Digital Services Act in Deutschland: Großgesetz mit Startschwierigkeiten

Seit fast einem Jahr gilt der Digital Services Act uneingeschränkt für alle Dienstanbieter im Netz. Bei der Bundesnetzagentur sind 850 Beschwerden aufgelaufen.

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(Bild: Undrey/Shutterstock.com)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Seit bald einem Jahr gilt das Digitale-Dienste-Gesetz auch für die kleineren Anbieter im Netz. Teils fehlen noch europäische Vorgaben, teils legen sich Anbieter mit der EU-Kommission an. Doch schaut man nur auf die rein deutschen Verhältnisse, ist beim DSA außer viel politischem Streit bislang eher wenig passiert.

Die Bundesnetzagentur (BNetzA), die in Deutschland als Digitaler-Dienste-Koordinator für dessen Durchsetzung federführend ist, hat nach Aufnahme der Tätigkeit im Mai 2024 bislang 850 Beschwerden erhalten. Das teilte die Bonner Aufsichtsbehörde auf Anfrage von heise online mit. "Hauptthemen sind die Benutzerfreundlichkeit der Meldewege bei illegalen Inhalten, nicht ausreichende Begründungen bei Entscheidungen zu Entfernungen und Nichtentfernungen sowie Beschränkungen von Accounts, Inhalten und Diensten", erklärt eine Sprecherin der Behörde.

Gegen drei Plattformbetreiber werden durch die Bundesnetzagentur derzeit Auskunftsersuchen vorangetrieben, die Vorstufe eines förmlichen Verfahrens, das dann auch Geldbußen nach sich ziehen kann. Einer der Anbieter hatte dabei keinen rechtlichen Vertreter in der EU benannt, was unter dem DSA jedoch Pflicht ist.

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Aus einer nun veröffentlichten umfangreichen Antwort auf eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag geht zudem hervor, wie die DSA-Aufsichtsbehörde, die personell bislang unzureichend ausgestattet war, bislang agiert hat. So hat die Aufsichtsbehörde bis Dezember fünf Anträge für außergerichtliche Schlichtungsstellen erhalten und 22 Anträge auf den Status als vertrauenswürdiger Hinweisgeber ("Trusted Flagger"). Meldungen durch Institutionen mit diesem Status müssen von den Betreibern zeitlich priorisiert abgearbeitet werden.

Kritik an der ersten von der Bundesnetzagentur als Trusted Flagger anerkannten Stelle weist die Bundesregierung zurück: Der DSA erfordere, dass diese "unabhängig von jeglichen Anbietern von Online-Plattformen sein" müssten. Eine Finanzierung etwa durch staatliche finanzielle Unterstützung widerspreche dem Status im Sinne des Gesetzes hingegen nicht. Über den ersten anerkannten Trusted Flagger war im vergangenen Jahr ein in weiten Teilen ungerechtfertigter Sturm der Empörung hereingebrochen.

Im Zusammenhang mit dem DSA sieht die Bundesregierung weiteren Handlungsbedarf bei den Onlinemarktplätzen. Auch diese unterliegen mit spezifischen Vorschriften dem DSA. Sie arbeite derzeit an einem "umfassenden Aktionsplan zu E-Commerce", teilt sie in ihrer Antwort auf die Unionsfraktionsanfrage mit. Insbesondere die Tätigkeit der Marktüberwachungsbehörden, die etwa Kontrollen von Warensendungs-Einfuhren auf deren Einhaltung von EU-Vorgaben wie der Produktsicherheit und des Gesundheitsschutzes durchführen sollen, sollte stärker auf den Onlinehandel fokussiert werden. Auch die Zusammenarbeit zwischen Zollbehörden und Marktüberwachungsbehörden soll weiter verbessert werden, eine Zollreform in der EU wird derzeit in Brüssel verhandelt.

Eine wesentliche Rolle könnte bei der besseren Durchsetzung der Produktsicherheitsvorschriften dem digitalen Produktpass zukommen: Liegt dieser vor, könnte er auch den Marktüberwachungsbehörden die Arbeit bei der Produktprüfung deutlich erleichtern.

Ein weiterer Aspekt des Digital Services Act ist die Meldung von vermuteten bestimmten Straftaten, die sich gegen Leib, Leben oder Freiheit von Personen richten. In diesem Fall müssen Betreiber die zuständigen Stellen aktiv benachrichtigen, sobald sie davon Kenntnis erhalten haben – in Deutschland ist dies nach dem Digitale-Dienste-Gesetz das Bundeskriminalamt. Aus einer Statistik, die in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Unionsfraktion enthalten ist, gehen dabei erstaunliche Zahlen hervor: Die meisten dieser Meldungen beim BKA kamen nicht etwa von TikTok, Telegram, Instagram Facebook oder X – sondern wurden vom Webchat-Anbieter Deutscher-Chat.de übermittelt, gefolgt von Knuddels und dem Hostinganbieter Hetzner.

Dieser Teil des DSA-Systems scheint also noch nicht sonderlich gut zu funktionieren – da die Zahlen wenig plausibel sind. Die Bundesregierung will dennoch bei der ersten Evaluation des DSA darauf drängen, "die Meldepflicht auf bestimmte, konkrete Straftatbestände wie bspw. das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und Volksverhetzung auf EU-Ebene auszuweiten." Allerdings gibt es hierfür keine EU-weit einheitlichen Definitionen und Straftatbestände.

Der Digital Services Act läuft sich knapp ein Jahr nach dem Inkrafttreten für alle Anbieter in Deutschland also erst langsam warm – noch ist von dem "Grundgesetz für das Internet" wenig Wirkung zu sehen. Dass das so bleibt, darauf sollten sich die Anbieter aber besser nicht verlassen: Mit dem neuen Jahr hat die Bundesnetzagentur nun weitere Stellen zur Durchsetzung zur Verfügung – derzeit läuft das Bewerbungsverfahren für die Leitung des unabhängigen Digitale-Dienste-Koordinatoren. Bislang erledigte Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller diese Aufgabe neben vielfältigen anderen Tätigkeiten kommissarisch mit.

(mho)