Warum man keine Wallbox mehr braucht

Die Medien diskutieren gern über angeblich mangelnde Ladeinfrastruktur. Die Infrastruktur ist jedoch jetzt schon so gut, dass man keine Wallbox braucht.

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Wallbox von Bosch

(Bild: Bosch)

Lesezeit: 6 Min.
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Wann immer jemand zu Mobilitätsdiskussionen „O Zeiten, O Sitten, O Ladeinfrastruktur“ einwirft, spare ich mir, den Rest der soeben gezündeten Nebelkerze zu lesen. Unter den weiß Gott zahlreichen Problemen der batterieelektrischen Automobilität kommt „die Infrastruktur“ bei mir nie in die Top Ten. Sie ist im Gegenteil schon lange viel besser, als die meisten Nichtnutzer es vermuten. Die Kritik kommt daher zuverlässig von Nichtnutzern. Regelmäßige User wissen, dass das Problem „ein Auto aufladen“ im Alltag vergleichsweise gut gelöst ist, im Bereich des Pendelns sogar besser als Tanken.

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Zu Anfang des Booms von Lithium-Ionen-Elektroautos lagen die von Herstellern ermittelten und von Fachverbänden geschätzten Raten von Daheim laden stets in der Gegend 85 Prozent. Damals gab es ein großes Infrastrukturproblem, und zwar für die Betreiber: So wenig Kundschaft fuhr öffentliche Ladesäulen an, dass Investitionen kaum einen Return einbrachten.

In der Zeit des Abbaus der alten öffentlichen AC-Lade-Knochen erster Generation mit ihrer Software wie aus einem Kinderkurs in Informatik und dem sukzessiven Ersatz durch solide Industrietechnik untersuchten wir 2019 bereits, wie ein E-Auto für einen Laternenparker in der Stadt funktionieren könnte. Die Antwort: gut. Es war schon damals einfach. Es war schon damals keine Wallbox nötig, um ein E-Auto komfortabel zu betreiben. Es war schon damals günstiger als Benzin, weil Kurzstreckenfahrten in der Stadt so hohen Kaltlaufverbrauch produzieren. Und es wurde seitdem nur besser. Ich kann heute nur beim Einkaufen am DC-Lader meinen gesamten Wochenfahrstrom beziehen, hätte noch fünf weitere Gelegenheiten und ich lebe nicht mehr in Stuttgart, sondern auf dem plattesten Land in Badisch Sibirien.

300 kW bei Aldi Süd. Ob ein Auto dann 20 oder 30 Minuten braucht von 10 auf 80 Prozent, ist Nebensache. Hauptsache: Man kann das Auto beim Einkaufen nebenher für den Verbrauch mehrerer Tage aufladen, statt separat tanken fahren zu müssen.

(Bild: Clemens Gleich / Heise Medien)

Von den 85 Prozent der frühen Verbreitung (hauptsächlich in Eigenheimen mit Strom in der Garage) sind wir mittlerweile nach einer Erhebung des Lastmanagement-Anbieters gridX bei 53 Prozent Daheimladeanteil angekommen, Tendenz weiter fallend. Zum Heimladen kommen 19 Prozent in der Firma laden und der Rest sind öffentliche Lader. Diese Zahl verrührt natürlich Stadt und Land zu einer statistischen Zahl. Der sinkende Anteil der Heimlader liegt hauptsächlich daran, dass man in vielen Stadtwohnsituationen einfach gar nicht daheim laden kann.

Der ADAC (und auch wir bei Heise) haben viel darüber geschrieben, wie wenig die städtischen Tiefgaragen doch elektrifiziert sind. Klar: Wer heute eine Tiefgarage für einen Wohnblock baut, denkt an Strom. Als die alten Tiefgaragen gebaut wurden, war das jedoch anders, und die Nachrüstung bei den deutschen Anforderungen an eine Stromverlegung kostet astronomische Summen.

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Allerdings zeigt sich: Letztlich ist das egal. Letztlich brauchen schlicht nur wenige Haushalte eine Lademöglichkeit daheim. Klar ist sowas superpraktisch. Aber ob ich jetzt täglich daheim anstecke oder ein, zweimal in der Woche an einem DC-Lader beim Einkaufen, das ist für den Komfort praktisch gleichwertig, beziehungsweise: DC-Lader sticht jeden-Tag-anstecken. Es ist allerdings auf lange Sicht günstiger, daheim zu laden.

