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Was war. Was wird.

Die Buchmesse steht vor der Tür, knackend werden die Knochen der letzen Autoren und Urheber zusammengefegt und das sagenhafte Island gefeiert. Hal Faber sieht sich derweil vor, aus diesem Land einen Verkaufsstand für Eis und Getränke zu machen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der goldene Oktober ist da, die Eichen lassen Eicheln regnen und so knirscht es gruselig knackend bei jedem Schritt. Auf dem Bauernmarkt wird der größte Kürbis gewogen, auf dem Buchmarkt der größte Unsinn. Bekanntlich steht die Buchmesse vor der Tür, auf der das Lesefutter für die neuesten Kindle vorgestellt wird. Knackend werden die Knochen der letzen Autoren und Urheber zusammengefegt und das sagenhafte Island gefeiert. Dort, wo nach den Klagen der Assange-Groupies die isländische Parlamentarierin Birgitta Jonsdottir Assanges Geistes Kind IMMI gestohlen haben soll. Wie schade doch, das aus diesem "Kind" des großen Anderen ein real existierendes Gesetz für transparente Bürgerinformation entsteht, während Assange von Schattenregierungen schwafelt und überall Verschwörungen gegen seine Person wittert.

*** Stehlen und stehlen lassen, dieses uralte Gesetz der Raubdrucker und Plagiatoren, die edle Tat der skriptographischen Gemeinde, die Texte gemeinfrei macht, und die Frage, was Texte und ihre Autoren so treiben, sollen den Schwerpunkt dieser kleinen Wochenschau bilden. "Pro captu lectoris habent sua fata libelli" – Büchlein haben so ihre Schicksale, und das Verständnis des Lesers ist dabei noch das kleinste Problem. Wer die unautorisierte Autobiographie von Julian Assange aufschlägt, findet statt des üblichen Copyright-Vermerkes den Satz "The moral right of the author has been asserted". Das Buch hat keinen Urheber, aber das moralische Recht des Erzählers Assange, der das Buch ablehnt, ist gewahrt. Dabei hat, wer dieses endlos lange Statement herunterscrollt, Assange öffentlich zugegeben, gegen einen Gefälligkeitsaufschlag von 225.000 Pfund das Buch abzunicken, wenn weitere 175.000 zum Verkaufsstaat der Autobiographie gezahlt werden. All memoir is prostitution, und um Preise vor dem prokataleptischen Akt zu feilschen, gehört dazu: Für die Vibrationen am Knöchel muss es einen Aufpreis geben.

*** Was hat der Buchmarkt sonst zu bieten außer der Erzählung eines Australiers, der beim Anblick eines C64 seinen Lebensinhalt findet und die größte Nerd Attack aller Zeiten startet? Wir warten auf den Wurf des haartechnisch wie generationsmäßig mit Assange konkurrierenden Ex-Minister zu Guttenberg, der am Center for Strategic & International Studies Nachfolger des "Distinguished Statesman" Ehud Barak geworden ist. Als angesehener Staatsmann wird KT/.../zG eine transatlantische Dialoginitiative leiten, die ihm hoffentlich Zeit zum Schreiben lässt. Dann klappt es auch wieder mit der Buchmesse. Auch von der FDP-Frontfrau Silvana Koch-Merin wird ein neues Buch erwartet, hat sie sich doch weitgehend von der Arbeit für Europa verabschiedet. Immerhin ist schon der Titel ihres neuen Werkes bekannt: Facepalm – Arbeit muss sich wieder lohnen.

*** In einer bekloppten Fernsehshow namens Schlag den Raab gewann der Bielefelder Polizist Gil Kwamo-Kamdem mit Hilfe von Voodoo 1,5 Millionen Euro. Das Geld sollte reichen, im kamerunischen Heimatdorf des Polizisten einen Solar-Generator zu installieren, in einem Haus gebaut, vor dem ein Wachmann steht. Nun stammt Kwamo-Kamdem zwar aus Kamerun, ist aber deutscher Polizist und arbeitet derzeit an seiner Dissertation. Seine zuvor abgelegte Diplomarbeit ist schwer umstritten, der Streit um sie ist mindestens so bekloppt wie die Fernsehshow: Da prallt die Bielefelder Blöße (PDF-Datei) auf die Duisburger Blöße (PDF-Datei) und es wird ordentlich gehobelt. Ein Gutachter, der sich weigert, eine PDF-Datei zu lesen, weil sie ihm nicht vorschriftsmäßig auf CD übermittelt wurde, ist noch der kleinste Witz. Dabei sind sich alle Beteiligten darin einig, dass die wissenschaftliche Arbeit des Polizisten von "minderer Qualität" ist, offenbar geschrieben für die Raabs dieser Welt. Nicht von Plagiaten, aber von fiesen Kollaborationen ist da die Rede und geklagt wird, dass die Polizei Nordrhein-Westfalen als Dienstherr des Polizisten die Veröffentlichung der Arbeit nicht verhindert hat, "obwohl in ihr die polizeiliche Arbeit als nicht rechtsstaatskonform dargestellt wird". Dieser verklemmte Kommentar zur Freiheit der Forschung samt Appell an den Dienstherren ist beste Untertan-Manier. Dabei beschreibt Kwamo-Kamdem in minderer Qualität den Polizeialltag: Im Zweifelsfall wird auf Gewalt statt auf Dialog gesetzt. Kunden, die dieses Buch gelesen haben, suchen Bücher, die Fleischessen nicht verurteilen.

