Wissenschaftler und Verleger liegen bei der Urheberrechtsnovelle über Kreuz

Die Stellungnahme des Bundesrats hat den Streit um die Urheberrechtsreform weiter verschärft. Forscher und Verleger fürchten jeweils um die Zukunft der Wissenschaft, allerdings aufgrund genau gegensätzlicher Vorzeichen.

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Die Stellungnahme des Bundesrats zur zweiten Stufe der Urheberrechtsreform hat den Streit um die Gesetzesnovelle weiter verschärft. Forscher und Verleger fürchten jeweils um die Zukunft der Wissenschaft, allerdings aufgrund genau gegensätzlicher Vorzeichen. So hat das Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" den Protest der Länderkammer begrüßt. Durch die zu strikten Pläne des Bundeskabinetts seien "gravierende Nachteile für die deutsche Wissenschaft, ihre Autoren und für das deutsche Bildungswesen beim Umgang mit publiziertem Wissen zu erwarten". Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sieht durch den Regierungsentwurf ebenfalls "Bildung und Wissenschaft gefährdet". Ihm gehen im Gegensatz zu dem Aktionsbündnis die Freiheiten für Forscher und Bildungseinrichtungen und die damit verbundenen Einschränkungen der Verwerterrechte aber zu weit.

Ein Dorn im Auge ist dem Börsenverein vor allem Paragraf 52b im Entwurf für das neue Urheberrechtsgesetz. Er will es Bibliotheken, Museen und Archiven erlauben, beliebig viele elektronische Leseplätze aufzustellen und an diesen ohne Genehmigung der Rechteinhaber geschützte Werke zugänglich zu machen. Dabei soll es nicht darauf ankommen, ob und in welcher Zahl sich die fraglichen Werke im Bestand der jeweiligen Einrichtung befinden. Derlei "Beschränkungen des geistigen Eigentums" gefährden nach Ansicht der Buchhändler und Verleger nicht nur deren Existenz, sondern auch "die Arbeitsgrundlage von Autoren", heißt es in einer Resolution im Rahmen der am morgigen Dienstag in Berlin beginnenden Buchhändlertage. Für nationale Wissenschaftsverlage würde ein verändertes Urheberrecht keine hinreichenden Anreize mehr bieten, sich im Wettbewerb um die besten Inhalte unternehmerisch zu betätigen.

Bildung und Wissenschaft könnten unter diesen Umständen "ihr hohes Niveau nicht halten, geschweige denn erhöhen", sorgt sich Honnefelder. Der Bildungsstandort Deutschland werde so "eine mindere Rolle spielen". Aktuell geht es den Verlagen aber wirtschaftlich nicht so schlecht: "Erstmals seit vier Jahren ist der Umsatz der Buchbranche wieder nennenswert angestiegen", freut sich Honnefelder. Für die deutschen Verlage sei 2005 überwiegend ein erfolgreiches Jahr gewesen. Der Umsatz der Buchbranche ist 2005 nach Schätzungen des Börsenvereins um 0,9 Prozent angestiegen und liegt bei rund 9,2 Milliarden Euro. Bei der Prognose für 2006 konnte der Branchen-Monitor Buch für die ersten vier Monate des Jahres ein Plus von einem Prozent in den Vertriebswegen Sortiment, Warenhäuser und E-Commerce ausweisen.

Der Bundesrat ist den Verlegern einerseits entgegengekommen, indem er die Anzahl der über Terminals verfügbar gemachten Werke an den vorhandenen Bestand in den Sammlungen koppeln will. Gleichzeitig soll es aber allen Bildungseinrichtungen gestattet werden, elektronische Leseplätze verfügbar zu machen. Schwer auf dem Magen liegt den Verlegern die Forderung der Länder, den Besonderheiten von "Open Access"- und "Open Source"-Verwertungsmodellen Rechnung zu tragen. Autoren sollen etwa das Recht erhalten, den Inhalt eines Fachwerks im nicht-kommerziellen Umfeld und in einer gesonderten Formatierung nach Ablauf einer Mindestfrist von sechs Monaten seit Erstveröffentlichung anderweitig, also etwa im Internet, "öffentlich zugänglich zu machen". Die Verleger befürchten, dass die Kultusminister das Lehrpersonal an Hochschulen per Dienstverpflichtung dazu zwingen könnten, diese Zweitveröffentlichung zu forcieren. Im Wissenschaftslager erfreut sich dagegen die geforderte sechsmonatige Verzögerung keiner Beliebtheit.

"Licht und Schatten" finden auch Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, und ihr rechtspolitischer Kollege Jerzy Montag in der Position des Bundesrats. Richtig sei die Überlegung, die Höchstgrenze von fünf Prozent des Verkaufspreises von Geräten bei der Berechnung der Pauschalvergütung zu streichen. "Wir haben immer kritisiert, die Ausschüttungen an Urheber derart eng an die Preisstrategie der Gerätehersteller zu ketten", betonen die beiden Politiker. Erfreut verzeichnen sie, das der Bundesrat das Verlagsprivileg beim Versand von Kopien elektronischer Fachliteratur durch Bibliotheksdienste streichen will. Auch die vorgeschlagene Verlängerung der Intranetklausel für die Bereithaltung geschützter Werke für Unterrichtszwecke bis 2009 kommt den Grünen entgegen.

Gleichzeitig vermissen sie aber bei den Ländern eine klare Stellungnahme für eine auch gegen Kopierschutzmaßnahmen durchsetzbare Privatkopie. Bedauerlich sei ferner, dass sich der Bundesrat zur Streichung der umstrittenen P2P-Bagatellklausel durch das Kabinett ausgeschwiegen habe. "Unverständlich" erscheint Bettin und Montag, warum der Bundesrat die elektronischen Leseplätze in Bibliotheken nun doch wieder an ein Bestandsexemplar pro Platz binden will. Ausreichend sei in diesem Zusammenhang die angekündigte Selbstverpflichtungserklärung der Bibliotheken, ihr Anschaffungsverhalten aufrechtzuerhalten. Angesichts der in ihrer Intensität eher ungewöhnlichen Kritik der Länderkammer am Regierungsentwurf legt das wissenschaftliche Aktionsbündnis dem Kabinett nun das Zurückziehen des Entwurfs nahe. Nur so könne "in Ruhe an einer wirklichen Balance zwischen den Interessen gearbeitet werden".

Zu den Diskussionen um das geistige Eigentum, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (anw)