Was war. Was wird.
Reformstau? Ach, von wegen, hierzulande gibt es Reformen, an die wagte Hal Faber nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen zu denken. Die Exaltationen der Medien- und IT-Branche erscheinen dagegen geradezu erheiternd.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Muhahaha. Wenn die Kinder soweit sind, dass sie Micro$oft schreiben können und sich über $0ftw4r3p4t3nt3 aufregen, dann ist es an der Zeit, besorgte Eltern aufzuklären, was es mit l33t auf sich hat. Schließlich gebietet es die elterliche Pflicht, dort einzuschreiten, wo Kinder in illegale Aktivitäten verwickelt sind, etwa den h3153 l33tt1KKr lesen. Mit dem Verunglimpfen von Firmennamen fängt es immer an, dann folgt der Unglaube an geschichtlich verbürgte Wahrheiten. Das Ende ist die völlige Zerrüttung der Persönlichkeit, etwa der hemmungslose Genuss von Wein. How does it feel to be on your own? Like a Rolling Stone, drohte schon Bob Dylan.
*** Wenn ich SCO höre, greife ich frei nach Lenin zu Shakespeare. Diese Firma bekommt von IBM geliefert, was sie immer haben wollte, auch wenn es Komplikationen bereiten könnte. Mit SCOXE, dem Delisting von der Börse, zeichnet sich ein Ende dieser Firma ab. "And peace proclaims olives of endless age", dichtete His Willness, im letzten Aufzug, eh das nächste Drama startet. Mit der Saga um einen alten Herrscher, der womöglich bar jeder Erinnerung dahindämmert, während durchtriebene Engel die Schätze seines Herrscherhauses in einem Salzsee versenken, kündigt sich das nächste Stück an, ein Drama, wie es zuletzt das Gold am Grunde des Rheins herauf beschwor. Noch jeder Firewall konnte durchritten werden.
*** Andere Länder, andere Dramen. Nehmen wir nur das Land Bremen. Dort gibt es nicht nur die glücklich gealterten kritischen InformatikerInnen, sondern auch die Sache mit dem Glückspenis. Es ist eine Niederlage des Datenschutzes, wenn ein Gericht die Ermittlungen der Polizei explizit als Verletzung des Postgeheimnisses bezeichnet und verurteilt, die Ergebnisse aber dennoch weiter verwendet werden. Bemerkenswert auch, dass in Bremen nur Polizisten belangt werden, nicht die Mitarbeiter im Amtsgericht und der Gesundheitsbehörde, von denen die Mail mit dem Glückspenis stammte. Macht das Verhalten Schule, kann jeder Spam, der weitergeleitet wird, als Argument dafür dienen, eine ganze Festplatte zu durchsuchen. Deutschland, das Land der Dichter und Denunzianten.
*** Deutschland ist auch das Land der Macher, der Leute, die mit der Greencard die IT-Spezialisten aus Indien ins Land holen wollten oder die heftig um die Chinesen warben. Fast vergessen in den Turbulenzen um den selbstgefälligen Bundes-Joschka ist der Biometrie-Fan Otto Schily, der sich doch tapfer bemühte, die Schleuser zu bekämpfen. Wie schön ist es da, wenn Schily auf der CeBIT mit Zeig mir Dein Gesicht! eine Ausstellung eröffnet, die die Gemüter beruhigen soll. Selbst der Außenminister soll einwandfrei erkannt werden. Inmitten der deutschen Wahlkämpfer wird die Visa-Affäre noch weidlich ausgeschlachtet werden. Wer bemerkt da noch den Protest der Ukrainer, die Europa erleben wollen und unversehens ein einzig Land voll Krimineller geworden sind, die das Land der Dichter und Lenker bedrängen? So sind etwa die Inder mittlerweile auch für die CDU , die chinesische Touristen ob der exzellenten Wirtschaftsbeziehungen gut behandelt wissen möchte, hoffähig -- für dieselbe CDU, die in "Kinder statt Inder"-Zeiten etwa mit dem guten Umang Gupta dann doch nicht so recht etwas zu tun haben wollte. Die Ukrainer in männlicher Inkarnation aber erscheinen in der Debatte grundsätzlich als Mafiosi, in ihrer weiblichen Ausprägung dagegen als Zwangsprostitutierte. So wird aus einer Visa-Affäre, über die ein allzu arroganter Ex-Sponti zu stolpern droht, über alle Parteigrenzen hinweg die gesellschaftliche Verankerung eines offiziell und staatlich sanktionierten Rassismus. Wer mag da noch von einem Reformstau in Deutschland reden: Für die Nazis waren die Nürnberger Rassengesetze auch eine Reform.
