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Was war. Was wird.

Die Außenwelt changiert zwischen grau und weiß, die Stimmung aber ist gut und die Sprüche dumm wie immer. Auch Hal Faber ist von der CeBIT und all den Kopierschutz-Allmachtsphantasien gestresst.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es mag ja grau sein in Hannover und unwirtlich und die Stadt selbst von sprödem Charme, der erst bei 20 Grad Plus zu spüren ist, aber die Perspektiven in der Stadt der Scorpions und Schröders sind rosig: "Es geht aufwärts!" Wenn man überhaupt etwas von dieser CeBIT 2006 lernen kann, dann ist es Optimismus, selbst dann wenn der Schnee in die Nasenlöcher pfeift. "Wir werden Weltmeister!" Auch das ist ganz einfach. Man besuche nur den "Wir sind Fußball!"-Stand von Bild und AMD. Oder man gehe zum Fußball-Portal Servingo, mit der die Fraunhofer-Institute ein völlig neues Web- und Fußball-Feeling mit intelligenten Verknüpfungen vermitteln wollen. Noch besser ist ZAMB, die offizielle Abkürzung der Tatsache, dass jeder Deutsche mehr von Fußball versteht als Klinsmann. Der sowieso schon wie ein Avatar wirkt. Zweiundachtzig Millionen Bundestrainer sagen, was Sache ist mit der deutschen Mannschaft! Doch was ist ZAMB schon gegen ZEMP vom Heise-Velag. Zehn Millionen Postings erklären die IT-Welt und wie sie wirklich funktioniert. Gut, gelegentlich wird dabei schon ein mal ein Fisch herübergereichtund eine Meinung formuliert, die von einem Schwarz-Weiß-Monitor zu stammen scheint, aber es gibt auch Gedichte und Geschichten.

*** Mit gefühlten 10 Millionen Fußbällen und 5 Millionen Großflachbildschirmen für die Wohnzimmer-WM geht die CeBIT in ihre zweite Halbzeit. Unter der Flut von Werbe-Gimmicks, die von den Beuteltieren aufgestöbert werden, ragt der Fensterkratzer von Novell als sinnvolle wie dringend benötigte Gabe im hannoverschen Schneematsch heraus. Ein leichtes Handicap: Bei 3 cm Kantenlänge braucht es halt zwei Stunden, die Autoscheiben frei zu kriegen. Aber möglicherweise sind das die Bereiche, in denen man bei Novell gegenwärtig denkt. Zeit genug bietet das jedenfalls, um sich Gedanken darüber zu machen, ob der auf der CeBIT gezeigte Linux-Desktop eine rundum gelungene Sache ist, oder man lieber zur Konkurrenz greifen sollte. Wer war das noch gleich? Der Fensterkratzer ist natürlich nur so winzig, weil er die winzigen Microsoft-Logos von den Laptops kratzen soll. Der vorgeschlagene und mitgelieferte Kleber-Ersatz, ein Pinguin mit Kapitänsmütze, soll wohl an den "Käptn Netware" erinnern, mit dem die Firma schon einmal grafisch verunfallte, vor etwa 10 Jahren.

*** Käptn Netware wusste immer, wie man abrauschende Server auf Kurs hält oder wie der Admin mit "Salvage" gegenüber dem gemeinen Uservolk wie eine Lichtgestalt mit göttergleichen Kräften erscheinen konnte. 10 Jahre auf Kurs hält sich übrigens ein weiteres feines Heise-Angebot namens Telepolis. Beim Studium der Geburtstagswünsche merkt man, wie wunderbar sich Lichtgestalt und Wundertüte ergänzen können. Wie hieß es noch zum Start vor 10 Jahren so unnachahmlich arrogant? "Schließlich ist Telepolis ein Angebot für all jene, die mittlerweile die digitale Technik unfallfrei beherrschen und nun zum Eigentlichen kommen wollen." 10 Jahre später darf man über die wunderbare Naivität unser aller Zukunftshoffnungen lächeln. Denn unfallfrei beherrschen, das ist mit der durch und durch DRM-verseuchten Digitaltechnik eben nicht mehr möglich. Man lese nur den Bericht von einem Unfall namens HDTV. Nur die Konstrukteure der Unfall-Technik glauben noch daran, dass es unfallfrei geht und versteigen sich zu lustigen Angeboten, bei den Problemchen einfach mal 'ne Mail zu schicken.

*** Das wirklich Eigentliche, das zeigte auch die CeBIT, ist, dass es nicht länger möglich ist, zwischen den Bad Guys und den Good Guys zu unterscheiden. Man nehme nur die Pressemeldung von F-Secure, die so beginnt: "Music sounds better without rootkits: F-Secure prüft auf der diesjährigen CeBIT Musik-CDs und DVDs der Besucher auf Rootkits." Die Firma, die mit Sony konspirierte, bietet sich als Helfer in der Not an. Das mag man naiv finden oder einen gesunden Geschäftssinn nennen. So ist das Leben im globalen Teledorf.

