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Was war. Was wird.

Ein Zeitsprung lässt Hal Faber die Erinnerungen an die Zeit unter Schröder hervorholen, als das Bloggen noch half und die Hartz-Revolution auch ihre IT-Kinder fraß.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Venedig! Venedig! Venedig sehen und sterben! Ach, na ja, soweit muss man es vielleicht nicht gleich treiben, nicht immer tragen die Gondeln Trauer und endet ein Besuch der ins Wasser gebauten Stadt mit dem Tod. Nun aber ist der Sommer endgültig zu Ende, Venedig aber bleibt und harrt neuer Besucher wie des Kolumnisten mit sonntäglichen Heise-Auftritten, der auch einmal Venedig sehen und doch weiterleben will. So sei es -- feiern wir das Ende des Sommers und genießen wir die Erinnerung an feine Feste und viele gute Freunde.

*** Erinnerungen aber sind so eine Sache. Nach Nixon, der sich mit Aplomb aus dem Präsidentenamt verabschiedete, kam Ford. Gerald Ford, der Nixon Straffreiheit für alle Verbrechen gewährte, die er während seiner Präsidentschaft beging oder begangen haben würde, bleibt wohl vor allem in Erinnerung durch die "Erinnerungen an die Zeit unter Ford". Eine Zeit, in der alles zu gehen schien, aber nichts wichtig war. Das unterscheidet diese Zeit von heute, wenn auch nur wenig: Erinnerungen an die Zeit unter Schröder beschreiben eine Phase, in der nichts zu gehen scheint, aber nichts wichtig ist. So amüsieren sich die Nachbarn über die Probleme eines Landes in der Mitte Europas, über dessen Einwohner den Franzosen nur zu lästern übrig bleibt, sie würden nicht einmal einen anständigen Generalstreik hinbekommen. Erinnerungen an die Zeit unter Schröder halt, während sich die glücklichen Franzosen lieber an die Befreiung von Paris erinnern.

*** Manches Mal fällt die Erinnerung aber auch schwer. Ist Oliver Kahn an den nächsten Terrorgesetzen schuld? Es steht zu befürchten, wenn einige der Wittenberger prompt auf Olis "Eier, wir brauchen Eier" reagieren. Auch wenn es nur wenige Eier waren und nicht aus der Hose kamen -- für den Kanzler reicht das, um den Personenschutz zu verstärken und von Radikalisierung zu sprechen. Ein Wurfgeschoss in Form einer Chilyschote könnte da schnell den Innenminister, nicht zuletzt wegen der entfernten Namensähnlichkeit, auf den Plan rufen. Da hilft auch der autoritäre Imperativ in Form des altväterlich-schulmeisterlichen "Merkt Euch das" nichts mehr, in den blühenden Landschaften wuchert nicht nur das Unkraut, sondern auch die Unzufriedenheit. Die Erinnerung an die Zeit unter Schröder führt bereits zu Spekulationen über den Aufstand des verarmten Mittelstands, gegen die Gustav Seibt in der Süddeutschen schon einmal die Lektüre des 18. Brumaire empfiehlt. Nichts gegen diese Lektüre, ganz im Gegenteil: "Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." So ist der Seitenhieb auf den angeblich mittelständischen Aufstand der Ostdeutschen gegen Hartz IV, der manche Beobachter das Angstbild einer verarmten, rechtsradikalen Parolen zugänglichen und antidemokratischen Mittelschicht der 30er Jahre malen lässt, nichts weiter als die Farce einer Argumentation.

*** Damit die Erinnerungen nicht allzu schlimm werden, wünscht sich manch einer jedenfalls schon, dass der Finanzminister mal von einem Moralvirus ergriffen wird und so vielleicht den ersten Beitrag zum lahmenden Informationsfreiheitsgesetz leistet, wenn er die "echten Haushaltsdaten" von Ro773 entschlüsseln lässt.

*** Ach ja -- der Kanzler ... Ihn zu verstehen fällt uns so schwer, trotz der Erinnerungen an die Zeit unter Schröder. Passende Wörterbücher würden wahrscheinlich schnell aus Gründen der nationalen Sicherheit aus dem Verkehr gezogen. Vielleicht hätte der Herr mit dem Ei sich einfach in geeigneter Lokation "auskotzen" sollen, auch wenn das ebenfalls zu Problemen führen könnte. Alternativ ließe sich der Eiwurf auch bei heise online thematisieren, vielleicht hätte sich der Werfer dann auf kreative Weise entschuldigt oder sein Verhalten zumindest begründet -- wie das eben andere tun, die wissen, was sich gehört.

*** Geht man noch weiter zurück, erinnert man sich an die Zeit lange vor Schröder, an die Zeit vor Ford, stößt man auf etwas, was wohl als der eigentliche Anfang des Kalten Krieges, sozusagen der Beginn seiner heißen Phase gelten muss. Am 29. August 1949 explodierte die erste russische Atombombe. Erinnerungen an die Zeit unter der Bombe aber belustigen heutzutage nur noch die Besucher des Atomic Cafe, in dem der Erinnerung mit so wegweisenden Songs wie "When they drop the atomic bomb" von Jackie Doll and His Pickled Peppers oder "Jesus hits like an atom bomb" von Lowell Blanchard with the Valley Trio auf die Sprünge geholfen wird. Die Explosion der russischen Bombe signalisierte aber wohl auch den Anfang vom Ende für die Rosenbergs, die als einzige Zivilisten während des Kalten Kriegs in den USA wegen Spionage hingerichtet wurden. Eine drastische Erinnerung, was Kriege, und seien sie noch so kalt, alles anrichten: Mit dem Leben der Menschen, mit ihren Moralvorstellungen -- und mit ihrer Verführbarkeit.

