Japan: Engpässe bei Speicherchips und anderen Bauelementen befürchtet

Erdbeben, Tsunami, Atomunfall, unsichere Stromversorgung, Behinderungen im Verkehr und eine verunsicherte Bevölkerung wirken sich auf die Produktion japanischer Firmen aus.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 74 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Die Kette von Katastrophen in Japan hat tausende Menschen getötet und bedroht unzählige weitere. Die Folgen von Erdbeben, Tsunami und Atomunfall behindern aber auch die Produktion japanischer Firmen, deren Kunden Lieferengpässe befürchten. Teilweise handelt es sich dabei um Spekulationen, weil sich die Auswirkungen der Natur- und Nuklearkatastrophen auf die Produktionstüchtigkeit vieler Werke noch gar nicht genau einschätzen lassen. Allerdings melden unter anderem die Firmen Fujitsu, Renesas, Sony und Texas Instruments (TI) für einige ihrer japanischen Standorte bereits längere Ausfallzeiten. Zudem ist es wahrscheinlich, dass die unsichere Stromversorgung, Probleme mit Land- und Luftverkehr, die wegen der befürcheteten Auswirkungen des Atomunfalls starke Belastung der Mitarbeiter und möglicherweise sogar radioaktive Verseuchung von Teilen des Landes die Produktionskapazität beeinträchtigen.

An der taiwanischen Speicherchip-Börse DRAMeXchange.com sind gestern die Preise für NAND-Flash-Bauelemente sprunghaft um bis zu 20 Prozent angestiegen. Hintergrund dürfte sein, dass Käufer Produktionsausfälle beim nach Samsung (Korea) weltweit zweitgrößten NAND-Flash-Chiphersteller Toshiba befürchten. Dessen größte Werke, die Silizium-Wafer verarbeiten, stehen in Yokkaichi in der Präfektur Mie, nahe Nagoya, also im Süden des Landes und rund 300 km entfernt von Tokio. Die NAND-Flash-Fabs von Toshiba waren nicht beschädigt worden und konnten laut Toshiba die Produktion nach kurzer Unterbrechung fortsetzen. Gestern hat Toshiba aber gemeldet, dass man die Produktion gestoppt habe und auch im Verwaltungsbereich nur essenzielle Arbeiten erledige, um Energie zu sparen – der Status der NAND-Flash-Produktion ist also unklar. Außerdem ist nach der eigentlichen Wafer-Verarbeitung ja noch das Prüfen der Wafer, die Vereinzelung der Dice und das Packaging nötig. Dazu werden die fertigen Wafer üblicherweise in andere Fabriken transportiert – und ob diese arbeitsfähig sind, scheint ebenfalls unklar.

Auch die Preise für DRAM-Hauptspeicherchips sind gestiegen, aber nicht so stark wie für NAND-Flash-Speicher. In Japan ansässig ist mit Elpida der nach Samsung und Hynix (beide Korea) drittgrößte DRAM-Chiphersteller, der große Fabs in Hiroshima betreibt – also noch weiter südlich als Yokkaichi. Elpida meldet, dort laufe der Betrieb weitgehend normal. Man kläre aber zurzeit noch offene Fragen mit Zulieferern.

Zu diesen dürften die beiden weltgrößten Hersteller von Silizium-Wafern gehören, nämlich Shin-Etsu und Sumco. Shin-Etsu Handotai (SEH) betreibt das Werk Shirakawa in der Präfektur Fukushima, das vom Erdbeben beschädigt wurde. Sumco hingegen züchtet große Silizium-Einkristalle vorwiegend in zwei Werken in Imari (PDF-Datei) im Süden Japans.

Bei Sony ruht die Produktion in mehreren Fabriken in den Präfekturen Miyagi – dort liegt die stark vom Tsunami betroffene Stadt Sendai – und Fukushima, aber auch in Saitama und Ibaraki näher an Tokio. Betroffen sind vor allem Halbleiterlaser für optische Laufwerke sowie Lithium-Ionen-Zellen für Akkumulatoren. Die Firmen Fujitsu und Texas Instruments (TI) betreiben Chip-Fabs in Aizu-Wakamatsu in der Präfektur Fukushima, die nun stillstehen. Die Produkte aus der TI-Fab Miho tragen etwa 10 Prozent des Umsatzes von TI, hier werden die DLP-Spiegelchips für Beamer sowie Analog-ICs gefertigt. Erst im April erwartet TI wieder eine normale Produktion, falls die Stromversorgung zuverlässig läuft; zwischenzeitlich verlagert man die Fertigung nach Möglichkeit in andere Werke. Renesas meldet Schäden bei fünf von sieben Werken in Japan, unterstucht zurzeit aber noch die genauen Auswirkungen.

Der Energieversorger Tokyo Electric Power, der auch die Unglücksreaktoren in Fukushima Daiichi betrieb, trennt Firmen reihum nach dem Prinzip des "Rolling Blackout" jeweils zeitweilig vom Stromnetz. Wann Chip-Fabs unter diesen Bedingungen wieder einen regulären Betrieb aufnehmen können, scheint völlig offen. Viele Chip-Hersteller wollen zunächst dazu beitragen, wieder normale Lebensumstände für ihre Mitarbeiter und die gesamte Bevölkerung zu schaffen, und spenden große Summen. Zurzeit ist jedenfalls schwer abschätzbar, welche Auswirkungen die schlimmen Unglücke in Japan auf die Industrie haben werden.

Siehe zum Erdbeben in Japan und der Entwicklung danach auch:

  • Der Alptraum von Fukushima, Technology Review zu den Ereignissen in den japanischen Atomkraftwerken und zum technischen Hintergrund.
  • 80 Sekunden bis zur Erschütterung in Technology Review
  • Dreifaches Leid, Martin Kölling, Sinologe in Tokio, beschreibt in seinem, Blog auf Technology Review, "wie ein Land mit der schlimmsten Katastrophenserie der Menschheitsgeschichte umgeht".

(ciw)