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Was war. Was wird.

Eine finstere Schlucht wartet, all die Informatik- und Mathematik-Trolle zu verschlucken, gibt Hal Faber zu bedenken. Der Rest genießt das bisschen Sommer und holt das Sonnenöl heraus.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In der letzten Woche überließ ich dem ehemaligen Superzukunftsschattenminister Jost Stollmann die Aufgabe, eine Wochenschau für die Leser des Heisetickers zu schreiben. Diesmal wäre zur politischen Ausgeglichenheit der Neusprech-Spezialist Oskar Lafontaine als Fremdarbeiter dran, der mit seinen braungetönten Phrasen die rechtsextremen Wähler lockt. Oder lieber doch ein armer CDU-Politiker, der ohnehin als Journalist notarbeitet? Doch wer erträgt schon im Gegenzug einen Hal Faber, der als Politiker gaukelt, bis wir alle wissen, wer den Wettbewerb "Wir sind/Du bist Deutschland" gewonnen hat? Nüchtern betrachtet niemand. Also knödeln wir alle im Subyou-Chor: "Alk in Tüten ist sehr gewieft, auch Merkel es mit Schröder schnieft." Ja Leute, ich bin der Mann für jeden Geschmack und Anlasz, der Aufreiszer für all die "Was soll das"-Kommentare und das Gähnen in Böhmen.

*** Eigentlich wusste schon Karl Kraus, wie gut das Spielchen mit dem Leser funktioniert: Der liest nicht, was ich schreibe und ich schreibe nicht, was er lesen möchte. Das ist doch prima! Damit sind wir eine eheähnliche Gemeinschaft und unter dem Segen des neuen Kompromisses zum Großen Lauschangriff besonders geschützt! Bei Intimgeflüster heißt es nämlich für die Stolizei ganz nach Peter Lustig "Abschalten!". Denn sonst droht verschärfter Eulenflug. Wer hätte es gedacht, dass am Ende der Ära Schröder das Intimgeflüster des Schlafzimmer-Pestalozzis Oswalt Kolle steht. Die vollends aufgeklärte Erde strahlt.

*** Während die Bild-Zeitung aus einem Lehrbuch für Gehirnoperationen Gysis Gehirn abdruckte, fragt sich der Wochenchronist besorgt, ob die aufgeklärte Dialektik der rotgrünen Selbstverstümmelung schon beim nämlichen Organ von Otto Schily angelangt ist. Dieser weiß nicht nur nicht, dass Biometrie ein ziemlich untaugliches Instrument der Terroristenfahndung ist, sondern kennt nicht einmal die Aufgaben eines Datenschützers. Das Einzige, was Schily weiß, hat mit dem erneuten Moratorium der USA bei der Einführung von biometrischen Pässen zu tun: Deutschland kann, endlich, eine führende Rolle spielen. Und sei es die, mit schönen Digitalfotos das Bild vom hässlichen Deutschen zu entwerten: Blicken Sie frontal in die Kamera. Lächeln Sie nicht. Wenn Haare ins Gesicht fallen, schneiden Sie die Haare ab. Die Nase muss brillenfrei sein. Ist dennoch eine Brille im Gesicht, schneiden Sie die Nase ab. Die Beleuchtung muss den Lichtverhältnissen an der Grenze entsprechen. Machen Sie die Aufnahme in einer Zelle, dort gibt es die besten graublauen Hintergründe, wie sie zur starken Bindung zwischen Person und Reisedokument erforderlich sind. Bleibt als letztes Argument, dass ein Täter des 11. September mit einem gefälschten französischen Pass frei nach Schengen durch Europa gereist ist. Ungehindert ausgesprochen vom kommenden Visa-Experten Otto Schily. Wie heißt es in einer leider nicht online verfügbaren Studie seines Ministeriums noch einmal: "Im Zeitalter des perfekten digitalen Bildes ist es viel unkomplizierter geworden, Pässe zu fälschen." Ein wahres Wort. Sind wir nicht alle perfekte Falschmünzer vor der Großen Festplatte?