Wenn wir von einem Ladetarif M der EnBW ausgehen, liegen die Energiegrenzkosten bei 39 ct/kWh. Runden wir auf 10 ct Differenz zum Haushaltsstrom und lassen die Wallbox inklusive Einbau 3000 Euro kosten. Dann lägen 150.000 km zwischen der Anschaffung der Wallbox und dem Break-Even-Point unter diesen Bedingungen. Obwohl diese Zahl mit billigerem Haus-Strom sinkt (z. B. eigener Solarstrom), bedeutet eine konkrete Rechnung für den Anwendungsfall oft: Die Wallbox ist eine zu unsichere Investition, wenn das Leben zwischenzeitlich mit einiger Wahrscheinlichkeit abbiegt. Das ist in der Stadt öfter der Fall als auf dem Land. Zwar können Sie die Wallbox mitnehmen, aber den Tanz der Elektriker müssen Sie im neuen Heim neu bezahlen, und der macht die Hauptkosten aus.

Als die KfW ihre Wallboxenförderung brachte, ließ ich meine Garagenelektrik auf Eignung untersuchen. Sie stellte sich als grauenvoll selbstgebastelt heraus. Die Wallbox war gestrichen. Später legte ich für die Solaranlage auf der Doppelgarage ein neues Kabel. Aber eine Wallbox schaffte ich danach nicht mehr an, obwohl sie am neuen Kabel einfach hätte angehängt werden können. Es lag nicht an der zwischenzeitlich ausgelaufenen Förderung. Es war eher ein „Warum?„. Meine elektrischen Testkilometer kann ich viel einfacher an der vielbeschimpften Ladeinfrastruktur nachladen.

Zur Sicherheit explizit gesagt: Das Geschriebene gilt nicht für Plug-in-Hybride, weil sie zu viel Strom verbrauchen. PHEV sind dann günstig, wenn die Firma die Fahrenergie bezahlt und der zu versteuernde geldwerte Vorteil zudem geringer ausfällt als beim Benziner. Also bei Firmenwagen und genau gesagt nur dort.

(Bild: Clemens Gleich / Heise Medien)

Ein anderes Beispiel ist mein Kollege Sebastian Bauer, mit dem ich den Podcast „Die Hupe“ betreibe. Er arbeitet als Scrum-Coach und fährt dazu mit einem Tesla Model 3 durch die Republik zu seinen Kunden. Sein Vermieter bot ihm daher an, eine Ladestation zu installieren, aber selbst für diese intensive Nutzung dachte er: „Warum?“ Es ist für ihn einfacher, am Ende einer Tour noch einmal 10 Minuten am Schnelllader anzustecken. Das deckt die heimischen Besorgungsfahrten bis zur nächsten Langstreckenfahrt. Und diese Geschichte spielt in der einsamen Eifel, in der Ladestationen so dünn gesät sind wie Autohasser.

In vielen Gesprächen mit Nichtnutzern (auch im Heise-Forum) zeigt sich das Grundproblem jeder Technik, die gerade große Sprünge macht: Leute argumentieren auf einem Wissensstand, der schon lange keine Relevanz mehr hat für aktuelle Anschaffungs-Entscheidungen. Bei den freundlichen Gesprächen an der Ladesäule mit E-Interessenten muss ich öfter sagen: „Sie haben das im Prinzip richtig verstanden, aber das war der Stand vor zehn Jahren. Probieren Sie es doch jetzt mal aus.“ Ähnlich empfiehlt Kollege Martin Franz, aktuelle E-Modelle auszuprobieren, statt auf „mein Smart ED 3 war ungeeignet für die Rimini-Tour“ hängenzubleiben.

Ob sich eine Wallbox lohnt, lässt sich nach den konkreten wirtschaftlichen Kennzahlen und dem eigenen Komfortbedürfnis relativ einfach entscheiden. Für viele Städter stellt sich diese Rechenaufgabe jedoch gar nicht, weil es keinen Strom am Stellplatz oder gar gleich keinen festen Stellplatz gibt. Wenn das E-Auto jedoch ansonsten in den Alltag passt, spricht wirklich nichts außer dem Anschaffungspreis gegen einen Kauf für den Einsatz unter der Laterne. Die Betriebskosten in der Stadt liegen kaltlaufbedingt unter einem Benziner, der Energieauffüllkomfort mindestens gleichauf. Es war 2019 schon einfach, es war nie einfacher als heute und es wird künftig noch einfacher werden.

(cgl)