsersuchen von Hartz IV ein Skandal ersten Ranges. In Deutschland entsteht die weltgrößte Vergleichsdatensammlung von Löhnen und Einkünften, die eine Rasterfahndung unter den Unzufriedenen und zu kurz Gekommenen gestattet, sofern die Software funktioniert. Mit dem Herrn Hartz steigt eine Sozialdemokratie in ihr Grab, die ihren fatalen Hang zu Großprojekten von der Maut bis zur Gesundheitskarte niemals ablegen konnte. Was folgt, ist das Merkel. Der Rest ist Software.
Wer Billy für ein Regal einer schwedischen Elch-Dynastie hält, wird nicht mehr wissen, dass mit Billy O., der Billete, Billy Clack und Billy Compur und vielen anderen Billys die Deutschen zur Fotografie kamen, so, wie anderswo Kodak einem Land das Knipsen beibrachte. Nun hat AGFA, die Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrication, das Fotogeschäft verkauft. Überleben will man mit der Bilddokumentation, die mit der e-Patientenakte und der Gesundheitskarte große Geschäftsfelder eröffnen soll. Wenn demnächst die Photokina zum Sommerende ihre Pforten öffnet, werden Nokia und Microsoft mit ihren Hilfsprogramme für den Foto/Lebensblog die Szenerie bestimmen und kämpfen, wer die Herrschaft über den digitalen Schuhkarton voller Bilder bekommt. Derweil ist Agfa Geschichte. Aber wen interessiert schon ein Foto, wenn die richtige Welle kommt? In diesem Sinne: Schöne Sonne noch, wo immer ihr auch sein mögt. (Hal Faber) / (jk)