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Was war. Was wird.

Auch angebissene Äpfel fallen nicht weit vom Stamm, könnte man meinen, verfolgt man die euphorischen Zuckungen mancher User. Aber gibt es sie denn überhaupt, die User? Hal Faber ist sich angesichts der Peinlichkeiten der IT-Branche unsicherer denn je.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich finde fabern nett. Eine geglückte Assoziation mit labern, ein Schüsschen färben ist drin für die Freunde des objektiven Journalismus und leichte Anklänge ans falknern und die hohe Kunst, mit schrägen Vögeln umzugehen. Ich meine, fabern hat so etwas menschliches, es ist schon einen Schritt weiter als der Help Desk mit einem menschlichen Anlitz, diese millionenschwere Werbekampagne von IBM, die gerade mit den Playoffs im amerikanischen Football gestartet wird. Während die Conceptioner von Ogilvy & Mather davon schwärmen, dass ihre neuen Werbespots die "humanistische Dimension der Technologie" begreiflich machen, grübel ich über die Giraffe hinter dem Help Desk, vielleicht ein dezenter Hinweise auf die Human Computer Giraffe Interaction. Von dem Satz "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", wie er einstmals 1968 in Prag propagiert wurde und unter die Räder kam, ist ein Help Desk geblieben -- und ein rotes Telefon, gewissermaßen die Kreml-Direktverbindung zum User.

*** Dabei lebt der Kommunismus in einer neuen Art auf. Das hat Bill Gates gesagt und wenn einer etwas vom Kommunismus versteht, dann wohl his Billness, seit seinem Open Letter to Hobbyists der Jäger des verlorenen Eigentums schlechthin. In Las Vegas billgte er also über die neuen Kommunisten, die das abschaffen wollen, was Programmierer und Musiker zum Schaffen anreizt. An dieser Stelle muss gefragt werden, was denn die Incentives sind, die gemeinhin einen Musiker beflügeln oder einen Programmierer in eine Tag-und-Nachtschicht treiben. Für Gates sind es harte Dollars, die sich nur dann realisieren lassen, wenn sich das Eigentum an geistiger Arbeit an einer Person festzurren lässt. Nehmen wir nur die Rechte an den Engeln, die Raphael 1513 in der sixtinischen Madonna gemalt hat. Über diese Marke regen sich die Kulturträger auf, doch nicht darum, weil es zeigt, wie aus der Kultur Profit wird, sondern darum, dass sie von einer im alten Kommunismus aufgewachsenen Prostituierten gehalten wird. Groß ist auch die Empörung über den Plan, mit 1-Euro-Jobs die deutsche Kultur zum Zwecke besserer Vermarktbarkeit zu digitalisieren und die deutsche Wirtschaft zwangsarbeitend anzukurbeln. Auch hier sind nicht die neuen Kommunisten am Werk, sondern ganz normale Unternehmer, die Waren liefern Firmen wie Corbis oder Getty Images.

*** Vielleicht drehen Musiker, Maler und Programmierer nicht den großen Geldhahn auf, wenn sie kreativ sind, sondern schöpfen ihre Werke aus der sie umgebenden Kultur, grasen wie Kühe auf der mittelalterlichen Allmende. Legt man mit Lawrence Lessig diesen Begriff an, dann weht die Rote Fahne der neuen Kommunisten auf vielen Dächern, dann wird Gates' dahingeworfene Floskel zum Alptraum für Microsoft. Es gibt bei dieser Firma genügend intelligente Leute, die künstlerische Freiheit und geistiges Eigentum nicht so platt auf einen Nenner bringen, wie es ihr Stararchitekt tut -- der möglicherweise aber mehr von den puritanischen Ursprüngen des American Way of Life verstanden hat als all die aufgeregten Open-Source-Anhänger, die Microsofts Übervater nun in die McCarthy-Ecke packen.

*** Bill Gates' Auslassungen fielen auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas, der offenbar nichts Peinliches fremd ist. Den Höhepunkt der Peinlichkeiten erreichte Intels kurz vor der Pensionierung stehender Craig Barrett im Duett mit Aerosmith-Sänger Steven Tyler. Die beiden vergriffen sich so an Walk this way, dass King Elvis im Grabe rotieren würde -- wenn er denn gestorben wäre. Doch Elvis lebt, für immer, in unseren Herzen, darum sei es ihm gegönnt, in Harper Valley PTA mit Jeannie C. Riley zu röhren, mittlerweile im Großelternrat.