*** Eine Veröffentlichung zur Internetsucht hat in dieser Woche für Aufregung gesorgt. Wobei Internetsucht natürlich ein Wort minderer Qualität ist: Der "pathologische Internetgebrauch" (PDF-Datei) trifft die Sache schon viel besser. Wobei wie in allen patho-Logien die Frage nach dem gesunden Gegenteil wichtig ist. Denn die Antworten sind ohne zeitliche Einordnung ziemlich beliebig. Im Jahre 1998, als Internet-Flatrates noch die große Ausnahme waren, definierte Kimberly S. Young in ihrem Buch "Caught in the Net", dass bei vier Stunden Surfen im Internet die Grenze ist, wo eine Sucht diagnostiziert werden kann. Zur Diagnose der Sucht benutzte sie den Indikator, wie viele ftp-Befehle ihre kranken Klienten beherrschten. Die Radikalkur hin zur gesunden Internetnutzung begann mit dem Trainieren von Befehlen bye, exit, hangup, log off, logout, quit und ctrl-c. Heute terminiert der letzte Befehl keine Anwendung, sondern ist die Aufforderung zum Kaudern, einer sehr gutmütigen Haltung, die nichts, aber auch gar nichts mit dem Verlangen nach demeritorischen Gütern zu tun hat, um es wissenschaftlich zu sagen. Unsere Forums-Nutzer finden es zum Erdichten komisch.

*** Wir bleiben bei den guten Büchern und dem scheußlichen Internet: Heute vor 100 Jahren wurde Jack Finney geboren, ein produktiver Science Fiction-Autor. Im Jahre 1955 schrieb er ein Werk, das Facebook vorwegnahm. Damals wurde der Roman über die Body Snatcher, die Körperfresser als Anspielung auf die kommunistische Unterwanderung verstanden und der aus dem Buch resultierende Film am Schluss entsprechend zensiert, weil das hysterische Gestammel: "They're here already! You're next! You're next!" doch zu unamerikanisch, gewissermaßen pathologisch klang. Heute wissen wir die Symptome der kalten gefühllosen Menschen zu deuten, die nach dem Gefressenwerden nur fünf Jahre leben konnten: Sie sind auf Facebook und laichen in ihre Lifeline. Und noch die Untoten lachen kollernd.

Was wird.

"Deutschland ist so liberal, dass es von einer kinderlosen Ehefrau in zweiter Ehe, einem Rollstuhlfahrer, einem bekennenden Schwulen und einem vietnamesischen Bootsflüchtling regiert wird", heißt es in der tageszeitung in einer Lobeshymne zum 21. Tag der deutschen Einheit, der diesmal unter dem Motto "Freiheit, Einheit, Freude" begangen wird. Stolz stehen wir bei unserer Fahne, und wehe, wenn sie Luftlöcher hat oder als schlappe beschnittene Hissflagge aus diesem unserem Land einen Verkaufsstand für Eis und Getränke macht. Dazu wird bittschön, wie erwähnt, ein Deutschlandlied so laut gesungen, dass den vielen Lauschangreifern die Ohren schlackern. Dazu gibt es Ouzo im Werte von 211 Milliarden Euro und dann, wenn diese deutscheuropäische Rettungs-Seilbahn zusammengebrochen ist, wird getanzt.

Kaum sind die Feiern zum 100. Geburtstag bei IBM vorbei, da gibt es wieder Grund zum Feiern: Zum ersten Mal nach 1996 ist die Firma beim Börsenwert wieder an Microsoft vorbeigezogen. Man liegt zwar hinter Apple, aber das ist nicht weiter wichtig: Auf lange Sicht ist IBM weiter, da weder vom PC noch von einem Tablet oder gar einem Telefon abhängig. Feste Trottel gibt es ja genug in der Branche. Auch Apple wird noch seinen Nokia-Moment erleben, dessen Kehrseite sich in Rumänien zeigt, das gebochumt wird. Für alle genannten Firmen gilt: In Zukunft gewinnt, wer die besseren Schichtarbeiter hat. Weswegen diese kleine Wochenschau in der Nacht dann startet, wenn ein Buch zu schwer in der Hand, das Kindle unlesbar ist und der Wein die falsche Temperatur hat. (anw)