Digitale Zensur von Intimer Gesundheit: Frauenthemen unerwünscht

Frauengesundheitsthemen betreffen mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung, doch im Gegensatz zu Suchbegriffen wie "Erektion" werden sie systematisch zensiert.

vorlesen Druckansicht 57 Kommentare lesen
Frau guckt irritiert auf ihr Smartphone

Potenzpille ja, Tampons nein – so ungefähr scheinen oft die Regeln für Anzeigen online zu sein.

(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Theresa Lachner
close notice

This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Ein Info-Post über Endometriose. Eine Werbeanzeige für Menstruationsunterwäsche. Eine Influencerkampagne zur weiblichen Lust. Alle drei wurden gelöscht, eingeschränkt oder algorithmisch "gedrosselt" – nicht etwa, weil sie gegen Community-Standards verstoßen hätten, sondern weil sie von Algorithmen und Plattform-Mitarbeitenden als "zu sexuell", "politisch" oder schlicht "unangemessen" eingestuft wurden.

Keine Einzelfälle, sondern Teil eines größeren strukturellen Problems: der digitalen Zensur von Inhalten zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit, insbesondere dann, wenn es um Frauen geht. Vor kurzem veröffentlichte das US-amerikanische Center for Intimacy Justice (CIJ) einen Bericht zur algorithmischen Unterdrückung von Informationen und Anzeigen zum Thema weibliche Intimgesundheit durch große Plattformen: "The Digital Gag: Suppression of Sexual and reproductive health on Meta, Tiktok, Amazon and Google."

Videos by heise

Von insgesamt 159 befragten Nonprofit-Organisationen, Influencern, Sex Coaches und Unternehmen gaben mehr als die Hälfte an, dass ihre Anzeigen zum Thema Intimgesundheit abgelehnt, shadowbanned oder altersbegrenzt wurden – und zwar überproportional oft dann, wenn sie sich an Frauen oder queere Zielgruppen richteten.

Das CIJ dokumentiert in seiner Analyse, wie Medizinisches mit Pornografischem verwechselt wird – etwa, wenn ein Beitrag zur Klitoris-Anatomie gelöscht wird, während Werbeanzeigen für Viagra ungehindert laufen. Die Untersuchung legt offen, dass viele Unternehmen ihre Inhalte auf Social Media selbst zensieren ("shadow edit"), um algorithmischen Sperren zuvorzukommen – oft auf Kosten von medizinischer Korrektheit oder sprachlicher Klarheit.

"Diese Zensur ist kein Zufall, sondern das Ergebnis historisch gewachsener Gender-Biases in Plattformrichtlinien, KI-Systemen und Werberegeln", heißt es im Bericht. Besonders problematisch: Auch medizinische Inhalte wie Aufklärung über Endometriose, Verhütung oder Menopause sind betroffen. Das schränkt den Zugang zu relevanten Gesundheitsinformationen massiv ein, insbesondere für marginalisierte Gruppen, die ohnehin schlechter versorgt sind.

Melanie Eichhorn, Sexologin bei Satisfyer, einem Hersteller von Sexspielzeugen, sagt auf Nachfrage: "Wir engagieren uns seit Jahren für Aufklärung rund um Sexualität und Gesundheit. Leider stoßen wir dabei immer wieder auf Hürden: Unsere Inhalte werden auf Social Media eingeschränkt oder von Suchmaschinen nicht ausgespielt – obwohl gerade dort viele Menschen nach seriösen Informationen suchen." Diese digitalen Einschränkungen behinderten wichtige sexualpädagogische Arbeit, die in Schulen, Familien und der Gesellschaft oft noch zu kurz komme.

Und auch Katharina C. Trebitsch, Mitgründerin von Nevernot, einem Hersteller von Soft-Tampons, berichtet von wiederholter Ablehnung durch Meta: "Unsere Ads für Intimpflege-Produkte wurden regelmäßig abgelehnt oder eingeschränkt. Das macht es schwer, sichtbar zu sein, und trägt dazu bei, dass das Thema weiterhin tabuisiert wird." Unternehmerisch sei es nahezu unmöglich, eine D2C-Marke in diesem Bereich über Meta zu skalieren – daher sei der Schritt Richtung Einzelhandel für das Unternehmen umso wichtiger gewesen.

Ähnlich kritisch äußert sich Roo Waissi, PR Managerin Europe bei dem Erotikverandhandel Lovehoney, zu den systemischen Hürden: "Unsere Inhalte werden häufig blockiert – nicht weil sie explizit sind, sondern weil wir anatomisch korrekte Begriffe wie 'Vulva‘ oder 'Klitoris‘ verwenden. Selbst ein Instagram-Post über Endometriose wurde von Meta gelöscht, weil auf einem Slide die Zeile "Im Zweifelsfall kontaktiere deine Gynäkologin" stand. Wir zensieren jetzt selbst Worte wie 'Periode' oder 'Zyklus', damit unsere Inhalte nicht gelöscht werden. Gleichzeitig sehen wir, dass Produkte für Männer wie Potenzmittel problemlos beworben werden dürfen – selbst mit suggestiver Sprache. Das zeigt die Doppelmoral sehr deutlich."

Die wirtschaftlichen Folgen der digitalen Zensur sind erheblich: Start-ups verlieren Reichweite, investieren ineffizient in Ads und müssen kreative Umwege gehen, um überhaupt sichtbar zu bleiben. Gleichzeitig profitieren große Player wie Amazon, die dieselben Produkte neutraler vermarktet anbieten – und algorithmisch bevorzugt werden. Dabei geht es nicht nur um Werbung, sondern auch um Wissen, Zugang und Gerechtigkeit. Wenn ein Beitrag zur weiblichen Sexualität als "anstößig" gilt, ist das nicht nur ein Problem der Plattformpolitik, sondern Ausdruck eines gesellschaftlichen Bias, der Frauenkörper weiterhin normieren und kontrollieren will.

Erstmals könnten sich die Bedingungen in Europa nun ändern: Der Digital Services Act (DSA), der seit 2024 vollständig in Kraft ist, verpflichtet große Plattformen zu mehr Transparenz bei Content-Moderation und wirksamen Beschwerdemechanismen. Das CIJ sieht hierin eine Chance, strukturelle Zensur nicht nur aufzudecken, sondern auch juristisch anzugehen.

In Kooperation mit der WHO und UNESCO plant das CIJ neue Studien zur digitalen Unterdrückung von sexueller Bildung weltweit. In der EU fordert die NGO explizit, dass Plattformen ihre Moderationsalgorithmen offenlegen müssen – insbesondere, wenn es um Gesundheitsinhalte geht, die sich an Frauen richten.

Meta hat bereits das sogenannte Oversight Board eingerichtet, ein unabhängiges Gremium, an das man sich in Streitfällen wenden kann. Dieses hat bereits mehrfach die Richtlinien Metas in Bezug auf nackte Brüste kritisiert.

(emw)