Ladeperformance von E-Autos im Vergleich: Bringt die ISO 12906 Klarheit?
Mit der ISO 12906 lässt sich die Leistungsfähigkeit von Batterien in E-Autos auf verschiedene Arten vergleichen. Welches Kriterium ist das wichtigste?
(Bild: Mercedes)
- Christoph M. Schwarzer
Je höher die Ladeleistung eines Elektroautos ist, desto besser ist potenziell die Reisetauglichkeit. Das ist klar. Weniger eindeutig ist, wie die Performance der Traktionsbatterien verglichen werden kann. Die Werksangaben der Hersteller sind zwar Anhaltspunkte, aber nicht standardisiert. Abhilfe könnte die ISO 12906 bringen. Sie ist eine Norm, kein Gesetz. Die ISO 12906 soll Transparenz und Vergleichbarkeit ermöglichen – und potenziellen Käufern die Wahl des Elektroautos sowie der dazugehörigen Batteriegröße erleichtern. Was ist am wichtigsten: Die Peakleistung beim Laden, die Zeit für den Ladehub von zehn auf 80 Prozent oder die Reichweite, die in einem definierten Zeitraum nachgeladen werden kann?
Ohne Vorkonditionierung sieht es schlecht aus
Ausgangspunkt für die Ladeperformance eines Elektroautos ist die Werksangabe der Ladezeit in einem gewissen Fenster. Meist ist damit die Aufladung von 10 auf 80 Prozent gemeint. Einige Hersteller variieren die untere Grenze. Unabhängig davon, auf welche Messgröße sich ein Hersteller bezieht, ist eine Kernfrage bei den Praxistests von heise Autos: Wird die versprochene Ladezeit reproduzierbar eingehalten, also auch bei Kälte oder Hitze? Dafür ist eine automatische oder manuelle Vorkonditionierung notwendig. Mit automatisch ist gemeint, dass die Traktionsbatterie bei der Routenführung im Navigationssystem gezielt für den errechneten Ladestopp geheizt oder gekühlt wird.
Das funktioniert bei vielen Herstellern inzwischen ausgezeichnet und bei einigen gar nicht. Wie heftig der Unterschied zwischen einem perfekten Batteriesystem mit Vorkonditionierung und einem weniger ausgefeilten Batteriesystem sein kann, zeigen Tesla Model Y und BYD Seal. Beide haben kälteempfindliche LFP-Zellen (für Lithium-Eisenphosphat). Pikant: BYD liefert die Zellen für das Batteriesystem im Tesla Model Y. Tesla macht zur Ladeperformance der Elektroautos keine Angabe außer "bis zu 275 km in 15 Minuten". Die Messung eines Testwagens Model Y im Winter ergab 20 Minuten für den Ladehub von zehn auf 80 Prozent, was ein hervorragender Wert ist. BYD gibt für den Seal 37 Minuten für den gleichen Ladehub an, also fast doppelt so lang – und verfehlt auch diese Aussage bei einem Check im Sommer 2024 knapp. So groß sind die Unterschiede.
Was die ISO 12906 vorgibt
Elektroautofahrer, die auch nur gelegentlich auf längeren Strecken unterwegs sind, sollten ausschließlich zu einem Fahrzeug mit automatischer oder manueller Vorkonditionierung greifen. Bei Volkswagen zum Beispiel gibt es die Wahlmöglichkeit zwischen automatischem und manuellem Modus: Bei letzterem lässt sich im Display verfolgen, wie hoch die Ladeleistung beim aktuellen Stand der Vorkonditionierung ist und wie hoch sie noch werden kann. Die ISO 12906 sieht vor, dass während der Messung eine Vorkonditionierung benutzt werden soll, wenn sie vorhanden ist. Die Norm macht es aber auch anderen Elektroautos leicht, weil die Fahrzeuge zwölf Stunden bei 23 Grad im Labor stehen, bevor sie gemessen werden.
Für die ISO 12906 werden vier Parameter erhoben:
- Reichweitengewinn in Kilometern nach 10 Minuten
- maximale Ladeleistung
- Ladezeit in Minuten für den Hub von zehn auf 80 Prozent
- Ladeeffizienz
Für die Messung des Reichweitengewinns in Kilometern nach zehn Minuten wird das Elektroauto auf einen Batterieladestand (abgekürzt SOC für State Of Charge) von neun oder weniger Prozent runtergefahren und anschließend so schnell wie möglich geladen. Die in zehn Minuten nachgeladene elektrische Energie (zusätzlich empfiehlt die ISO 12906 Messpunkte nach fünf und nach 20 Minuten) wird nun ins Verhältnis zum WLTP-Stromverbrauch gesetzt. Dieser inkludiert auch die Ladeverluste.
Leider wird hier der Durchschnittswert des WLTP zugrunde gelegt; realistischer wäre es gewesen, den Abschnitt "Extra High" aus den vier Teilzyklen des WLTP zu wählen. Auch hier beträgt die mittlere Geschwindigkeit nur 92 km/h. Immerhin werden kurzfristig bis zu 131,3 km/h erreicht; der Teilzyklus "Extra High" im WLTP kommt einer Autobahnfahrt also am nächsten. Bei der Angabe zum Reichweitengewinn nach zehn Minuten können Elektroautos mit einer steilen Ladekurve ihre Stärke ausspielen, weil mit einem sehr niedrigen SOC gestartet wird. Steil bedeutet, dass die maximale Ladeleistung in Kilowatt kurzzeitig sehr hoch ist, selbst wenn sie im Verlauf deutlich abfällt.
Videos by heise
Maximum vs. Kurve
Die maximale Ladeleistung ist der nächste Parameter, den die ISO 12906 vorsieht. Bei einem VW ID.3 (Test) mit 59 kWh Energieinhalt sind das inzwischen 165 kW. Ein Hyundai Ioniq 5 mit 84 kWh kommt auf 260 kW. Die maximale Ladeleistung sagt nichts über den Kurvenverlauf aus. Eine steil abfallende Ladekurve führt dazu, dass die Fahrer versuchen, das Elektroauto in den SOC-Bereich der höchsten Leistung herunterzufahren. Ein Beispiel hierfür ist Tesla. Eine Ladekurve, die eher einem Plateau gleicht, schafft mehr Flexibilität, ist aber meistens nicht mit einer besonders hohen Peakleistung verbunden. Das trifft zum Beispiel beim Audi Q8 e-tron zu.