Interview mit Markus Beckedahl: "Musk putscht mit Software statt Panzern"
Markus Beckedahl kämpft seit 20 Jahren gegen Überwachung. Im c’t-Interview erklärt er, warum er nun das "Zentrum für Digitalrechte und Demokratie" gründet.
(Bild: Jan Zappner/re:publica, CC BY-SA 2.0)
Markus Beckedahl gehört zu den bekanntesten netzpolitischen Aktivisten in Deutschland. Der ausgebildete IT-Kaufmann rief das Onlinemedium netzpolitik.org ins Leben und gehört zu den Gründern der Konferenz re:publica. 2024 verließ er netzpolitik.org. Inzwischen bloggt er unter digitalpolitik.de.
c’t: Herr Beckedahl, Sie kämpfen seit rund 20 Jahren gegen die Vorratsdatenspeicherung. Nun wollen Union und SPD diese erneut einführen. Gehen Sie davon aus, dass die Überwachungsmaßnahme dieses Mal dauerhaft Bestand haben wird?
Markus Beckedahl: Das ist jetzt der dritte Versuch einer Bundesregierung, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits zu Recht erklärt, dass die Vollprotokollierung unseres Kommunikationsverhaltens verfassungswidrig ist. Sie wird trotzdem immer wieder versucht. Die Hoffnung der Bundesregierung besteht wahrscheinlich darin, dass das Verfassungsgericht auch mal mürbe wird und Zugeständnisse macht. So will man offenbar zumindest einen Teil einer angestrebten dreimonatigen Speicherpflicht erreichen.
Ich glaube allerdings immer noch, dass die Vollprotokollierung aller Verbindungsdaten unverhältnismäßig ist und finde es schade, dass es der Ampelregierung nicht gelungen ist, mit Quick Freeze [ein anlassbezogenes Speichern auf richterlichen Beschluss, Anm. d. Red.] eine Alternative auf den Weg zu bringen.
Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung lässt sich so verstehen, dass er die Speicherung von IP-Adressen für zulässig hält. Damit stehen die Chancen für die Bundesregierung besser denn je, oder?
Die Verhältnismäßigkeit ist trotzdem umstritten und es kommt auf die Details an. Die Bundesregierung plant laut Koalitionsvertrag keine Speicherung von Standortdaten. Das ist aus Grundrechtssicht sehr sinnvoll. Bei IP-Adressen hofft man aufgrund des EuGH-Urteils, dass man damit durchkommt. Es gibt aber auch Einschätzungen, die trotzdem eine Speicherung der IP-Adressen aller Bürgerinnen und Bürger für grundrechtswidrig halten. Außerdem wollen SPD und Union zu den IP-Adressen auch die Portnummern speichern, was ein noch tieferer Eingriff wäre. Dadurch fallen bei den Providern noch mehr Daten an, die das Surfverhalten eindeutiger dokumentieren.
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Werden Sie persönlich gegen ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz klagen, wenn es kommt?
Die Zeit von Massenklagen ist vorbei. Wir haben mittlerweile professionelle Organisationen wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte, deren Mitgründer ich bin, die das im Namen der Bürgerinnen und Bürger vor Gericht bringen werden.
Sie haben nun eine weitere Organisation, das Zentrum für Digitalrechte und Demokratie, gegründet. Warum braucht es neben Chaos Computer Club, Digitalcourage, Gesellschaft für Freiheitsrechte & Co. noch einen weiteren zivilgesellschaftlichen Akteur, der sich mit Bürgerrechten in der digitalen Welt beschäftigt?
Wir wollen ein Problem lösen, das die digitale Zivilgesellschaft meiner Meinung nach hat. Und zwar haben wir ein Kommunikationsproblem: Wir haben die richtigen Positionen, wir stehen auf der Seite von Demokratie und Grundrechten. Wir kriegen das aber noch nicht über bestimmte Milieus hinaus kommuniziert. Wir wollen der Erzählmacht von Big Tech, von Überwachungsbefürwortern und der IT-Industrie neue Narrative entgegensetzen und für eine grundrechtsfreundliche Digitalpolitik werben.
Was machen die etablierten Organisationen denn konkret falsch? Richten diese sich nur an Nerds?
Sie machen nichts falsch. Wir haben in Deutschland eine sehr engagierte, vielfältige digitale Zivilgesellschaft. Darauf können wir stolz sein. Viele Organisationen fühlen sich allerdings nur für bestimmte Fragen zuständig, richten sich an bestimmte Milieus oder konzentrieren sich auf Lobbyarbeit gegenüber der Politik. Wir glauben, der stärkste Hebel ist, über die Öffentlichkeit Druck auf die Politik auszuüben. Darauf wollen wir uns konzentrieren und auch neue Zielgruppen erreichen.
Wie wollen Sie das konkret hinbekommen?
