Missing Link: Angst vor der groĂźen Beeinflussung
Mögliche Wahlbeeinflussung treiben Politik und Behörden kurz vor der Bundestagswahl besonders um. Das lässt mangelndes Vertrauen in die Bevölkerung erahnen.
(Bild: I'm friday/Shutterstock.com)
Es waren einmal mehr große Worte, die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) in dieser Woche wählte: "Unsere Sicherheitsbehörden sind in allen Bereichen wachsam, um Versuche ausländischer Einflussnahme und gezielter Desinformation vor der Bundestagswahl aufzudecken und zu stoppen." Faeser hatte sich mit Vertretern von X, Google, Meta, Microsoft und Tiktok und Vertretern von Organisationen getroffen, darunter die Amadeu-Antonio-Stiftung, Correctiv und die Initiative Reset Tech. Und am Freitag traf sich die Bundesnetzagentur als deutscher Digitale-Dienste-Koordinator mit den Plattformen, um Wahlnotwendigkeiten zu im Rahmen des Digital Services Act zu besprechen.
Die Artenvielfalt der Bedrohungen, denen sich die Bundesrepublik ausgesetzt sieht, ist dabei groß. Denn Einflussnahme kann ganz unterschiedliche Formen haben – und längst nicht jede davon ist unzulässig. Wenn etwa Elon Musk glaubt, dass Alice Weidel und ihre Partei eine ganz hervorragende Wahl wären, ist das zwar eine Einmischung von einem in Deutschland Nichtwahlberechtigten. Es ist aber kein rechtliches Problem, solange damit keine Spenden oder als solche zu wertende geldwerten Leistungen für die präferierte Partei verbunden sind. Denn die sind aus dem Nicht-EU-Ausland nach Parteiengesetz strikt verboten, sobald sie mehr als 1000 Euro betragen oder einen solchen Wert darstellen.
Viel deutlicher erscheint den zuständigen Behörden und Beobachtern, wer vor dem 23. Februar unbedingt seine Finger im Spiel haben will. Die Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die wie so viele andere ihrer Vorhaben auch den angekündigten "Aktionsplan gegen Desinformation" nicht rechtzeitig vor der Bundestagswahl vorlegte, sieht vor allem einen Akteur: "Lügen und Propaganda sind Instrumente, die vor allem Russland nutzt, um unsere Demokratie anzugreifen."
Dass Putins Schergen auf unterschiedlichen Wegen versuchen, in die Wahlen aus ihrer Sicht feindlich gesinnter Staaten einzugreifen, um ein politisch günstigeres Ergebnis zu befördern, darin sind sich nahezu alle Beobachter sicher. Doch die genaue Attribuierung von Vorkommnissen erfordert Zeit – Zeit, die im zeitlich eng getakteten Bundestagswahlkampf fehlt.
Diskreditierung per Video
Und so gibt es bis heute keine klare Urheberzuweisung etwa zu einem KI-Video, das Anfang Dezember Robert Habeck diskreditieren sollte. Ein paar googlebare Fakten, ein Foto, ein Sprechtext, ein KI-Videogenerator eine Fake-Nachrichtenseite und ein paar X-Konten: Fertig war der Angriffsversuch. Der scheiterte zwar kläglich, weil selbst gutgläubigste Nutzer die erzählte Geschichte als erstunken und erlogen bemerken konnten. Und selbst Tendenzmedien, die Habeck sonst bei jeder Gelegenheit für die Probleme aller Art verantwortlich machen, vermieden es, dieses Video ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Auch das ist eine Lehre aus den bisherigen Beobachtungen zu Einflussnahmeversuchen: Wenn Trolle nur mit Trollen interagieren, passiert so gut wie nichts. Sie brauchen die Amplifizierung: Den Sprung in breitere Öffentlichkeiten. Am besten über klassische Medienformen, die nach wie vor hohe Reichweiten haben, oder über Influencer und Social Media-Stars. Denn relevante Reichweite zu erzielen ist nach wie vor eines der Hauptprobleme der Wahlbeeinflusser – und manch reichenweitenstarker Youtuber oder TikToker sucht Werbekunden.
KI als Brandbeschleuniger
Dass das für den Rest des Bundestagswahlkampfes also eher ruhig bleibt, ist keineswegs garantiert. Denn die Kombination aus googlebaren alten Inhalten und dreist erfundenem mit qualitativ immer besser werdenden, billigen und frei verfügbaren KI-Tools birgt Potenzial für Probleme. Mit wenigen Klicks lässt sich nahezu täuschend echt wirkendes Material generieren. Was, wenn am Freitag vor der Wahl plötzlich etwas auftaucht, das sich bis zur Öffnung der Wahllokale nicht mehr "debunken" lässt? Was, wenn es vielleicht sogar auf Basis echter Unterlagen ist? Aber jeder Kontext weggelassen wurde?
