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Was war. Was wird.

Shit happens. Und alte Säcke brauchen mehr als intelligente Toiletten, um in dieser seltsamen Welt zu überleben und nicht an chronischer Ohrverstopfung einzugehen, merkt Hal Faber an.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Es gab nur den Song und den Sänger. Wenn du keine Magie hattest, wenn du die Leute nicht durch die Melodie berührt hast, musstest du dich leider, leider erschießen. Heute kannst du's durch die Show retten." Zwei gelassene alte Männer unter sonnenbeschienen Bäumen klimpern ein bisschen auf der Gitarre und lesen anschließend im Interview ganz entspannt der Musikindustrie die Leviten. Einer Musikindustrie, die lieber den Musikfan erschießt. Oder dann halt doch von den Popklassikern lebt, sie neu abgemischt als die Sensation des Jahres feiert, oder gar in Bush-Amerika unerwünschte Personen zur Rettung des Pop ausruft, am liebsten aber immer noch auf die in Kadettenanstalten getriezten Hupfdohlen zurückgreift, die lautes Geschrei mit der Magie eines guten Popsongs verwechseln. Nun, da verwundert es nicht, dass der Pop jetzt rechtsradikal wird. Oder doch nicht – er geht wohl einfach den Weg all dessen, was nur noch langweilig und öde ist. Wer will schon noch das Recht auf Privatkopie, wenn es nichts mehr gibt, was sich zu kopieren lohnte ... Gibt es denn wirklich nur noch bei den alten Säcken ein bisschen Hoffnung?

*** Wer also ist die Hoffnung des Pop? Etwa all die hochgejazzten Web-2.0-Musikanten, von den Arctic Monkeys bis zu den Killers? Oder bleibt's bei den R&B-Eskapisten, die langsam in immer mehr Softsoul-Schmalz versumpfen? Warum dann nicht gleich André Rieu ... Fragen über Fragen, und nur unbefriedigende Antworten. Aber heute ist ja auch passenderweise der Welttoilettentag. Nicht aber, dass alles nur Scheiße wäre – es gibt ja auch noch anderes als die Ranküne der Musikindustrie und der unter akustischer Verstopfung leidenden Musikhörer. Denn schwerpunktmäßig wird der Welttoilettentag in Paderborn im Museum gefeiert, genauer in der Ausstellung Computer.Medizin: Womit wir wieder bei der Scheiße wären. Denn im HNF, da steht das intelligente Scheißhaus der Zukunft, die mit WLAN ausgestattete höhenverstellbare Toilette mit Sitzheizung, die unter anderem die Temperatur, den PH-Wert und den Blutzuckergehalt des Urins misst und per Funk zum PC schickt. Mit dem man wiederum einen Reinigungsstrahl programmieren und die Intensität des Trockenluftstroms bestimmen kann. Bald weiß meine Toilette mehr über mich als mein Hausarzt. Vielleicht kommuniziert sie hinter meinem Rücken mit dem aktiven Implantat in meinem Bauch, damit es das Magenband enger schnallt, weil ich wiedermal zuviel gefressen habe. Gut, man könnte den Welttoilettentag anders feiern, etwa mit einem Toilettenvideo aus der nicht enden wollenden Chronique Scandaleuse von StudiVZ, die uns im WWWW seit mehreren Ausgaben begleitet. Letztens schrieb ich über die Verwendung des Völkischen Beobachters durch die Bande. Nun sind die Illustrationen da und täglich kommen neue Details hinzu. Was man im Rahmen eines Welttoilettentages so kommentieren kann: Die braune Kacke kann man herunterspülen, für die braune Denke in den Köpfen dieser neuen Unternehmer braucht es andere Dinge. Immerhin: Dem gruseligen Essay eines Unbelehrbaren ist eine Entschuldigung 2.0 gefolgt.

