Europäischer Markt – europäische Regeln
Warum DMA und DSA kein Affront gegen die USA sind – sondern Ausdruck europäischer Souveränität, kommentiert Dennis-Kenji Kipker.
(Bild: Ivan Marc / Shutterstock.com)
- Prof. Dennis-Kenji Kipker
Die Europäische Union hat mit dem Digital Markets Act (DMA) und dem Digital Services Act (DSA) zwei Grundpfeiler ihrer digitalen Ordnung gesetzt: fairere Märkte, mehr Wettbewerb, weniger toxische Netzökonomie und klare Verantwortung von Plattformen. Das passt Big Tech nicht – und so erheben ausgerechnet die US-Konzerne, die in Europa Milliardengewinne erwirtschaften, den bizarren Vorwurf, die EU benachteilige amerikanische Unternehmen und gefährde die guten Beziehungen. Übersetzt heißt das: Bitte schafft eure Regeln ab, damit wir weiterhin ungehemmt dominieren dürfen.
Politisch ist der Vorstoß von Andrew Puzder, dem US-Botschafter bei der EU, dreist, ökonomisch durchsichtig und rechtlich haltlos. Erstens zwingt niemand US-Unternehmen dazu, in der EU Geschäfte zu machen, denn wer in Europa Geld verdienen will, hält sich an europäische Regeln. Zweitens sind DMA und DSA keine antiamerikanischen Affekte, sondern allgemeine Standards, die für alle Gatekeeper und Plattformen im europäischen Binnenmarkt gleichermaßen gelten. Dass vor allem US‑Konzerne betroffen sind, liegt weniger an deren Herkunft als an deren faktischer Marktmacht. Denn wer ein Ökosystem baut, das auf Lock-in-Effekten beruht, und wer Wettbewerber gezielt aus dem Markt preist, muss damit rechnen, dass der Gesetzgeber Grenzen zieht. Drittens hat die EU gute Gründe: Sie schützt unsere digitalen Grundrechte, sichert die Meinungsfreiheit gegen Manipulation und zwingt marktbeherrschende Unternehmen zu mehr Offenheit und einheitlichen Standards.
Keulen schwingen und dabei jammern
Doch statt die eigenen Hausaufgaben zu machen, wird seitens Big Tech gejammert, dass der DMA angeblich technische Funktionen verzögere, die Cybersicherheit gefährde oder Innovationen ausbremse – letztlich alles nur Scheinargumente, wenn man plötzlich feststellen muss, dass Regulierung die Rendite tangiert. Doch damit nicht genug: Gleichzeitig trommeln Lobbyverbände in Washington, die EU betreibe "digitale Diskriminierung". Dass dem nicht so ist, dürfte allen klar sein, die einmal einen Blick in DMA und DSA geworfen haben: Beide Rechtsvorschriften haben nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern mit neutraler Marktregulierung, indem der Grundsatz gilt: Je größer das Unternehmen, desto größer auch seine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Und wenn nun dieselbe US‑Regierung, die unter dem Banner "America First" die Zollkeule schwingt, der EU unter diesem Gesichtspunkt Unfairness vorwirft, ist die Ironie perfekt.
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Europäische Verordnungen wirken
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch dies: Das transatlantische Verhältnis wird durch den US‑amerikanischen CLOUD Act zurzeit weiter verschärft. Das Gesetz erlaubt US‑Behörden, unter bestimmten Voraussetzungen auf Daten zuzugreifen, die außerhalb der USA liegen – auch in Europa. Für europäische Unternehmen und Behörden erzeugt das ein bislang ungelöstes Spannungsfeld zwischen EU‑Datenschutzrecht und US‑Zugriffsansprüchen. Wer uns also weismachen will, Europa überziehe US‑Konzerne mit Schikanen, der sollte erst einmal erklären, warum umgekehrt zentrale und schon seit Jahren bestehende europäische Rechtsgrundsätze regelmäßig ignoriert oder zur beliebigen politischen Verhandlungsmasse erklärt werden. Denn Souveränität ist keine Einbahnstraße, sondern erfordert den Dialog auf Augenhöhe.
Die Drohkulisse der letzten Monate – von Strafzöllen bis zur Unterstellung europäischer Zensurgesetze – zeigt vor allem eines: DMA und DSA wirken. Sie brechen alte Gewohnheiten auf, öffnen geschlossene Systeme und schaffen klare Haftung dort, wo bisher die Verantwortung im Nebel vager Nutzungsvereinbarungen und Community Standards verdampfte. Natürlich sind auch die europäischen Regularien nicht perfekt, natürlich braucht es laufende Überprüfungen und präzise Umsetzung. Aber wer jetzt fordert, Europa solle seine Spielregeln abräumen, damit Big Tech reibungslos liefern kann, verlangt nicht weniger als die Preisgabe der digitalpolitischen Gestaltungsfähigkeit der Europäischen Union. Und wer so argumentiert, verwechselt gleichzeitig wirtschaftlichen Außenhandel mit politischer Unterordnung.
Chancen für mehr Offenheit
Der eigentliche Kern der aktuell geführten Debatte um die Regulierung von Big Tech ist deshalb denkbar einfach: europäischer Markt – europäische Regeln. Und zwar ohne Sternchen, ohne Fußnoten im Kleingedruckten, ohne Erlaubniszettel aus Washington. Wer die Vorteile eines rechtsstaatlich gesicherten, kaufkräftigen Marktes von 450 Millionen Menschen will, akzeptiert die Gesetze, die ihn regulieren. Und wem das nicht passt, der kann in der EU eben keine Geschäfte machen. Das wäre kurzfristig sicherlich unbequem, aber mittelfristig vielleicht sogar heilsam: In Europa bekämen neue Ökosysteme, offene Schnittstellen und interoperable Dienste bessere Chancen als bisher, zulasten der Monopolisten.
Das Ergebnis hieße nicht Autarkie, sondern strategische Mündigkeit. Nicht Europa hat sich zu rechtfertigen, weil es seine Bürger und seine Märkte schützt. Rechtfertigen müssen sich all jene, die demokratische Gesetzgebung für eine lästige Markteintrittsbarriere halten. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Sie ist der Preis für den Zugang – und das Gütesiegel eines Kontinents, der aus Überzeugung frei sein will. Wer mitspielen will, kennt die Bedingungen. Und wer sie ablehnt, darf sich nicht beschweren, wenn der Schiedsrichter pfeift.
(pst)