*** Wo bleibt das Positive? Versteckt es sich vielleicht in der Nachricht, dass Polizeibeamte nicht einfach so Festplatten von Rechnern kopieren dürfen, die sie auf Anordnung zurückgeben müssen? Aber nicht doch. Schon die Tatsache, dass über eine solche Selbstverständlichkeit in der Achtung der Privatsphäre anderer ein Richter urteilen muss, ist traurig genug. So warten wir auf den Tag, an dem bürgerliche Rechte von den Hütern der Ordnung unfallfrei beherrscht werden. Wahlweise auf den Tag, an dem ein Untersuchungsausschuss allein durch Blick in die Akten vergangener Aktionen einen Geheimdienst funktionsunfähig machen kann, obgleich es "keine revolutionären Erkenntnisgewinne" nach Lage der Akten gibt.

*** Nein, das Positive muss rein und nahezu unbefleckt sein, mehr Bambi, weniger Josefine Mutzenbacher. Das ist das echte Problem. Heute ist der Welttag der Philanthropie. Vor 105 Jahren schenkte der skrupellose Stahlmagnat Andrew Carnegie der Stadt New York 5,2 Millionen Dollar mit der Auflage, damit 65 Bibliotheken zu errichten. Später schenkte er noch mehr Geld für weitere 2500 Bibliotheken in USA und Großbritannien: "Der Mensch, der eine Bibliothek betritt, befindet sich in der besten Gesellschaft, die diese Welt bieten kann. Die großen Denker heißen ihn willkommen, umringen ihn und fragen freundlich, womit sie dienen können." Vorausgesetzt, man will die richtigen Bücher. Für die anderen gab es Loompanics, das sich nach 30 Jahren wahrlich stilvoll verabschiedet, mit Gruß an all die Zensoren, Prüderasten und Schweine dieser Welt. Wer dennoch einmal zu einem guten Buch greifen will, dem seien die Geburtstagskinder Jack Kerouac (heute) und Douglas Noel Adams (gestern) empfohlen. Beide haben mich auf meiner Flucht aus Hannover begleitet, vor vielen Jahren.

Was wird.

Vielleicht versinkt Hannover noch in einem großen Blizzard, wie er heute vor 118 Jahren wütete. Wahrscheinlich ist das aber nicht. Also werden wir unsere siechen Körper weiter auf die CeBIT schleppen, um noch das kleinste Informationsbröckchen für die Leser zu retten und den Ticker CeBIT-rot zu pinseln. Denn wie gesagt, die Stimmung ist rosig. Lächelnd den Schnee aus den Ihren schütteln, denn wie heißt es so schön: Nur Weicheier tagen in Las Vegas. Was die MS-Mixer können, dass schaffen auch die Novell-Admins beim Treffen der Hirne in Salt Lake City. Ach, die Stadt ist etwas zu trocken? Na, dann fahren Sie doch ins Powerpointland nach Brühl zum Web Hosting Day.

Gleich nebenan liegt Köln. Die Stadt ist übrigens auch ganz schön, ohne Karneval. Passend zur Neuauflage der Endlos-Diskussion über Killerspiele wird dort ein packendes Diskussionsspiel namens Clash of Realities aufgeführt, kurz bevor in Nordrhein-Westfalen feierlich der Tag der Medienkompetenz begangen wird. Natürlich mit einer Debatte über Computerspiele. Frei nach Lenin: Wenn ich das Wort Kultur höre, greife ich zu meiner Maus und W-A-S-D.

Wird noch was? Ach ja, heute Abend werden die Echos 2006 verliehen, die großspurig als zweitgrößter Musikpreis nach dem Grammy angekündigte Veranstaltung, die genauso viel Neues und Aufregendes in der Musik bietet wie die Grammys selbst, denen sie doch nicht das Wasser reichen kann. Und während die Grammys sich darauf verließen, dass die U2-Fans seltsamerweise immer noch nicht ausgestorben sind, dürften heute Abend die kreischenden Teenies triumphieren. Waren wir früher auch so? Möglicherweise, ja, aber eklig ist es trotzdem ... Genauso eklig wie die Scheinheiligkeit mancher Leute, die Toleranz und Meinungsfreiheit gegen islamistische Fanatiker hochhalten, aber der Ausladung von Oomph! und der WDR-Sperre für diese Band applaudieren, die man ruhig für seltsam halten mag, die aber ebenso alles Recht der Welt hat, Blasphemie unter Meinungsfreiheit zu fassen. Angesichts dieser Musikindustrie, die wir möglicherweise verdient, aber nicht gewollt haben, und angesichts kreischender Teenies und der DRM-Allmachtsphantasien, für die HDTV nur das Einfallstor ist, höre ich dann doch lieber dem israelischen Saxophonisten Gilad Atzmon zu: "It is time to move on, to rediscover why we all listened to music in the first place, why some of us decided to play music for a living. It is time to seek a glimpse of essentiality in our overwhelmingly noisy environment. Now is the time to rearrange the twentieth century, to stand up, to rebel, to resist and to say 'no thanks'. It is time to tell Big Brother 'I will decide what music is about'." (Hal Faber) / (jk)