Bericht: Über 1 Million Mobilfunkgespräche bei Anti-Nazi-Demo in Dresden erfasst

Das sächsische Justizministerium begründet ihre flächendeckende Erfassung von Verbindungsdaten mittlerweile mit dem Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereininigung.

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Der Datenskandal über die flächendeckende Erfassung von Mobilfunk-Verbindungsdaten im Zuge einer Anti-Nazi-Demonstration in Dresden weitet sich aus. Laut einem Bericht der taz wurden in und um Dresden am 18. und 19. Februar über 1.034.000 Mobilfunk-Verbindungsdaten und -Bewegunsprofile erfasst und würden "aktuell weiter ausgewertet". Dies gehe aus einem sechsseitigen Bericht des sächsischen Innen- und Justizministeriums an Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hervor. Zunächst hatte die Polizeibehörde in Dresden die Auswertung der Funkzellendaten mit Ermittlungen in 45 Fällen von schwerem Landfriedensbruch begründet. Nachdem die Staatsanwaltschaft Dresden laut taz die weitere Auswertung der Funkdaten in diesen Fällen jedoch untersagt hatte, begründete der sächsische Justizminister Jürgen Martens (FDP) die Datenerhebung nun mit Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, ohne jedoch Details zu nennen.

Ministerpräsident Tillich soll das Justiz- und Innenministerium darum gebeten haben, ihre "Berichtspflichten zu optimieren". Verstöße gegen das Versammlungsrecht seien kein ausreichender Grund für die Datenerfassung. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) bezeichnete die Auswertung von über einer Million Verbindungsdaten hingegen als "verhältnismäßig". Die Landesregierung plane nun eine Bundesratsinitiative, bei der der unklare Rechtsbegriff der "erheblichen Straftat" präzisiert werden soll, laut der nach § 100g der Strafprozessordnung eine derartige Datenauswertung gerechtfertigt sei. Der Oberbürgermeister von Jena, Albrecht Schröter (SPD), kündigte unterdessen juristische Schritte gegen die flächendeckende Datenerfassung an: „Wir sind nicht in der DDR auf die Straße gegangen, um jetzt in einem Staat zu leben, wo so etwas möglich ist. Was da in Dresden passiert ist, war Rechtsbeugung. Ich werde alle rechtlichen Mittel ausschöpfen um das feststellen zu lassen.“

Das Bündnis Nazifrei - Dresden stellt sich quer hatte zur Blockade eines geplanten Neonazi-Aufmarschs am 19. Februar in Dresden aufgerufen. Laut Selbstdarstellung vereint das Bündnis ein breites gesellschaftliches Spektrum, mit Beteiligungen aus der SPD, den Grünen, der Linken, Gewerkschaften und außerparlamentarischen linken Gruppen. Mit ihren Blockaden wollten sie den jährlich stattfindenden Naziaufmarsch – angeblich der größte in Europa – verhindern, zu dem die rechtsextreme "Junge Landsmannschaft Ostpreußen" aufgerufen hatte. 15 bis 20.000 Menschen sollen sich an den Blockaden am 19. Februar beteiligt und den Aufmarsch verhindert haben. Laut Darstellung des Bündnisses soll die Polizei unter anderem mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Wasserwerfern gegen die Demonstraten vorgegangen sein. Es kritisierte jedoch auch, dass sich einzelne Demonstraten nicht an die Absprachen zu den friedlichen Sitzblockaden gehalten, mit Steinen geworfen und brennende Barrikaden errichtet hätten.

Um sich einen Überblick über das Ausmaß der Datenüberwachung zu verschaffen, ruft das Bündnis Demonstrationsteilnehmer und Dresdner Bürger auf, Auskünfte über die Datenerfassung bei Polizei und Staatsanwaltschaft einzuholen. Bündnisanwältin Prietrzyk bereite derzeit eine Klage vor. (hag)