*** Für IT-Journalisten wird das Leben mit dem Web 2.0 immer härter. Schluss ist's mit den Verhätschelungen, die sich Pressereisen nennen. Auch die Tratschplätze namens Messen werden besenrein anderen Bestimmungen überlassen. IBM hat dieser Tage neue Geschäftsideen in der Online-Welt Second Life vorgestellt, während Sun seine Java-Ankündigung und das Projekt Darkstar im eigens von Millions of Us aufgebauten Sun-Pavillon auf Second Life verkündete. 60 Leute schafften es, trotz aller verwirrenden Angaben durch Sun, in den virtuellen Pavillon. Journalisten waren nicht darunter, verkündete später Suns Chief Gaming Officer Chris Melissinos. Schlappe 15.000 Dollar hatte der Pavillon gekostet. Noch günstiger waren allerdings die vorab per Mail verschickten Pressemeldungen. Ich weiß nicht, was am Dienstag im Dell-Pavillon von Second Life verkündet wurde, da Dell europäische Teilnehmer von dieser Pressekonferenz ausgeschlossen hatte. Draußen vor wurde nur bekannt, dass man Dell-Rechner nun mit Linden-Dollars kaufen kann. Das Problem der tollen virtuellen Pressereisen ist wahrscheinlich auch ein Generationen-Problem. Am 1. Dezember lädt Socialtext zu einer Pressekonferenz in Warcraft ein. Bis um 5 p.m. Serverzeit muss man sich nach Goldshire im Elwynn Forrest auf dem Eitrigg-Server durchgekämpft haben. Wahrscheinlich werden das nur wenige Journalisten schaffen, wenn sie sich nicht mit einem erfahrenen Warcraft-Spieler zusammentun. Oder einfach auf die E-Mail mit der digitalen Pressemappe warten.

*** Während Cisco in Deutschland mit einem Konnektor etwas für die Gesundheit tut, hat man für schlappe 4 Millionen Dollar im Jahr die Cisco Fields der Oakland Athletics angemietet, um sie mit der neuesten Technologie zu füllen. Dem quengelnden Nachwuchs können Cola und Hot Dogs per Blackberry bestellt werden, ohne dass man auf das spannende Baseball verzichten muss. Hart arbeitet Cisco daran, dass der Spielbesuch sich nicht vom Fläzen vor dem Fernseher unterscheidet, mit Ausnahme der sauberen Toiletten natürlich. Das sollte man am Welttoilettentag fairerweise erwähnen. Zeitlupe auf Monitoren an allen Sitzen, was will man mehr? Und warum nicht bei uns? Wo ist es denn, das Siemens-Stadium? Kein Geld?

*** Cisco nennt den Deal eine Revolution in Anlehnung an die Oakland-Revolution der 68er, als das amerikanische Telefonnetz glühte. Damit ist übrigens nicht die Studentenrevolte gemeint, sondern das Heidi Game, die Entscheidung des Fernsehsenders NBC, am 17. November 1968 die Übertragung des Football-Matches zwischen den Oakland Raiders und den New York Jets eine Minute vor Spielschluss beim Stande von 29 zur 32 für die Jets abzubrechen und pünktlich mit der Ausstrahlung von Heidi zu beginnen. Pech für NBC: Die Raiders drehten das Spiel noch um und gewannen. Seitdem können Sportsendungen in aller Welt überziehen. Sportliche Katastrophen gibt es dennoch weiterhin, wenn Sender Werbespots zur falschen Zeit einblenden oder Waldemar Hartmann auf dem Bildschirm erscheint. Aber ach, was ist schon Waldi gegen Kai? Möglicherweise sind intelligente Toiletten doch die besseren Sportreporter, zumindest weiß man gleich, wohin mit der Scheiße, die am Ring, am Spielfeldrand und neben der Rennstrecke abgesondert wird.

