Banden-Kriminalität auf Vorstandsebene: Siemens unter Schock
Mit der Verhaftung eines früheren Bereichsvorstands und durch die Beteiligung von Mitarbeitern im Bereich des Controllings habe die Finanzaffäre inzwischen eine Dimension erreicht, die kaum jemand im Haus für möglich gehalten habe, hieß es bei Siemens.
Die Enthüllungen über eine Bande teils hochrangiger krimineller Mitarbeiter und die Unterschlagung von rund 200 Millionen Euro haben den Siemens-Konzern in einen Schockzustand versetzt. "Das ist erschütternd", sagte ein Siemens-Funktionsträger am Donnerstag. Mit der Verhaftung eines früheren Bereichsvorstands und durch die Beteiligung von Mitarbeitern im Bereich des Controllings habe die Affäre inzwischen eine Dimension erreicht, die kaum jemand im Haus für möglich gehalten habe; die Staatsanwaltschaft sprach davon, nach derzeitigem Stand hätten die Beschuldigten sich "zu einer Bande zusammengeschlossen, um fortgesetzt Untreuehandlungen zum Nachteil der Firma Siemens durch die Bildung schwarzer Kassen im Ausland zu begehen". Siemens-Vorstandschef Klaus Kleinfeld versuchte, mit der Ankündigung eines harten Vorgehens in die Offensive zu kommen.
Offiziell wollen sich derzeit nur wenige bei Siemens zu dem Skandal äußern. "Ich persönlich arbeite seit 25 Jahren für den Konzern, und es bewegt mich sehr, was da vorgeht", sagte am Donnerstag der Chef der Siemens-Tochter Osram, Martin Goetzeler. Er könne nur versichern, dass "der gesamte Vorstand von Siemens und die Führungsmannschaft daran interessiert sind, dass die Vorwürfe aufgeklärt werden und dass die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft vollständig fortgesetzt wird".
Auch Kleinfeld kündigte eine schonungslose Aufklärung an. Mitarbeiter, bei denen sich der Verdacht auf ungesetzliches Verhalten erhärte, würden "unmittelbar suspendiert". Obwohl allerdings zum Beispiel der Geschäftsführer einer Siemens-Tochter seit einer Woche in Haft sitzt, hat es bisher offenbar noch keine Suspendierungen gegeben. In jedem Fall will der Konzern die Verhaltensregeln für seine Mitarbeiter deutlich verschärfen.
Experten betonen, wie wichtig das aktive Vorgehen eines Unternehmens gegen Korruption ist. Es reiche nicht, einmal Verhaltensregeln aufzustellen und sich ansonsten auf Staatsanwaltschaft und Polizei zu verlassen. "Korruption ist ein Kontrolldelikt", sagte Stefan Heißner, Korruptionsexperte bei der Beratungsgesellschaft Ernst & Young in München. Fälle würden meist nur durch aktive Maßnahmen oder Hinweise aufgedeckt.
Auch Maxim Worcester vom weltweit aktiven Beratungskonzern Control Risks betont, dass es mit einfachen Verhaltensregeln nicht getan ist. "Sie mĂĽssen auch nach innen und auĂźen gelebt und vertreten werden." Die Beratungsfirma stellt vielfach fest, dass die Regeln in den Unternehmen kaum bekannt sind. "Das muss von den Chefs und Managern immer wieder thematisiert werden."
Trotz der enormen Dimension des Falles wird im Umfeld des Konzerns betont: "Das ist nicht Siemens." Zum einen handle es sich bei den etwa ein Dutzend Verdächtigen verglichen mit den weltweit über 450.000 Beschäftigten um eine kleine Zahl. Zudem konzentrierten sie sich vor allem auf einen Bereich des breit aufgestellten Konzerns – die Festnetzsparte Com: "Wir haben es offenbar mit einer Com-Bande zu tun." Zumindest die politische Verantwortung für die Vorfälle wird dabei derzeit von vielen Thomas Ganswindt zugeschrieben. Der Manager war Chef der früheren Festnetzsparte ICN und verantwortete das Geschäft eine Zeit lang im Zentralvorstand. Allerdings hat er den Konzern vor einigen Wochen verlassen.
Siehe dazu auch:
- Siemens will in Finanzaffäre hart durchgreifen
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- Siemens schon lange über Affäre informiert
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- Siemens-Affäre weitet sich aus: Haftbefehle gegen Ex-Manager
- Siemens-Razzia: Verdacht der Veruntreuung im Festnetzbereich
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(Axel Höpner, dpa) / (jk)