Die Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation (ZEAM) ist als ministerien- und behördenübergreifende Stelle damit beschäftigt, möglichst früh solche Versuche zu identifizieren. Was sie nicht hat: den Auftrag, diese zu beenden. Und was dem guten Dutzend Mitarbeiter der Bundesregierung sowie einer bundeseigenen Beratungsagentur zudem fehlt: Zugang zu Schnittstellen der Anbieter. Sie müssen sich im Internet so umschauen, wie jeder andere Nutzer auch. Eine Rechtsgrundlage, sich etwa in geschlossenen Gruppen umzuschauen, gibt es nicht. Das funktioniert, aber von einem frühzeitigen 360°-Blick ist das weit entfernt. In der ZEAM ist auch das Auswärtige Amt vertreten, das "eigens entwickelte Werkzeuge zur Erkennung von manipulativem Verhalten auf Sozialen Medien" nutzt, wie es in einer Antwort auf eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion vor wenigen Tagen hieß: "Die Anwendung dieser Werkzeuge ist aber zum Beispiel in Bezug auf TikTok aus technischen Gründen nicht möglich." Kein Einzelfall.
Angst vor "Hack and Leak"
Dabei halten die Wahlbeeinflussungsbeobachter vor allem Zeit für einen kritischen Faktor: Je früher etwas erkannt ist, desto schneller kann reagiert werden. Denn niemand weiß, was da noch kommt. Insbesondere die Parteien, die in den vergangenen Jahren Opfer von Hacks wurden, stehen im Fokus. E-Mail-Zugänge der Sozialdemokraten wurden 2022 gehackt, Mailkonten bei den Grünen ebenfalls. Die CDU gilt als besonders gefährdet, nachdem ihre VPN-Lösung erst im vergangenen Mai zum Einfallstor in Systeme ihrer Parteizentrale wurde. Ausgerechnet jene CDU, die sich immer schwer mit demokratisch gesinnten Hackern tat, wurde Opfer der bösen Seite und einer bis dato unbekannten Sicherheitslücke, eines Zero-Day-Exploits. Was dabei genau abgeflossen ist und ob es als Kompromat, als Erpressungsmaterial, vor oder nach der Wahl taugt? Unbekannt. Klar aber ist: Die Zuständigen sind durchaus besorgt, auch wenn die Attribuierung des Angriffs noch nicht abgeschlossen ist. Denn Zero-Days werden für gewöhnlich nicht von digitalen Kleinkriminellen ausgenutzt.
Allerdings, so heißt es aus Sicherheitskreisen, sei für die Ausnutzung so gewonnener Erkenntnisse auch gar nicht unbedingt der komplizierte deutsche Wahlkampf die beste Gelegenheit, sondern die Zeit nach der Wahl, wenn einzelne Politiker auch jenseits der Spitzenkandidaten eine viel größere Rolle spielen – etwa, wenn es um Ministerposten geht.
Wie stoppt man mit Gesetzen Einflussnahme?
Doch davor steht die Frage des Wahlergebnisses. Und das wird eben von den Wählern erzeugt. Die Frage, wie mit Einflussnahme auf diese umgegangen werden kann, spielt dabei schon seit 150 Jahren eine Rolle. Schon als Deutschland erstmals langsam Demokratie zu lernen versuchte (und scheiterte), wurde die Heilkraft der Gesetze als Lösung propagiert: "Wer einem Deutschen Geschenke oder andere Vortheile anbietet, verspricht oder gewährt oder Nachtheile androht, um ihn bei öffentlichen Angelegenheiten zur Abgabe seiner Wahlstimme in einem besonderen Sinne zu veranlassen, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft", lautete ein Gesetzesantrag der Sozialdemokraten Johann Most und Wilhelm Blos im kaiserlich geduldeten Reichstag 1878. "Ausgenommen sind Hinweisungen auf die aus der Wahl und der Thätigkeit des Gewählten für die öffentlichen Angelegenheiten möglicherweise entspringenden Folgen, auch wenn dieselben die Verhältnisse des Einzelnen berühren."
Das Gesetz kam 1878 nicht zustande, dafür noch im gleichen Jahr das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie. Dies wird vorerst zwar wohl eher keine Neuauflage erleben. Die heutige Sozialdemokratie ist ja staatstragender denn je. Und doch steht die Frage im Raum: Was können Gesetze bewirken? Jetzt, wo nahezu jeder Deutsche von jedem Fleck der Erde aus "zur Abgabe seiner Wahlstimme in einem besonderen Sinne" veranlasst werden kann?
