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Was war. Was wird.

Ach, wer will schon ewig leben? Ich, ich!, kreischt Hal Faber und erinnert nicht nur an einige Unsterbliche, sondern muss leider auch wieder in den Wahnsinn des gar nicht so anonymen Web x.x eintauchen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Who wants to live forever? Viele, doch, auch wenn alles schon von anderer Seite für uns entschieden scheint. Am Freitag vor 15 Jahren aber starb Freddie Mercury, und eine Ära ging zu Ende. Eine noch weiter zurückliegende Ära verklang eigentlich erst am Donnerstag, als Anita O'Day starb, die voerst letzte der Diven unter den Jazzsängerinnen. Forever is our today.

** Diese Kolumne aber, sie entsteht nicht in der Ewigkeit, sondern am Kaufnichtstag. Das bedeutet zunächst einmal, dass absolut niemand diese Kolumne gekauft hat. Und das, obwohl ich meinen Bauchladen für Erwähnungsbonuszahlungen und Schweigespiralen nach dem neuen Ladenschlussgesetz rund um die Uhr geöffnet habe. Ich schreibe also die kleine Wochenschau, ohne dass ich das übliche Scheinchen der Bande bekommen habe, damit ich Siemens nicht erwähne. Ackermann hat mir gestern Abend bedauernd seine leere Börse gezeigt. 3,2 Millionen muss er zahlen, der arme Kerl, der bei der Deutschen Bank nur 20 Millionen per anno verdient.

*** Aber was sind schon 3,2 Millionen, wenn es um die Ewigkeit geht. Auch Microsoft und Novell haben diesmal keine Asche fürs Kolumnisten-Appeasement über, nachdem die beiden ehrenwerten Firmen am Mittwoch die Tageszeitungen von Filzland mit ganzseitigen Anzeigen pflasterten. "Brücken bauen" wollen sie, wozu ein weitreichender Patentschutz notwendig ist, sagen sie in der Anzeige. Tja, das ist dann wohl eine Partnerschaft, die wirklich für die Ewigkeit geschmiedet wird. Man muss sich das bildlich vorstellen, wie Microsoft eine Brücke in Powerpoint anlegt und merkt, dass in Open Office eine Fähre daraus geworden ist. So lesen wir in der Anzeige: "Die beiden Firmen arbeiten zukünftig zusammen, damit Kunden besser und einfacher Dokumente zwischen OpenOffice.org und Microsoft Office austauschen und damit bearbeiten können." OpenOffice.org, soso. Aber der Text geht noch weiter: "Außerdem werden wir den Kunden des jeweils anderen Unternehmens Patentschutz für unsere wichtigsten Produkte zur Verfügung stellen. So können wir unseren Kunden höchste Interoperabilität bieten." Aha, aha. Liebe Novell, liebe Microsoft, ich bedanke mich ganz herzlich für den anzeigenmäßig geschalteten Irrsinn, dass es ohne Patentschutz keine Interoperabilität geben kann. Das sind wirklich Weisheiten, die für die Ewigkeit Gültigkeit haben. Oder doch nur fürs Jenseits? Disclaimer: Ich weiß, dass sich die vollständige Erklärung etwas anders liest. Aber welcher Tageszeitungsleser tut sich den Tort an, so etwas zu lesen? "Dieses außergewöhnliche Abkommen zwischen Novell und Microsoft ist durch einen umfassenden und konstruktiven Dialog, gegenseitigen Respekt und kreative Problemlösung zustande gekommen." Es gibt Brücken, die (Vorsicht, Video) so ins Schwanken geraten können, dass es Menschen speiübel wird, wenn sie drüber wollen.

*** Dieser kleine Wochenrückblick entsteht in der norddeutschen Tiefebene, über die gerade ein warmer kräftiger Frühlingswind braust. Die Kinder sind draußen, spielen im Wald oder auf dem Bolzplatz. Dennoch werden sie sich heute Abend mit ihren Clans auf irgendwelchen Servern zum Ballern treffen, sofern sie nicht älter sind und Treffen in RL auf Parties vorziehen. Das aufgeregte Geschnatter über das Verbot von Killerspielen nach der Tat des verzweifelten ResidentX brauchen wir hier also nicht zu kommentieren. Natürlich beeinflussen Ballerspiele Kinder, genau wie das gern zitierte Spielen im Wald. Es gibt Auswirkungen: "Es gibt eine Studie aus den USA, die gezeigt hat, dass die Treffsicherheit der Täter durch die Computerspiele enorm steigt. Wenn Sie oder ich zum Amokläufer würden – wir würden mit solchen Waffen keinen Lastwagen treffen." Immerhin zeigt Emsdetten, dass die Waffenrechtsnovelle nach dem Amoklauf von Erfurt gegriffen hat: Die benutzten einläufigen Perkussionswaffen sind frei verkäuflich.