*** Erinnerungen gibt es aber offensichtlich nicht nur an die Zeit unter Schröder, sondern passenderweise auch an die Zukunft, in der uns Bill Gates 2.0 droht und das Internet immer noch nicht vor den Fundamentalisten in die Knie ging. Denn wenn man Informationen aus der Stillen Post der Antiviren-Hersteller entnimmt, weiß auch der nicht, was war, der die Politik berät, was sein wird: "McKinsey war und ist eine junge Firma. Unser Durchschnittsalter liegt bei Anfang 30. Unsere Firma erneuert sich quasi alle fünf Jahre komplett. Kein Wunder bei einer mittleren Verweildauer von ca. 4,5 Jahren der Berater." Ja, wenn sich McKinsey so beschreiben kann, dann darf man feste feiern und sich begleitet von den Klängen der Berliner Philharmoniker in die Hummersuppe spucken lassen. In 4,5 Jahren ist das alles ohnehin vergessen. Und optimieren kann man alles, auch einen Hochhuth. Den nicht spuckenden Zeitgenossen stellt sich derweil die Frage nach der Soziopathen-Quote unter den Feiernden. Snakes in Suits lauern überall. Dagegen hilft nur Action Learning.

*** Die Gegenwart aber ist nur die Vergangenheit, an die wir uns als Zeit unter Schröder erinnern. Und doch erstaunt es in diesem Zeitalter der Globalisierung aufgeklärte Menschen, dass es auf der anderen Seite der Erde anders aussieht. Nicht nur in der Natur, die da hoppelt und moppelt, sondern auch in der IT. Aus australischer Perspektive ist Linux schlicht kein Betriebssystem, da es nicht existiert und, sollte es denn doch existieren, schlicht kein Problem von Microsoft, sondern des namenlosen Pinguins MaFKAT. Von Sydney aus gesehen ist the Mascot Formerly Known As Tux eine vom Aussterben bedrohte Tierart, München winzig und LiMux eine winzige Installation von geringem Profil. Mit der sich anbahnenden Entscheidung, Longhorn 2006 auf den Markt zu bringen, jedoch ohne WinFS, das Schwierigkeiten macht, werden australische Maßstäbe gefragte Ware. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass aufgeklärte Menschen nicht nur die andere Seite der Erde akzeptieren, sondern als einsichtig enthaltsame Trolle mit Fischen und schuppigen Argumenten sparsam umgehen. Die Heise-Foren mögen blühen wie ein Baum in der Erfindung der Blogger von NEC, ohne dass überall Gräten herumliegen.

Was wird.

Das Angifteln über die allein selig machende Rechtschreibung ist jetzt ganz einfach geworden, denn der neue Duden ist auf allen Betriebssystemen da und erfreut seine Leser mit Austriazismen wie Wunderwuzzi und Blitzgneißer und bietet obendrein Aussprachehilfen, wie das neue deutsche Wort googlen gesprochen werden muss. Nur die Freifunker fehlen, aber die haben ihre große Sommerkonferenz in Djursland auch erst am nächsten Wochenende. Derweil ist Las Vegas eine der ersten Städte geworden, die strategisch auf ein MeshNetwork setzt, allerdings nur für ihre Sicherheitsdienste, die bei uns Blaulicht-Truppen heißen. Ein Netz für das Volk hat dagegen Bristol.

Dieser zugegeben etwas sprunghaft wirkende Hinweis ist eine ungemein geschickte Tarnung der Bitte, doch auf die kommende Apachecon hinzuweisen, bei der die Registrierung geöffnet wurde. Mach ich doch glatt. Während selbst Microsoft die Comdex nicht am Leben halten konnte, richten die Federleichten am Pool des einstigen Nobelschuppens Alexis Park ungerührt ihr Stammestreffen aus. Die Kleiderordnung sollte in der gediegenen Atmosphäre beachtet werden: Das Tragen eines Macs ist scheinbar Pflicht geworden.

Näher dran ist die Werkleitz-Biennale, die sich mit dem Thema Common Property a.k.a. Allgemeingut beschäftigt. Sich selbst als "das größte Medienkunstfestival der neuen Bundesländer" feiernd, zeigen die Veranstalter mit der "Langen Nacht des Verbrechens" Humor. Statt Dolch raus und Kopf ab geht es hier um das Copyright und die Privatkopie. Jaja, das Copyright, es hat uns alle in seinem eiseskalten Griff, selbst die sportliche Gäste Athens, denen das Bloggen ja bekanntlich verboten war, solange sie an den olympischen Spielen teilnahmen. Diese Spiele nun gehen auch endlich zu Ende, und bei tränenseliger Freude über ungeahnte Siege und Erstaunen über widerständlerische Athleten diskutiert ganz Deutschland all die Pleiten. Erinnerungen an die Zeit unter Schröder halt, als das Bloggen noch als medienverändernde Revolution galt. Na, dann, viel Spaß in der Zukunft. (Hal Faber) / (jk)