*** Statt "Zeig mir Dein Gesicht!" ist die biometrische Variante Zeig mir deine Knochen! erwähnenswert, auch wenn sie sinnigerweise nur zur Altersbestimmung dient, ehe man Pornografie sehen darf. Unter diesem Aspekt wird der Aufwand von Ray Kurzweil verständlich, der angeblich täglich 250 Aufbaumittel schluckt, um das ewige Leben des Homo S@piens zu erreichen. Lebe lang genug, um immer zu leben, das ist natürlich eine fesche Antwort auf die Absicht, die soziale Absicherung zu privatisieren. Wer ewig lebt, dem ist alles Zinseszins.
*** Im Land der altersbedingten unbegrenzten Möglichkeiten, dort, wo jeder Hund seine 15 Minuten Ruhm hat, gibt es für Bill Gates neben Microsoft eigentlich nur noch Google. Dieses Google hat eine neue Toolbar eingeführt, die im Zusammenspiel mit den neuen Karten für interessante Ergebnisse sorgt. Nun will Google freilich nicht nur der Wikipedia unter die Arme greifen, sondern auch den Bibliotheken in die Regale. Doch was ist mit den deutschen, den französischen Büchern, wenn dieser Kulturimperialismus über uns kommt? Werden die Kiddies neben l33t7 nur noch lernen können, wie man Donald Duck gegen den Strich liest? Oder wird der französische Widerstand in einen europäischen münden? Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Aktion mit dem Besuch von US-Präsident Bush zusammenfällt.
*** Zu den Toten dieser Woche zählt der IBM-Ingenieur Samuel Alderson, der Vater aller Crash-Test-Dummies. Bei IBM versuchte der Kriegsheimkehrer, intelligente Prothesen zu entwickeln, die mit winzigen Motoren und Computern ausgestattet sein sollten. Mit seinen Cyborgs war Adelson seiner Zeit voraus, mit den Dummies für die Crashtests feierte erst bei den Flugzeugbauern, dann bei den Automobilkonstrukteuren einen späten Triumph.
*** Ohne jeden Triumph endete morgen vor 40 Jahren das Leben von Malcolm X. Heute würde er von denjenigen, für die in der Ukraine alles eine kriminelle Soße ist, schnell zu den muslimischen Hasspredigern gezählt werden. Doch seine späte Einsicht ist unverändert gültig: "Ich werde mich jedem anschließen, egal welche Hautfarbe Du hast, solange Du diese miserablen Lebensumstände, die auf dieser Welt existieren, verändern willst."
Was wird.
In der Woche forderten die Reporter ohne Grenzen im Vorfeld der Vorbereitungen zum zweiten Weltgipfel der Informationsgesellschaft die Informationsfreiheit im Internet. Nach einiger Diskussion enthielt die Erklärung auch diesen Passus: "Auch Internetautoren wie Weblogger und Verfasser persönlicher Seiten sollen den gleichen Schutz und die gleichen Rechte nach Artikel 19 genießen, wie professionelle Journalisten. Denn auch Internetautoren machen Gebrauch von dem Menschenrecht auf freie Information und freie Meinungsäußerung." Wenn man den Heise-Lesern eine Aversion gegen das Bloggen nachsagt -- was nicht stimmt -- so muss man die Zeichen der Zeit lesen. Derzeit wird das Bloggen als neueste Killeranwendung im Internet über den grünen Klee gelobt und mit Business-Modellen aller Art beworfen, wobei der Dummheit keine Grenzen gesetzt sind. Das Werbblog, das Blog zur Pflege des Firmen-Images, hat auf der großen Bühne der Einsamen keine Chance. Dennoch wird die Sau durchs Dorf getrieben, zum nächsten Mal auf der Burda-Konferenz zum Digital Lifestyle Day. Dort versammelt sich die internationale Blogosphere, um über Geschäftsmodelle zu tratschen, dort referieren die Jamba-Spezialisten über "Mozart, iPods and Ringtones". Das Motto der Konferenz ist auch nicht schlecht: "How to make consumers PAY for it". Hier treffen sich die Setter.
Einen zarten Gegensatz bildet die FOSDEM zum Ende der Woche. Eine spartanische kostenlose Konferenz, die gut organisert ist und Jahr für Jahr wächst, weil es Leute gibt, die sich für nicht essbare Gambas interessieren und bei Nautilus nicht nach Tintenfischrezepten suchen. Hier treffen sich die Trendsetter. (Hal Faber) / (jk)