EU-Rat will Vorratsspeicherung von Telefonverbindungsdaten vorziehen

Die Justizminister haben sich auf ein zweistufiges Verfahren geeinigt: Verbindungsdaten bei der Telephonie sollen sechs bis 48 Monate aufbewahrt werden, Internetprovider erhalten eine Gnadenfrist.

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Die Justizminister der EU haben sich auf ihrem Treffen am gestrigen Donnerstag in Luxemburg in der heftig umstrittenen Frage der Vorratsspeicherung von Telekommunikationverbindungssdaten auf ein zweistufiges Verfahren geeinigt. Grundsätzlich geht es um die Vorratspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten , die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen. Nach dem nun vorgeschlagenen Verfahren soll möglichst rasch eine Verpflichtung der Anbieter zur sechs bis 48 Monate langen Vorhaltung der Verkehrs- und Standorten allein im Bereich der Sprachtelephonie eingeführt werden. Uneins sind sich die Mitglieder des EU-Rates hier nur noch über ein wenige Punkte wie die Frage, ob auch reine Anrufversuche bereits aufgezeichnet werden müssen. Der schon allein auf Grund der anfallenden Datenmassen noch heiklere Internetsektor soll zunächst ausgegrenzt beziehungsweise übergangsweise für einige Jahre von der Archivierungsbürde befreit werden.

Den Vorschlag zur Zweiteilung des Verfahrens hatte die Luxemburger Ratspräsidentschaft gemacht. Sie hofft damit, den im Rahmen der Anti-Terror-Erklärung des Rates vorgesehenen Zeithorizont zur Verabschiedung eines Rahmenbeschlusses zur Vorratsdatenspeicherung noch halten zu können. Noch in diesem Monat müssten die grundsätzlichen Vorkehrungen demnach von den Ministern abgenickt werden. Dies wäre bei der zunächst vorgesehenen sofortigen Einbeziehung sämtlicher Daten, die bei der Abwicklung von Internetdiensten wie E-Mailen, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, utopisch gewesen. Zu groß sind in dieser Beziehung noch die Meinungsverschiedenheiten zwischen den 25 Mitgliedsstaaten.

Der finnische Innenminister Kari Rajamäki etwa hatte im Vorfeld der Sitzung gewarnt, der vorliegende Entwurf würde sein Land jährlich mit mehreren hundert Millionen Euro belasten. "Die entsprechenden Kosten in der gesamten Europäischen Union, ob sie nun wie in Finnland von den Mitgliedstaaten getragen werden oder gemäß den Vorgaben einiger Länder von den Unternehmen, würden höchstwahrscheinlich mehrere Milliarden Euro pro Jahr betragen", erklärte der Regierungsvertreter. "Irreparable Schäden" auch für Bürger und Gesellschaft würden entstehen, falls der Schutz der Datenmassen löchrig sei.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat weniger prinzipielle Vorbehalte gegen die tief in die Bürgerrechte einschneidende Maßnahme zur Aufzeichnung der elektronischen Kommunikationsspuren, obwohl sich der Bundestag bereits wiederholt strikt dagegen ausgesprochen hat. Die hinter verschlossenen Türen geführte Diskussion geht ihrer Ansicht nach "in die richtige Richtung". Die Einführung einer Entschädigung für die Pflicht zur Datenjagd sei allerdings "schwierig", erklärte die SPD-Politikerin. Dies hat der wirtschaftspolitische Sprecher ihrer Fraktion, Klaus Brandner, dagegen bereits zur Selbstverständlichkeit erklärt. Der betroffenen Branche warf Zypries vor, noch "keine belastbaren Zahlen" zu den tatsächlichen Kosten der im Raum stehenden pauschalen Überwachungsmaßnahme vorgebracht zu haben. Der Bitkom hatte im Dezember allein die Investitionskosten für die Wirtschaft hierzulande mit 150 Millionen Euro beziffert.

Der Ministerrat ist nicht das einzige EU-Gremium, das sich zu der Rund-um-Beschattung der telekommunizierenden Bürger seine Gedanken macht. Das EU-Parlament wird voraussichtlich am Dienstag im Plenum mit großer Mehrheit die Maßnahme als unverhältnismäßig, ungeeignet und als nicht mit den Menschenrechten vereinbar ablehnen. Genauso wie die EU-Kommission glauben die Abgeordneten zudem, dass die Minister keine rechtliche Befugnis zur Verabschiedung der Hauptbestandteile des geplanten Rahmenbeschlusses haben. Im Gegensatz zum Parlamentsberichterstatter Alexander Alvaro (FDP) ist Justizkommissar Franco Frattini jedoch nicht der Ansicht, dass eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofes in diesem Streit erforderlich ist. Er kündigte in einem Interview an, schon sehr bald eine eigene Vorlage präsentieren zu wollen. Er werde dabei wahrscheinlich "die Substanz" des Ratsvorschlages übernehmen, sagte der Italiener. Damit wäre die rechtliche Basis gerade gerückt.

Ein Wörtchen mitreden will auch die Kommissarin für die Informationsgesellschaft, Viviane Reding. Sie geht davon aus, dass sich über das mit dem Kommissionsvorschlag verbundene direkte Mitspracherecht des Parlaments einfacher eine Balance "sowohl in Fragen des Datenschutzes als auch des Vertrauens der Verbraucher sowie in Fragen der Kosten für die Wirtschaft" finden lässt. Das grundlegende Ziel des Ratspapiers, das die gigantische Datenspeicherung und die massive Überwachung aus Gründen einer effektiveren Strafverfolgung vorsieht, teilt sie aber. Reding kündigte an, dass die Kommission eine Untersuchung der Auswirkungen des Vorhabens durchführen werde.

Stimmen aus der Wirtschaft begrüßen die geplante Bewertung. Sie zeigen sich aber besorgt, dass der Kommissionsvorschlag schon für die nächsten Tage angekündigt ist und damit die Zeit für eine gründliche Abschätzungsstudie fehlt. "Die Auswirkungen einer Vorratsdatenspeicherung werden für jeden Internetprovider anders sein", betont Richard Nash von der European Internet Services Providers Association (EuroISPA) die Notwendigkeit einer eingehenden Prüfung. Es gehe auch nicht nur um die Kosten, da die Maßnahme fundamental in die Geschäftsprozesse der Anbieter eingreifen und beispielsweise den potenziellen Start neuer Dienste deutlich verzögern könnte.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)