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Was war. Was wird.

Eine schwarze Seite, eine ganz schwarze Seite wäre heute angebracht. Aber die Pforten der Erkenntnis sind weiterhin geöffnet, da mag auch Hal Faber nicht locker lassen. Denn so mancher Rant ist noch harmlos im Vergleich zur Realität, die er aufs Korn nimmt.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** "Nichts ist wichtig. Dazu ist die Welt viel zu groß", hieß es im Jahre 2001, als die Pionier-Blogger vom Hauptfach-Blog mit Nebenfach Industrial Technology & Witchcraft an den Start gingen. "Nichts ist wichtig. Dazu sind die Welten zu groß" im Jahr 2008 kündete von den Online-Welten, in die sich "majo" nach einer Krankheit verguckt hatte. Nun ist einer der ganz Großen der gewiss nicht kleinen Zunft deutscher Computerjournalisten gestorben. Vielleicht ist er in eine der Welten eingegangen, die er sich erschaffen hatte – diese philosophische Frage müssen andere beantworten. Eigentlich müsste diese Wochenschau, die majo so viel verdankt, nur eine schwarze Seite ausliefern, vielleicht mit einem Link auf einen richtigen Nachruf. Doch wir wissen ja, dass es keinen freien Willen gibt in diesem unseren Leben und schrubben weiter an unseren Pforten der Unendlichkeit.

But first the notion that man has a body distinct from his soul, is to be expunged: this I shall do, by printing in the infernal method, by corrosives, which in Hell are salutary and medicinal, melting apparent surfaces away, and displaying the infinite which was hid.

If the doors of perception were cleansed every thing would appear to man as it is, infinite.

For man has closed himself up, till he sees all things thro' narrow chinks of his cavern.

*** Mehr als einmal habe ich an dieser Stelle IT&W als Quelle vieler Inspirationen erwähnt, diesen Blog mit sieben Leben und zwei Herzen. Auch sollte man nicht die Mac Essentials vergessen, das als "erstes erfolgreiches Business-Blog" in Deutschland Geschichte schrieb. Als es einst seinen ersten Geburtstag feierte, majo mittendrin, waren nur wenige paffende Wölkchen am Himmel und viele Spässeken möglich. Etwa der hübsche unvergessene Coup der Rekonstruktion eines Mac-Videos, an dem nicht nur die Mac-Gemeinde ihren Spass hatte. Wobei majo ein Händchen hatte für das Aufspüren von fachmännisch guten Videos. Majo wie majo mit Nicht-Senf, ein besonders feinfühliger Liebhaber der Musik für alte Ärsche, hat leider nicht die Lungenklinik Essentials veröffentlicht. Aber er hat sich stilecht mit "If we can't be free at least we can be cheap" und Stairway to Haven in einem seiner letzten Beiträge verabschiedet, gewidmet seiner Pflegefachkraft, die aussieht wie ein Bruder von Apples Pressesprecher. Er erinnert uns daran, dass jeder billige Witz der letzte sein könnte und dann schon wieder der beste ist. Seinen für mich schönsten Witz lieferte majo ab, als er von einem dieser bunten Blätter, für die er die Kategorie "Spon-Watch" eingerichtet hatte, zur Religion der Apple-Jünger schrieb: Es sind immer die Windows-Anhänger, die auf Erlösung hoffen.

*** Ich werde majo vermissen. Gerade jetzt würde sein sarkastischer Kommentar gut tun, wo ein Apple 1 bei Christie auktioniert wird, mit einer Preisspanne, die einer Hostie Nr. 82 würdig ist. Wertvoller wird wohl nur noch die DNA des Apfels sein, der dereinst von Jobs zur Firmengründung angebissen wurde - sie könnte ein Genie-Gen enthalten. Wie bescheiden fängt da Deutschland an, wo gerade der Computerbauer und Maler Kuno See in einer anderen Auktion in den Kanon der Kunst aufgenommen wird. 6000 Euro für "Bunte Blitze", die jeder am Mac arbeitende Grafiker in zwei Minuten hingemaust hat? Geht es noch? Dazu passt natürlich das Zuse-Valley von Haunetal mit einem getönten Glasbau, der an die Kaaba in Mekka erinnern und eine Pilgerstätte werden soll.