Der DSA soll es richten
Viele Hoffnungen ruhen derzeit auf dem Digital Services Act (DSA), dem EU-Gesetzeswerk, das der einst dafür zuständige Thierry Breton zum "Grundgesetz für das Internet" erhob. Und das insbesondere den größten Anbietern von Kommunikationsplattformen in Europa Vorschriften macht. Keine Sonntagsrede, in der der DSA nicht irgendwie die Wahlintegrität schützen soll. Und ja, die Plattformen müssen unter dem DSA Maßnahmen ergreifen, um ihren Systemen immanente Risiken einzuhegen. Wenn also etwa unzulässig Wahlwerbung aus dem Ausland finanziert geschaltet werden würde, wenn Algorithmen illegale Inhalte nach oben spülen würden.
Doch etwa Parteien auf die Faktentreue ihrer Aussagen festzunageln? Das ist nicht vorgesehen – auch und gerade im Wahlkampf ist die Meinungsfreiheit ein hohes Gut, selbst wenn dabei großer Quatsch verbreitet werden sollte. Denn solange es nicht von rechtlicher Relevanz ist, gibt es kein Problem – und selbst dann gibt es nur in einem ganz kleinen Bereich eine aktive Tätigkeitspflicht für die Betreiber.
Europarecht und deutsches Recht wirken noch nicht zusammen
Denn an einer entscheidenden Stelle fehlt dabei etwas: Beim Zusammenwirken von deutschen und EU-Gesetzen. Denn unter den sogenannten Wahlstraftaten finden sich zwar Vorschriften, die etwa die direkte Beeinflussung eines Einzelnen bei der Wahl unter Strafe stellen. So ist es streng verboten, Plakate im direkten Umfeld eines Wahllokals aufzuhängen. Und auch verboten, jemandem Geld oder andere Gegenleistungen für die Wahl einer bestimmten Partei zu versprechen. Auch das Anbieten der eigenen Stimme über Verkaufsplattformen fällt darunter – all das sind definierte Straftaten. Auch die Bedrohung von Kandidaten gehört dazu, genau wie die Störung der Stimmauszählung.
Das ist wichtig, denn hier greifen deutsches Strafrecht und Europarecht ineinander: Wird ein Betreiber wie X, TikTok, Instagram, Telegram, ein Forenbetreiber oder ein sonstiger Hoster von Inhalten auf mögliche Straftaten aufmerksam gemacht, die sich gegen die Sicherheit oder das Leben einer Person richten, etwa wenn ein Überfall auf Wahlkämpfer verabredet wird, muss dieser darüber das Bundeskriminalamt informieren.
Liegt hingegen der Verdacht etwa auf Stimmenkauf oder beabsichtigte Wählertäuschung vor, gibt es keine direkte Meldepflicht. Auch nicht bei Deep-Fakes und anderen Einflussnahmeversuchen. Allerdings können Dritte den Sachverhalt zur Anzeige bringen. Mahlt die strafverfolgungsbehördliche Mühle schnell genug, kann dann über Artikel 9 und 10 Digital Services Act sowohl eine Inhaltesperrung erwirkt werden wie auch eine Auskunft über den jeweiligen Nutzer abgefordert werden. Doch bislang ist dieses Verfahren in Deutschlands kompliziertem Zuständigkeitssystem für Polizei und Justiz überhaupt nicht eingespielt, berichten Betreiber und Mitarbeiter von Aufsichtsbehörden.
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Unklare Aussichten
Die Wahrscheinlichkeit, dass Einflussnahmeversuche vor der Wahl stattfinden, ist also hoch – die Präsidentschaftswahl in Rumänien vor wenigen Wochen gilt, trotz einiger verbliebener Unklarheiten, als mahnendes Beispiel. Und keineswegs sind die deutschen Strukturen und Behörden so gut aufgestellt, wie Innenministerin Nancy Faeser und einige Behördenleitungen es gerne vortragen: Es wäre noch viel Luft nach oben. Und trotzdem könnte es sein, dass erneut etwa so wenig passiert wie 2017 und 2021. Doch selbst wenn noch viel Geschehen sollte, ändert sich an einem nichts: dass das Kreuz auf dem Wahlzettel am Ende von den Bürgerinnen und Bürgern gemacht wird – wie die sich zwischen den Wahloptionen entscheiden, von wem sie sich beeinflussen lassen oder auch nicht, das ist ganz allein ihnen überlassen.
(nen)