Skandal um PFAS: Wirtschaftsministerium im Banne der Chemie-Lobby
Einem Investigativbericht zufolge wurde die Chemieindustrie bei der Abwehr eines Verbotes problematischer PFAS vom grĂĽnen Wirtschaftsministerium unterstĂĽtzt.
PFAS-Symbolbild: Quasi nicht mehr aus der Natur zu bekommen.
(Bild: dba87 / Shutterstock)
Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS, sind so geniale wie teuflische chemische Substanzen: Sie sind aufgrund ihrer molekularen Struktur quasi unzerstörbar und damit für viele Anwendungsbereiche attraktiv, doch diese Eigenschaft sorgt auch dafür, dass sie sich als Ewigkeitschemikalien quasi für immer in der Natur anreichern – auch im menschlichen Körper. Entsprechend versuchen Politik und Umweltschützer seit Jahren, die Nutzung zumindest einzuschränken – von der Teflon-Pfanne über die regendichte Jacke bis zur Industrieanlage. Bislang ist der Erfolg jedoch nur gering und das Problem wird immer größer (siehe PFAS-FAQ und Interview).
Das hat auch mit einer gut geölten Lobbymaschine zu tun. Und die hatte in der Europäischen Union offenbar gute Verbindungen in höchste Kreise – in Deutschland auch bis in das von Robert Habeck geführte grüne Wirtschaftsministerium, von dem die Wähler hofften, dass er ökologischer handelt als Vorgänger wie CDU-Mann Peter Altmaier. Einem Bericht des Investigativverbundes von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zufolge gab es hier jedoch eine bemerkenswert enge Kooperation mit den PFAS-Fabrikanten. Die Recherche erfolgte im Rahmen des Forever Lobbying Project, an dem auch die deutsche Ausgabe der MIT Technology Review (gehört zur Heise-Tochter yeebase) und weitere internationale Medien teilnahmen. Die Ministeriellen hätten PFAS-Behauptungen falscher Art übernommen und seien so "der Chemie-Lobby auf den Leim" gegangen, so die Rechercheure.
"Polymers of Low Concern"
2023 hatte die Bundesrepublik zusammen mit vier weiteren Ländern den Vorschlag gemacht, PFAS grundsätzlich zu beschränken. Man wollte in der Forschung demonstrierte gesundheitliche Auswirkungen endlich stoppen oder zumindest verlangsamen – von der PFAS-Hormonwirkung, die Unfruchtbarkeit auslösen kann, über Krebserkrankungen bis hin zu Leber- und Nierenpathologien. Nach der Bekanntgabe setzte sich erwartungsgemäß die Lobbymaschine in Gang. Die EU-Chemikalienaufsicht ECHA erhielt Tausende Schriftsätze, in denen die Industrie aufführte, dass das alles doch nicht so schlimm sei. Besonders im Bereich der sogenannten Fluorpolymere, die dank ihrer Antihaftwirkung zahlreiche Anwendungen in Industrie und Haushalt haben, soll stark Stimmung gegen ein Verbot gemacht worden sein. Man habe dabei von "Polymeren geringer Bedenklichkeitsstufe" (Polymers of Low Concern) gesprochen. Die seien also letztlich nicht gesundheitsgefährdend.
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Allerdings ist die Unbedenklichkeit umstritten. So habe die Industrie eine Haltung der Internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) verbreitet, laut der diese den "Low Concern" genauso sehe. Allerdings tut sie das gar nicht. "Es besteht keine Einigkeit darüber, dass Fluorpolymere wenig besorgniserregend sind", war auf ihrer Website zu lesen. Laut dem Investigativbericht wurden auch nur wenige wissenschaftliche Studien als Beweise durch die Industrie angeführt, so etwa zwei Paper in fast 1000 Textstellen. Darin heißt es unter anderem, Fluorpolymere seien "zu groß", um menschliche Zellen zu schädigen. Die Studien seien jedoch von der Industrie bezahlt oder die Forscher deren Berater. Weiterhin behauptete die Chemielobby, es sei möglich, Fluorpolymere in geschlossenen Kreisläufen herzustellen, ohne dass diese in die Umwelt gelangen. Doch das ist bei aktuell laufenden Fabriken nicht der Fall, sagen Experten.
Habeck sieht Gefahr einer Ăśberregulierung
Trotz dieser problematischen Argumente soll das Habeck-Ministerium diese übernommen haben, was auch dazu führte, dass die umfassende PFAS-Beschränkung wohl nun nicht kommt. Bereits 2023 sagte der heutige Grünen-Kanzlerkandidat Habeck, er sehe die Gefahr einer Überregulierung – bei den Ewigkeitschemikalien der Fluorpolymerklasse. "Zumal der Einsatz in geschlossenen Systemen in der Produktion erfolgt." Der grüne Wirtschaftsminister ist damit mit dem Kanzleramt unter SPD-Mann Olaf Scholz auf einer Linie, wo es hieß, man lehne "pauschale, undifferenzierte Verbote ganzer Stoffklassen" ab. Das wiederum dürfte das Ende des vollständigen PFAS-Endes sein.
Bei einem Treffen vor einem Jahr soll das Bundeswirtschaftsministerium der Industrie die gute Nachricht bereits überbracht haben: Man will Fluorpolymere von den geplanten Beschränkungen grundsätzlich ausnehmen. Auch hier wurde die Bezeichnung "Polymers of Low Concern" wiederholt. Das Habeck-Minsterium soll zudem, zusammen mit den Wirtschaftsministern von 16 Bundesländern, Horrorzahlen der Industrie übernommen und verbreitet haben – darunter eine große Geldsumme, die der Chemieproduktion bis 2040 pro Jahr verloren gehen würde, sollte es zu den geforderten Beschränkungen kommen.
(bsc)