*** Wenn ich mal tot bin
Bitte schreibt auf den Grabstein
Bin gleich wieder da

Michael Quasthoff von der Hannoveraner Fitzoblongshow ist auch gestorben, genauso wie Purushottama Lal, ohne den Autoren wie Anita Desai niemals bekannt geworden wären. Gestorben ist auch das solidarische Gesundheitssystem nach einer Operation am offenen Portemonaie. Mit der Vorauszahlung beginnt der Einstieg in wirtschaftlich sich rechnende Medizin, in der Arzt und Patient "gleichberechtigte Verhandlungspartner" sein sollen: Äskulap müsste erst einmal eine ordentliche Kosten-Nutzen-Rechnung vorlegen, bevor sein Stab bewilligt wird, bei Vorkasse natürlich. Ein vorzügliches Geschäftsmodell zeichnet sich ab: Der Patient blutet aus und muss dann die Blutkonserven berzahlen. Fein passend verabschiedet wurde diese Reform mit einem FDP-Gesundheitsminister, der den Krankenkassen die elektronische Gesundheitskarte zwangsverodnet, die eine gewisse FDP-Politikerin einstmals auf den Prüfstand stellen wollte. Sie stand, sie fiel, er siegte. Die Gedenkstunde für aufrechte Politik findet auf dem Umknickwall in Gifthorn statt.

*** Nicht ganz so tot ist der neue Personalausweis, gewissermaßen der junge Cousin der elektronischen Gesundheitskarte, weil diese in der nächsten Kartengeneration wie der schicke neue Perso auch kontaktlos werden wird. Hört, hört, zur Freude aller Ärzte und sonstiger Praxen, die wieder neue Lesegeräte ordern werden. Aber ach, der Ausweis kränkelt, nachdem sich die ach so sichere AusweisApp als ein richtig mies programmiertes Stück Software enttarnte, das schnellestens zurückgezogen werden musste, in einem üblichen Prozess der "Qualitätssicherung und Fehlerbeseitigung". Dabei ist das DNS-Problem nur einer Schweinerei unter vielen. So reagieren die Server auf angefordete https-Zugriffe wie https://www.personalausweisportal.de/ nicht und liefern stattdessen diesen Inhalt aus. Beschwerden im "Ticket-System" blieben unbeachtet und werden vom Feuerschaf keksknuspernd verfolgt. Wollen wir noch erwähnen, dass die Ubuntu-Version, die diese AusweisApp voraussetzt, völlig veraltet ist? Oder wie wäre es mit der Erkenntnis für die unter Microsoft-Systemen auf Erlösung wartenden, dass ein wichtiges Microsoft-Toolkit zur Sicherheit-Härtung ins Leere läuft? Man lese nur den Prüfungsbericht von Sicherheitsspezialisten, der unter dem Strich ein glattes "nicht vertrauenswürdig" ergibt: Treffer, versenkt, ist da noch ein besonnener Kommentar. Bekanntlich soll die AusweisApp demnächst im Quellcode auftauchen, da Open Source ein wichtiger Pfeiler der Einführungspläne ist. Wer bei "meiner wichtigsten Karte" auf den nun überall verschleuderten Basis-Leser verzichtet und auf eine echte Open-Source-Alternative zur AusweisApp wartet, bekommt den lachenden Igel in Bronze.

Was wird.

In der kommenden Woche öffnet die Medizinmesse Medica. Wenn alles gut geht und Irland, das Musterland der New Economy, nicht zwischenzeitlich sein Abnipplegate (danke, majo) fabriziert, werden Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Rösler seelig durch die Hallen schweben. Beide sind seit dieser Woche Einbuchstabedanebentiere, was sie nicht sonderlich stören dürfte. Wie ende ich, ohne die Softies wegen majo vollzuschneuzen? Bleiben wir im hilligen Rheinland der Jecken und liefern einen Auszug aus der Karnevalsmail von Microsoft nach, die majo sicher kommentiert hätte:

Objektiv berichtet ihr, nicht immer – das verzeihen wir.
Niemand ist perfekt, selbst Microsoft. Doch Fehler machen wir nicht oft.
Und wenn, dann schreien alle los. Artikel bei Euch werden groß.
Letztendlich sind wir dankbar für, viel Gutes von Euch auf Papier.
Und Online selbstverständlich auch, denn das gehört jetzt mit zum Brauch.

Auch sehr rheinisch ist die Microm-Consulting in Neuss, die Firma, die die Hamburger Sparkasse beraten hat. Sie ordnet, ganz ohne Google Maps, soziale Milieus auf die Straßenecke genau ein und katalogisiert diese. Für das laufende Jahr 2010 wurde die Kategorie der "DDR-Nostalgiker" gelöscht. Die "Konsum-Materialisten" früherer Jahre wurden in "Prekariat" umbenannt: Allein diese Aktion sticht alle Äußerungen über die Erfolge der aktuellen Regierung ab, desgleichen die Aufwertung der "Postmateriellen" zu "Liberal-Intellektuellen". Will jemand seinen Senf dazugeben? (jk)