4W

Was war. Was wird.

Wenn sich eine rechtsextreme Terrorzelle selbst richtet, ist das ein Fahndungserfolg? Auf der rechten Seite blinde Strafverfolgeraugen, das gab es hier ja noch nie, brummelt Hal Faber. Eine Hand wäscht, die andere popelt, nicht nur in diesem Fall.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 28 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein kaltes hyperboräisches Blau liegt über der norddeutschen Tiefebene. Es passt nicht nur im Roman von Tournier bestens zur "phorischen Sehnsucht" der Nazis, im Dienste einer höheren reinen Sache die Niederwärtigen auszuschließen. Auf einmal ist er da, der Terror von rechts. Nach den Toten in Norwegen, als der "Kämpfer" Anders Behring-Breivik sich als Fanal inszenierte, erklärte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, dass es in Deutschland keine Hinweise auf rechtsterroristische Gruppen gäbe, nur um im selben Atemzug auf die Gefährlichkeit des Internet hinzuweisen, in dem sich Behring-Breivik seine Ideen zusammengeklickt habe. Nach dem Selbstmord der Bankräuber von Eisenach ist dank einer tschechischen Pistole eine rechtsextreme Terrorzelle enttarnt worden, die eine entsetzliche Blutspur hinterließ. Fragen, warum die Verfassungsschützer mehrerer Bundesländer untätig waren, deuten auf ein Verfassungsschutzproblem hin. Verfassungsschutz, das ist die Organisation, die in verschiedenen Bundesländern erfolgreich verhinderte, dass die NPD verboten werden konnte, weil die Partei durch eigene Mitarbeiter gesteuert wurde. Dass überhaupt ein ernsthaftes Wahrnehmungsproblem besteht, zeigt nicht nur die verquere Debatte über die Bezeichnung "Dönermorde" für die Taten der Braunen Armee Fraktion. Die mutmaßlichen Täter haben sich selbst getötet, ein Wohnmobil abgefackelt und ein Wohnhaus gesprengt – und die Polizei redet von einem Fahndungserfolg.

*** "Ich habe mir keine großen Gedanken gemacht, welche Rechte ich verlieren werde, wenn ich die User Agreements mit meinem Computer akzeptiere", erzählt die isländische Parlamentarierin Birgitta Jonsdottir über ihre ersten Schritte mit Twitter. Bekanntlich hat sie alle Rechte verloren, weil der US-Justiz ein höher angesiedeltes Ermittlungsinteresse reicht, alle Bürgerrechte über den Haufen zu werfen. Inmitten der Debatte über Post-Privacy zeigt das Urteil gegen die Helfer von Wikileaks, dass das Internet doch ein rechtsfreier Raum ist, geschaffen von Juristen, die Bürgerrechte ignorieren, weil sie nicht unter B im Telefonverzeichnis stehen. Jonsdottir hat recht: Wer E-Mail nutzt, sich auf Twitter und Facebook herumtreibt, einen internationalen Konzern als Internet-Provider ausgesucht hat, vertraut internationalen Abkommen, die im Zweifelsfall den Strom nicht wert sind, der zur Darstellung der Rechte am eigenen digitalen Körper verbraucht wird, wenn sie auf dem Bildschirm angezeigt werden. Insofern hat Wikileaks wieder einmal eine Geschichte aufgedeckt, auch wenn dies ganz und gar nichts mit geheimen Dokumenten zu tun hat. Man kann es andersherum auch als große Ignoranz sehen, die mit dem Siegeszug der sozialen Netzwerke um sich gegriffen hat. Als Parlamentarierin weiß Birgitta Jonsdottir sicher, dass Island seine Pässe, Personalausweise und Führerscheine nicht selbst produziert, sondern dies von der Bundesdruckerei in Berlin besorgen lässt. Was ist, wenn eines Tages der besondere Datenstrom zu Ermittlungszwecken von einem Gericht einkassiert wird, das sich auf Ermittlungen beruft, die ein nicht weiter bekanntes Geheimgericht durchführt? Your wise men don't know how it feels to be thick as a brick.