Ein zentrales Element ist die Schaffung eines Newsrooms für digitale Grundrechte, wo wir für Journalisten und Journalistinnen und andere Multiplikatoren schnell Ereignisse einordnen, Kritik beschreiben, eine persönliche Betroffenheit und alternative Lösungsmöglichkeiten adressieren. Das gelingt bislang sehr häufig nicht. Hier wollen wir serviceorientiert rangehen und zivilgesellschaftliche Positionen kommunizieren, damit nicht nur die IT-Industrie mit ihren PR-Abteilungen und ihren Pressemitteilungen durchdringt.
Und warum nicht mal neben Mastodon-Inhalten eigene TikTok-Formate entwickeln? Bei aller Kritik an Big-Tech-Unternehmen sind wir auch pragmatisch genug, um zu wissen: Wir erreichen leider keine gesellschaftlichen Mehrheiten, wenn wir nur auf Mastodon kommunizieren.
Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Organisation wieder zehntausende Menschen gegen Überwachung auf die Straße bringen, so wie vor 10, 15 Jahren bei den Demos unter dem Motto "Freiheit statt Angst"?
Ich bin mir unsicher, ob es uns noch mal gelingen wird, bei einzelnen Vorhaben wie der Vorratsdatenspeicherung viele Menschen auf die Straße zu bringen. Wir haben aber in den vergangenen zwei Jahren erlebt, dass Millionen Menschen für Demokratie auf die Straße gehen. Und letztendlich sind viele gesellschaftliche Fragestellungen der Digitalisierung Demokratiefragestellungen. Wir können gemeinsam mit vielen anderen Organisationen Menschen mobilisieren, um die Demokratie zu schützen.
Abgesehen von der Vorratsdatenspeicherung: Wo sehen Sie weitere bedrohliche Entwicklungen, vor denen Sie mit dem Zentrum für Digitalrechte und Demokratie warnen wollen?
Wir sehen in den USA, dass Elon Musk mit Software statt mit Panzern putscht, indem er einfach mit einer präsidentiellen Vollmacht in die Behörden läuft und alles kopiert, was geht. Sind die Dateien kopiert, landen sie möglicherweise im System von Musks KI-Firma X.AI. Oder sie werden in Palantir-Software gegossen, mit dem Ziel, Deportationslisten zu erstellen. Wahrscheinlich auch, wie mittlerweile bekannt ist, durch die Einbindung von Schnittstellen der sozialen Medien. Dann fließen politische Äußerungen in die Bewertung ein, wer in welcher Reihenfolge deportiert werden soll. So etwas ist auch der Traum einer AfD.
Auf solche Szenarien müssen wir uns nun bei der Gestaltung staatlicher IT-Infrastrukturen vorbereiten. Was ist, wenn zukünftig auf Landesebene oder auf Bundesebene faschistische Strukturen tätig werden können, die Behördenleiter austauschen? Und die Neuen kümmern sich nicht mehr um Regeln und kopieren einfach alles?
Wie kann die demokratische Politik sich gegen einen solchen Softwareputsch wappnen?
Wir müssen einen starken Datenschutz und IT-Sicherheit immer von vorneherein mitdenken. Und wir brauchen auch härtere Strafen gegen Beamte, die sich nicht an Regeln halten.
Welche Themen werden Sie noch angehen?
Immer noch ungelöst ist das Problem, dass wir uns in Deutschland und Europa abhängig gemacht haben von amerikanischen digitalen Infrastrukturen. Jetzt wissen wir, dass wir solchen Anbietern nicht mehr vertrauen können. Aber wir haben es nicht geschafft, unsere eigenen, resilienten digitalen Infrastrukturen aufzubauen. Und damit meine ich sowohl IT-Infrastrukturen als auch gemeinwohlorientierte demokratische Öffentlichkeiten im Netz. Das ist eine der größten Herausforderungen.
Die Bundesregierung hat bereits ein Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) gegründet. Und im Koalitionsvertrag stehen zu diesem Thema markige Sätze wie: "Wir wollen ein digital souveränes Deutschland.".
Das ZenDiS ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber ob es mit ausreichend Ressourcen ausgestattet wird, ist noch vollkommen unklar. Ob die entwickelte Software dann auch wirklich von den Behörden eingesetzt wird, ist genauso unklar. Im Moment beruht 99 Prozent der Infrastruktur im Verwaltungsbereich auf Microsoft. Unser Ziel muss sein, das so schnell wie möglich massiv zu verringern.
Markus Beckedahl hat das Zentrum für Digitalrechte und Demokratie als gemeinnützige GmbH gegründet und am 21. Mai 2025 vorgestellt. Teilhaber ist der Verein Campact, der das Zentrum in den ersten drei Jahren mit jeweils 300.000 Euro fördert. "Unser Ziel ist, mittelfristig fünf bis zehn Stellen für Mitarbeiter schaffen zu können und ein Team aufzubauen, das Kommunikation und Policy zusammen denkt", kündigte Beckedahl im Gespräch mit c’t an. Dafür müsse man jedoch zusätzlich zur "Grundförderung" durch Campact weitere Spenden einwerben.
(cwo)