Koalitionsvertrag: Wirtschaft hoffnungsvoll, Entsetzen bei Bürgerrechtlern

Die Reaktionen auf den schwarz-roten Koalitionsvertrag fallen im Digitalen gemischt aus. Die Wirtschaft sieht die Pläne positiv und fordert schnelle Arbeit.

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Bundestag

(Bild: Mummert-und-Ibold/Shutterstock.com)

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Nachdem die Spitzen der schwarz-roten Verhandlungsgruppe am Mittwoch im Berliner Bundestag die Inhalte ihrer Einigung sowie das weitere Procedere zur Regierungsbildung bekannt gegeben haben, fallen die Reaktionen jenseits der Politik unterschiedlich aus. Insbesondere die geplante Einrichtung eines Digitalministeriums wird von den Wirtschaftsverbänden durch die Bank begrüßt: Es sei "ein Meilenstein für Deutschland und das lange erwartete Aufbruchsignal der neuen Bundesregierung", sagte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Richtig ausgestaltet, könne es ein "echter Treiber für die Digitalisierung" werden.

Auch der Internetwirtschaftsverband Eco begrüßt das neue Haus, das er lange gefordert hatte, sagt Vorstand Oliver Süme: Es sei ein "bedeutendes politisches Signal, das mit der Schaffung eines eigenständigen Digitalministeriums gesendet wird." Digitalpolitik erhalte dadurch "endlich die Sichtbarkeit, Verbindlichkeit und Verantwortung, die ihr zusteht."

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Der Bundesverband Digitale Wirtschaft verbindet mit dem Koalitionsvertrag, so Präsident Dirk Freytag, die "Hoffnung auf einen echten Wendepunkt in der deutschen Daten- und Digitalpolitik". Die geplante Zentralisierung sowohl auf staatlicher Seite als auch bei den Aufsichtsbehörden würde die Voraussetzungen für klare, verlässliche Rahmenbedingungen mit sich bringen. Zudem zeigt sich der Verband erfreut darüber, dass seine Forderung nach mehr Datennutzung Niederschlag gefunden habe.

Auch der Bundesverband Breitbandkommunikation sieht im Digitalministerium einen richtigen Schritt, fordert jedoch, eine "schnelle Handlungsfähigkeit des Digitalministeriums sicherzustellen". Dafür sollten die jeweils bislang zuständigen Abteilungen aus den bisher zuständigen Ministerien in das neue Ministerium überführt werden. "Einen digitalpolitischen Stillstand kann sich Deutschland nicht leisten", sagt Sven Knapp, Leiter des Breko-Hauptstadtbüros.

Der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) fordert ebenfalls mehr Schnelligkeit: "Die Entscheidung, die vielen äußerst komplexen digitalpolitischen Herausforderungen endlich unter einem ministeriellen Dach zu bündeln, war längst überfällig. Wer dieses Digitalministerium leiten wird, hat eine große Aufgabe vor sich", sagt Geschäftsführer Frederic Ufer. "Das neue Ressort muss zeitnah arbeitsfähig sein und mit klaren Zuständigkeiten ausgestattet werden", fordert ANGA-Geschäftsführer Philipp Müller. Die Vorhaben duldeten keinen weiteren Aufschub.

Tempo verlangen auch der Verband der Kommunalen Unternehmen (VKU), dessen Mitglieder als Betreiber kritischer Infrastrukturen weiter auf die deutsche Umsetzung der Richtlinien zur Netzwerk- und Informationssicherheit (NIS2) und der für Kritische Einrichtungen (CER) warten und vor allem von den geplanten Sondervermögen zur Infrastruktur profitieren könnten: "Die Unternehmen benötigen Planungssicherheit", sagt VKU-Verbandsgeschäftsführer Ingbert Liebing. Vor der parlamentarischen Sommerpause Ende Juni müssten der Bundeshaushalt 2025 verabschiedet und ein Errichtungsgesetz für das Sondervermögen sowie umfangreiche Planungsbeschleunigungsmaßnahmen auf die Agenda kommen, fordert er.

Positiv gestimmt gibt sich auch die Vorsitzende des Startup-Verbands Verena Pausder. Sie sieht im Koalitionsvertrag vielversprechende Entwicklungen für das Startup-Ökosystem in Deutschland. Ein ganzheitlicher Blick dieses sei erkennbar, "von Finanzierung über Bürokratieabbau bis hin zu Talenten und technologischer Souveränität". So seien Pläne zur Arbeitszeitflexibilisierung, schnellere Unternehmensgründungen oder Deep-Tech-Förderungen genauso willkommen wie mehr Wagniskapital und einfacherem Zugang zu solchem. Allerdings gibt es auch vom Startup-Verband einen Vorbehalt: "Entscheidend ist jetzt, dass die vielen sinnvollen Maßnahmen in eine konsistente, umsetzungsorientierte Startup- und Innovationspolitik münden", so Pausder.

Deutlich kritischer gehen Bürgerrechtsorganisationen mit dem Koalitionsvertrag ins Gericht. "Im Koalitionsvertrag wird Freiheit kleingeschrieben", moniert Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. "Noch mehr Massenüberwachung wird wenig helfen, aber viel Schaden an den Grundrechten anrichten." Die schwarz-rote Koalition will nicht nur eine dreimonatige IP-Vorratsdatenspeicherung einführen, sondern auch einige andere umstrittene Vorhaben wie eine automatisierte Datenanalyse durch Sicherheitsbehörden und den biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Netz mittels KI-Einsatz ermöglichen.

Der Chaos Computer Club verlangt gar eine "Notbremse für den Überwachungskatalog im Koalitionsvertrag" und kritisiert Pläne für Massenüberwachung auf drei Ebenen. Dabei bezieht sich der Verein auf angekündigte Maßnahmen zur Sammlung von Telekommunikations-, Autokennzeichen- und Biometriedaten: "Ob man im Netz kommuniziert, Auto fährt oder Fotos mit Gesichtern ins Netz stellt: All das soll massenhaft aufgezeichnet und bei Bedarf ausgewertet werden." Hinzu komme ein Paradigmenwechsel, die informationelle Selbstbestimmung solle auf den Scheiterhaufen, "Datennutzung und der ganze 'KI'-Quatsch" Priorität bekommen. Der CCC fordert von der SPD, dem die Zustimmung zu verweigern."

(mho)