*** Apropos Toiletten: Ich glaube, dass Microsofts Steve Ballmer ein großer Clown sein könnte. Leider muss er eine Firma führen, daher kommen seine Späßchen nicht immer gut an. Dieser Witz über den Teufelspakt soll offenbar verdecken, dass Microsoft offenbar ein Novell-Patent verletzt hat, das bis zum Jahre 2012 gültig ist. Doch Clowns sollte man nicht unterschätzen. Spätestens seit der Entscheidung, MS-Firefox statt dem patchgeplagten Explorer einzusetzen, zeigt sich Ballmer auch als vifer Stratege.

*** Und wenn man schon tief in der Schweiße steckt, kann es doch noch schlimmer kommen. Etwas verspätet verneige ich mich vor Jack Williamson, der im gesegneten Alter von 95 Jahren diesen Teil der Realität hinter sich gelassen hat. Mit "The Humanoids" schrieb Williamson einen der großen Roboter-Romane. Bei uns erschien das Werk unter dem Titel Wing 4 in der Science Fiction Reihe des Philosophen Gotthard Günther. Vom Goldenen Zeitalter der Science Fiction sind nur noch wenige Autoren unter uns und nein, mein Halbnamensvater Clarke gehört nicht zu ihnen, da er erst nach 1945 seine SciFi veröffentlichte. Bei aller Trauer gibt es auch gute Nachrichten: Der hier erwähnte Bibel-SciFi-Comic Acedah ist im freien Download verfügbar, mitsamt den Kommentaren des Autors. Zur Erinnerung: Er erzählt die Geschichte, was passiert, wenn wir alle mit RFID-Chips getaggt sind.

Was wird.

Wo ich bei den Geschenken bin; Weihnachten rückt näher. Das erste Spielzeug für den Admin von morgen wurde bereits als Nachricht gemeldet, doch die richtigen Spielzeugereien für Erwachsene, die der große Raffzahn listet, müssen bald bestellt werden, damit sie möglichst klimaneutral ankommen können.

Am nächsten Dienstag feiert Motorola einen besonderen Geburtstag. 10 Jahre ist es dann her, dass man den ersten Vertrag für den Aufbau eines TETRA-Netzes an Land zog. Trotz der satten Summe von 132 Millionen Euro für innere Sicherheit warten die Einsatzkräfte bei uns immer noch auf den leistungsfähigen Funk. Vielleicht liegt es daran, dass wir bei der inneren Sicherheit führend sind? Ach, die Gelder sollen in die Dauerüberwachung des Internet fließen. Und die Bundespolizei muss ganz dringend renoviert werden, damit "eine Stärkung des Kräftepotenzials für Auslandsverwendungen" erfolgt, während die Bundeswehr zum Ausgleich im Innern schädelsichernde Maßnahmen durchführen soll. Der ganze Irrwitz um Sicherheit und Terror braucht schnellstens eine Exit-Strategie.

Im Kampf gegen den Terror sollen auch die Anonymisierungsdienste die Vorratsdatenspeicherung betreiben. Ich verweise darum auf diesen exzellenten Blog, in dem einmal die Kosten für die Datenspeicherung von einem TOR-Admin durchgerechnet werden. Fazit: Die ausgesprochen sinnlose Anforderung dürfte viele TOR-Nodes zur Aufgabe zwingen. Was dann im Innenministerium als positive Nebenwirkung verbucht werden dürfte. All das ist nur ein zarter Hinweis auf eine Veranstaltung zum Anonymisierungsdienst AN.ON, die in der nächsten Woche im Bundeswirtschaftsministerium stattfindet. Wenn Sicherheitsfanatiker frei drehen, vergessen sie die Kosten des Antiterror-Terrors, die die Wirtschaft aufbringen muss. Derweil verabreden sich die wahren Terroristen zum Brainstorming im leergefegten Sun-Pavillion auf Second Life, in einer Warcraft-Höhle oder konferieren besser gleich als Clan in einem dieser Ballerspiele. Vielleicht kommunizieren sie in naher Zukunft über intelligente Toiletten, die prompt unter die Vorratsdatenspeicherung fallen. Shit happens. (Hal Faber) /

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