*** Die Informatik ist eine noch sehr junge Wissenschaft. Daher können sich gestandene Informatiker festgefahrene Ansichten leisten: Es macht Spaß, mit Vollgas in eine Sackgasse zu brettern, Just for Fun. Theo de Raadt, der auf der FOSDEM den großen Richard-Stallman-Ehrenteppich, ein geschmackvoll gewebtes GNU in Empfang nahm, darf sich freuen. Ein anderer kann es nicht mehr. Karl Steinbuch ist zwar schon am 4. Juni gestorben, doch lief die Nachricht von seinem Tod erst in dieser Woche über die Ticker. Karl wer? Ehren wir einen großen Informatiker, der 1957 das Wort Informatik in die deutsche Sprache einführte, als er die Produktionsstätte des Computerproduzenten Standard Elektronik Lorenz (SEL) als Informatik-Werk bezeichnete. Ehren wir einen der Pioniere der neuronalen Netze, den Erfinder der längst eingemotteten Lernmatrix. In den berühmten 68ern, als die Generation der Fischer und Schröder im feinen Strahl der Wasserwerfer gestählt wurde, schrieb Steinbuch den Bestseller "Falsch programmiert. Über das Versagen unserer Gesellschaft in der Gegenwart und vor der Zukunft und was eigentlich geschehen müßte" und wurde zum Zitatenliebling des Spiegel, bis er als Nationalist abgetakelt wurde. Sein ureigenstes Anliegen, eine kybernetische Anthropologie zu entwickeln, machte Steinbuch zum Konservativen. Zum jüngst gestorbenen Täufer der Informatik möchte ich den jüngsten Toten stellen, Mario Jeckle. Es ist schon erstaunlich, wie viele Leser mich gebeten haben, einen der ganz Großen in dieser Woche nicht zu vergessen. Nur gebe ich kein "Lesebefehl" aus. So etwas ist immer ein ziemlich dummer, rechthaberischer Versuch, das Publikum zu beherrschen. Der immer misslingt.

*** Alvar Freude ist Omen wie Nomen. Die Freude ist auch mit Markus Beckedahl und seinem Preis von einer Organisation, für die ich seit ihrer Gründung spende und es niemals bereut habe. Denn Journalisten sind, entgegen landläufiger Meinung, nicht nur faule (CDU)-Säcke, die nur Rabatte, Rabatte, Rabatte hecheln können. Es gibt Flecken, ach was, große Flächen auf dieser Erde, wo Journalisten einen lebensgefährlichen Beruf ausüben. Ich glaube nicht, dass ausgerechnet Blogger mit ihren Tagebüchern den großen Umschwung im Journalismus bringen werden, aber ich glaube fest daran, dass einige unter ihnen genauso mutig sind, unbequeme Dinge zu veröffentlichen. Nach Yahoo und Google ist in dieser Woche Microsoft in die Nachrichten gespült worden. Nicht in die Nachrichten hat es die OSZE-Konferenz zur Meinungsfreiheit im Internet geschafft, die heute abgepfiffen wurde. Mit einem deprimierenden Resultat.

*** Während Larry Ellison von der neuen 17er-Regel in der Vorauswahl zum America's Cup profitiert und einfach nur zugucken darf, was seine Mannen leisten, hat Steve Jobs den härteren Job, über die Schattenseiten des Lebens aufzuklären. Dabei erzählte der große Erklärer Jobs nicht einmal die volle, kalte Wahrheit. Wenn ein Gerücht entsteht, werde ich es bekämpfen. Zwischen Apple, Microsoft und Oracle liegen nur Nuancen. Und für den Weg gibt es keinen Orientierungshandlungsleitfadenbenutzungswegweiser. It's IT, baby, like it or fuck it. Das ist die coole Branche, in der ein Internet-Guru nur ausreichend Haare haben muss, keinen Verstand.

Was wird.

Natürlich steigt der Linuxtag, komplett mit einem Behörden-Kongress und einem Treffen, das Red Hat in einer Pressemeldung sinnigerweise als ultimativen FUD feiert, gewissermaßen als Verlierer des Tages.

Möglicherweise wird nächste Woche die Poincaré-Vermutung als gelöst erklärt werden. Dann würde Grigorij Perelman von der Universität St. Petersburg eine Million Dollar kassieren. Auf die so hoch dotierte Frage des Clay Mathematics Institute hatte Perelman den absolut unverzeihlichen Fehler begangen, seine Arbeit ins Internet zu stellen. Gestandene Mathematiker leisten sich offensichtlich noch borniertere Ansichten als gestandene Informatiker. Eine finstere Schlucht wartet, all die Informatik- und Mathematik-Trolle zu verschlucken. Der Rest genießt das bisschen Sommer und kramt das Sonnenöl raus, bereit, am Baggersee zu brutzeln. Wer bis 67 arbeiten muss, hat ein Päuschen verdient. (Hal Faber) / (anw)