*** Die Kommentare zu Emsdetten zeigen den eigentlichen Irrsinn, der in Deutschland herrscht: Niemand sieht genau hin, hört zu und reagiert auf Hilferufe in den einschlägigen Web-Foren, in denen sich der junge Mann zu Worte gemeldet hatte. Weit weisen die Betreiber dieser Dienste jede Verantwortung von sich, schließlich haben Werbezwecke Vorrang. Die Tagespresse pflegt derweil unbekümmert ihre Steckenpferde und schwafelt Unsinn wie etwa, dass Jahre der feministischen Denunziation haben da volle Breitenwirkung entfaltet haben. Nicht besser allerdings erscheint es, wenn die gleichmachende, friedensbewegte und humanitätstrunkene Gesellschaft für den Griff zum Vorderlader verantwortlich gemacht wird. Und gleich ein höhnisches Looser dazu, das macht sich schick, in diesen Tagen. Derweil hat das Fäuleton der immerzu Anständigen die abscheuliche Ästhetik und die bessere Gewalt diskursiv im Griff und triumphiert mit der Deutungshoheit der immerzu Allesverstehenden. Derweil beginnt bei ResitantX derselbe Mechanismus zu wirken, der die Amokläufer von Littleton umgibt. Vor wenigen Monaten kam eine CD-ROM ihrer Aufzeichnungen heraus. Heute ist sie Kult und nicht wenige WWWW-Leser bestellten sie, als ich auf einen entsprechenden Text im Feuilleton verlinkte, der die Ästhetik dieser Aufzeichnungen lobend rezensierte.

*** Wer die Ballerspielphase hinter sich hat und womöglich an einer Universität zugelassen wird, aber sich nie getraut hat, ein weibliches Wesen anzusprechen, der hat es im Zeichen von Web 2.0 ganz leicht. Er grabscht notgeil digital die Bilder ab, die eine Website wie StudiVZ reichlich ungeschützt anbietet. Er gruschelt und das auch noch hoch arbeitsteilig organisiert. Aber, hey, ich bin doch nur ein völliger harmloser und ewigkeitsinteressierter Beobachter, seit Wochen schon, und freue mich, wenn es heißt, dass es total normal ist, dass sich Studentinnen über Studenten und Studenten über Studentinnen unterhalten. So bleibt mir nur übrig, im Sinne des Mitgründers mit einem (Vorsicht, iranisches Gewaltvideo) weiteren Link zu antworten. Denn heute vor 64 Jahren hatte Casablanca Premiere, ein kleines Filmchen, in 10 Wochen abgedreht. Die Videofassung für alle Aufrechten ist natürlich das Absingen der (Vorsicht, Video mit antidarianischen Untertönen) Marseillaise.

Was wird.

Lassen wir das mit den Hymnen. Wer kennt denn noch die großen Gesänge der SPD, wer singt denn noch inbrünstig über Spaniels Himmel, unter dem kein Sozialist den Faschistenkugeln ausweicht? Morgen beginnt die Konferenz über sozialdemokratische Wirtschaftspolitik, zu der auch der bekannte Sozialdemokrat Marcel Bartels eingeladen ist, genau wie sein Gegenspieler, der SPD-Minister Sigmar Gabriel. Der klagt seit geraumer Zeit über einen Forums-Beitrag, den ein Dritter bei dem besagten Marcel Bartels eingestellt hat. Wie heißt es so schön im Impulspapier der Konferenz, Punkt 16: "Die Politik muss zudem Verbraucherinnen und Verbraucher durch Informationsrechte und Transparenzregeln stärken, damit sie von der Nachfrageseite zum Funktionieren des Marktes beitragen können." Informationsrechte, Transparenzregeln? Und jetzt googlen bitte die WWWW-Leser, die es bis hierhin ausgehalten haben, den Satz "Ich will auch zu den Nutten".

Es gibt natürlich auch andere Termine, etwa die tolle Konferenz Bessere Software!. Man denke nur an den flammenden Vortrag, den SAP-Gründer Hasso Plattner in dieser Woche für bessere Software gehalten hat. Ausgerechnet ein SAP-Chef fragt sich: "Bin ich zu blöd, dass ich das nicht sofort bedienen kann?" Ach, wer kennt ihn nicht, den Witz "Wenn SAP Toaster herstellen würde, dann ..."

In Berlin ist T-Com zugange und veröffentlicht am Mittwoch die Ergebnisse der Studie Deutschland Online 4 zur Branchenkonvergenz und der herausragenden Art, die das grandiose Web 2.0 in unser aller Zukunft spielen wird. Nichts weniger als eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung des Web 2.0-Phänomens präsentiert Professor Wirtz im Sony-Center. Deutschland Online 3 mit dem gesammelten Unsinn zum Triple Play gab es übrigens in München auf dem Digital Lifestyle Day. Doch das große Gruscheln mit Marissa Meyer und Craig Newmark findet erst im nächsten Jahr im Januar statt und T-Com braucht T-Com 2.0 so schnell wie möglich. Des Kaisers neue Kleider kommen diesmal nicht von Burda Moden. (Hal Faber) / (jk)