Experten raten Abgeordneten: Hände weg von der Internetregulierung

Sachverständige waren sich bei der ersten Anhörung der Internetkommission des Parlaments einig, dass die Politik der Eigendynamik des Netzes Raum lassen sollte. Unterschiedliche Meinungen gab es zum Datenschutz.

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Sachverständige waren sich bei der ersten öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestags einig, dass die Politik der Informationsverbreitung im Netz Raum lassen sollte. "Machen Sie nichts", appellierte der Münsteraner Informationsrechtler Thomas Hoeren in der vierstündigen Sitzung am heutigen Montag in Berlin an die Abgeordneten. Die Selbstregulierung der Internetwirtschaft sei besser, zumal viele der bislang erlassenen Gesetze rund um die Online-Welt nicht nur inhaltlich, sondern auch formal "unbrauchbar" seien.

Das Internet passe nicht in die traditionell auf den Nationalstaat ausgerichtete Rechtsordnung der westlichen Welt, führte der Jurist weiter aus. Das führe zu "wilden Urteilen" etwa des Landgerichts Hamburg, nach denen man das Internet "zumachen" müsse. Der Staat müsse ein "Datenrecht" schaffen, das über den Datenschutz hinausgehe. Die Erweiterung des Urheber-, Marken- oder Patentrechts müsse überdacht werden; das Recht an immateriellen Gütern sie auch unter dem Aspekt der Verbreitung von Informationen zu sehen.

Der Berliner Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen meinte ebenfalls, dass etwa durch die jüngsten Novellierungen des Urheberrechts "Verhinderungsstrukturen" aufgebaut worden seien. Damit habe die Politik "katastrophale Weichen hin zur Kommerzialisierung von Wissen gestellt". Dabei zeige das Beispiel der skandinavischen Länder, dass ein freizügiger Umgang mit Informationen sich auch in der Volkswirtschaft positiv bemerkbar mache. Marie-Thérèse Huppertz, Politikbeauftragte bei SAP plädierte für "mehr Freiräume" statt Regulierung.

"Keine neuen Gesetze", lautete auch die Devise des Paderborner Medienwissenschaftlers Jörg Müller-Lietzkow. Der bestehende Rechtsrahmen müsse aber besser durchgesetzt werden vor allem gegen jene, "die Missbrauch betreiben". Generell attestierte der Forscher dem Netz eine "destabilisierende Gesellschaftswirkung", der aber etwa mit einer "vernünftigen Familienpolitik" und der Einführung eines Kurses Medienfachkunde in den Unterricht entgegengesteuert werden könne. Der Bremer Psychologe Peter Kruse forderte mehr Einfühlungsvermögen der Politik in die "Dynamik des Internets" und die sich darin abbildenden "Resonanzmuster" der Gesellschaft.

"Wir brauchen ein Recht an informationeller Grundversorgung, das das Internet voll mit einschließt", sagte der Berliner Informatikprofessor Wolfgang Coy und plädierte dabei für eine stärkere Rolle des Staates. So müsse ein Universaldienst geschaffen werden, der höhere Breitbandraten als 1 Mbit/s definiere, was sich "nicht nur über die privatisierten Telecoms" lösen lasse. Für unerlässlich für die Netzgesellschaft erachtete er ferner das Recht auf sichere und – soweit angemessen – auch anonyme Kommunikation. Über das Internetprotokoll IPv6 sei eventuell eine "Grundverschlüsselung" der Datenübertragung zu erreichen.

Forderungen nach mehr Datenschutz stießen im Unternehmerlager auf Widerstand. Der Mittelständler Peter Bisa betonte, dass das deutsches Datenschutzniveau bereits "weltweit Spitze" sei. Man könne aber eventuell einen "Exportschlager" daraus machen, von dem soziale Netzwerke oder Cloud Computing besonders profitieren könnten. XING-Gründer Lars Hinrichs fürchtete dagegen, dass auch in diesen Bereichen die deutsche, Innovationen behindernde Datenschutzausgestaltung zum "Rohrkrepierer" werden dürfte. Gemeinsam waren die beiden Firmenvertreter auch der Meinung, dass Regelungen wie das Zugangserschwerungsgesetz das Vertrauen in die Netzpolitik erschüttert hätten. (vbr)