*** In dieser Woche, in der die Witwenschüttler, ähem, die Journalisten in Ostasien ganze Arbeit leisten, ist es wahrscheinlich etwas frivol, auf die großen Geister hinzuweisen, die sich ganz ohne Wasser auf den Weg gemacht haben. Hier an dieser Stelle wurde Charles Wilp zum 70. gratuliert, jetzt müssen wir Beileidskarten nach Bochum schicken. Gegangen ist einer, der wie kein Dritter für die Raumfahrt lebte. Der zweite, der für und von der Raumfahrt lebte, ist Frank Kelly Freas, der größte Illustrator, den die Science Fiction bisher hatte. Schließlich trauern wir noch um Will Eisner, der den Comic von den Superhelden emanzipierte und vice versa die Helden melancholisch werden ließ.

*** Über das, was sich in Südostasien nach den Tsunamis abspielt, können wir in Europa oder in Amerika schlecht urteilen. Dennoch gibt es wohlfeile Ansichten en gros. Die einen schimpfen über das Hilfegetue und veröffentlichen einen Aufruf, nicht zu spenden. Hier ist nur noch der halbherzige Widerruf zu lesen. Die anderen protestieren gegen den Schuldenerlass, wie man es in der Süddeutschen Zeitung passenderweise nur als E-Paper lesen kann. Auf ihrer Titelseite jubiliert die FAZ mit Forschungsministerin Bulmahn über ein 40 Millionen Euro teures Frühwarnsystem für Sri Lanka, während das mit quelloffener Software aufzusetzende Open Tsunami Alert System mit keiner Silbe erwähnt wird. Ja, Geschäfte machen müssen wir doch alle.

*** Der Ekel vergrößert sich, wenn die von der Bundesregierung versprochenen 500 Millionen Euro im Lichte der aktuellen Ereignisse rund um Hartz IV betrachtet werden. Am vergangenen Mittwoch meldete der Heiseticker schwere Software-Pannen von der Sorte, dass Barschecks die Allg-II Empfänger nicht erreichen. Nun hat die Bundesagentur für Arbeit offiziell zugegeben, dass 23.000 Scheckbriefe betroffen waren, weil durch ein Problem bei der Buchhaltungssoftware im Adressenfeld statt 27 Stellen nur 18 Stellen zur Verfügung standen. Auch die Tatsache, dass 95.000 Postbank-Kunden versehentlich ihr Geld nicht bekamen, ist inzwischen bestätigt. Die Melancholie der Superhelden erfasst dieses Land, wenn ein ranghoher Gewerkschaftler im Freitag mit den Worten abwinkt: "Sieben Millionen Menschen setzen sich vor den Fernseher, nur weil eine abgetakelte Schauspielerin Kakerlaken isst. Da ist es schwer, eine gesellschaftspolitische Debatte zu führen, die wir ganz dringend brauchen, um zu definieren, in welche Richtung die Gesellschaft steuern soll."

Was wird.

Zur CES in Las Vegas verhedderte sich Bill Gates nicht nur in der Dialektik der politischen Ökonomie, sondern lieferte auch noch eine Keynote ab, in der nicht alle Geräte mitspielten. Sogar einen wachechten, Microsoft-typischen Bluescreen gab es, als bei der Präsentation von Forza Motorsport ein "Out of system memory" im satten Blau erschien. Den Vogel schoss indes der angeheuerte Komiker O'Brien ab. Ein Satz aus der Keynote, in der O'Brien über seine Erlebnisse in Las Vegas berichtete, gibt uns das Motto für die nächste Woche: "I got too drunk, I woke up with a hooker, Bill got too drunk, he woke up with an Apple computer."

Ja, die MacWorld in San Francisco bringt die Gerüchteküchen auf Hochtouren. Sich solchermaßen über mögliche, unmögliche und gänzlich überflüssige Produkte zu freuen und zu spekulieren, vor Aufregung nicht schlafen zu können und, wenn es doch gelingt, von der angekifften Ellen Feist zu träumen: DAS müssen die Windows- und Linux-Fans erst einmal nachmachen. Eine abgesicherte Nachricht gibt es immerhin schon: Apple wird die Keynote von Bill Jobs nicht live als Stream senden, damit sich ein Fiasko wie bei Steve Gates nicht wiederholen kann. Vielleicht erinnerte sich Apple auch an den letzten Versuch, als vor 1000 europäischen Journalisten am Berliner Tor in Brandenburg alles durcheinander ging, weil ein Sturm den Satellitenwagen zum Kentern brachte. Dabei kann es gut möglich sein, dass Apple den vorhergesagten Billig-Mac für 249 Dollar einführt und 2005 noch 10 Millionen von diesem Zweit- und Drittrechner verkauft. Im Jahr 2004 war, wie das JWWWW zu berichten wusste, dieses Thema der absolute Spitzenreiter. So geht also alles weiter, wie's war. War was? Wird was? Wer will's wirklich wissen? (Hal Faber) / (jk)