*** Einstmals war Firma Utimaco ein eigenständiges deutsches Unternehmen, das seinem Star-Investor Thomas Middelhoff viel Freude bereitete, weil man sich an der Verschlüsselung der Regierungskommunikation Bonn-Berlin dumm und dämlich verdiente. Dann wurde Utimaco von der britischen Firma Sophos aufgekauft, obwohl das deutsche Innen- und das Verteidigungsministerium erhebliche Bedenken hatten, dass die Kontrolle über die Utimaco-Technologie von Deutschland nach Großbritannien abwanderte. Das für deutsche Geheimnisträger und Ermittler am Aachener Standort entwickelte "Lawful Interception Management System" und die zugehörige "Data Retention Suite" sollten auf keinen Fall mitwandern und besser abgespalten in einer eigenständigen deutschen Firma verbleiben. Der Vorschlag realisierte sich nicht. So können wir den schönen Fall unternehmerischer Schizophrenie bewundern, wie Sophos über den deutschen Staatstrojaner aufklärt, während Utimaco genau solch ein Produkt verkauft, an die italienische Firma Area, die wiederum Syrien belieferte. Eine Hand wäscht, die andere popelt. Und die Investoren freuen sich: "Die Bereiche Lawful Interception & Monitoring Solutions (LIMS) und Hardware Security Modules (HSM), die in der Utimaco-Gruppe weiterhin als Direktgeschäft durchgeführt werden, entwickelten sich gegenüber dem Vorjahresquartal positiv." Kleine Petition gefällig?

*** Ein Gespenst geht um in Deutschland und es ist nicht das Gespenst des Kommunismus. Gleich nach dem Staatstrojaner haben findige Kampagnen-Designer einen Schultrojaner ausgemacht, der seitdem ordentlich die Stimmung aufheizt. Dabei ist die noch nicht programmierte Software alles andere als ein Schnüffelprogramm. Es wird ordnungsgemäß von einem Administrator installiert, versteckt sich nicht hinter anderen Programmen, belauscht weder Tastatur noch Skype-Gespräche. Ein simples Kontrollprogramm der Schulbuchverlage, das vom eigentlichen Thema ablenkt. Freie Autoren wie ich kennen das Spielchen: Mit schöner Regelmäßigkeit trudeln Briefe von Schulbuchverlagen ein mit der Bitte, diesen oder jenen Artikel abdrucken zu dürfen. Komplettiert wird diese Bitte mit dem Hinweis auf das deutsche Urheberrecht, dass beim Abdruck in Schulbüchern nur sehr eingeschränkte Tantiemen zu zahlen sind. Auf den Hinweis folgt die nächste Bitte, doch im Interesse von Bildung und Kultur in diesem unseren Land auf den unwesentlichen Geldbetrag zu verzichten, den man da auszahlen müsste. So und nicht anders werden viele (nicht alle!) Texte zum Unterrichtsmaterial. Wer diesen Bettelmechanismus verstanden hat, wird sich eine ehrliche Antwort im Geiste einer Open-Source-Schullizenz wünschen, die es nicht gibt.

*** Die Antwort auf viele Fragen steht in einem Buch, das in dieser Woche in Indien und China die Auflagenhöhe von 1 Million sprengte. Die Rede ist von der Steve Jobs-Biographie, die man möglichst nur im Original lesen sollte: Die deutsche Übersetzung ist eine Missgeburt, die viel über das deutsche Verlagswesen aussagt. Wenn third party developer die "drei großen Entwicklungsunternehmen" sind, die für Apple Software schreiben im Tal, das lernte, wie man "Silikon" in Gold verwandelt, wünscht man sich, dass Siri die Übersetzung besorgte, jenes Programm, dem Jobs die Frage stellte: "Bist du ein Mann oder eine Frau?" Im vorletzten Kapitel der Biografie erfährt man, was Jobs an Pläne für die nächste Zukunft hatte, kurz bevor er starb: "Er wollte die Schulbuchverlage zerschlagen und die Rücken der armen Schüler schonen, die sich mit Rucksäcken abschleppen mussten, indem er elektronische Texte und Lernmaterialien für das iPad erstellte." Ja. All we are saying... - Steve Jobs betrachtete es wohl als einen der größten Erfolge seiner letzten Jahre, dass er die Musik der Beatles über iTunes anbieten konnte. Wirklich kongenial angeeignet hat sich zumindest die Musik von Lennon in letzter Zeit aber Bill Frisell.

Was wird.

Schul-Pads oder andere Geräte und digitale Lernmaterialien werden kommen und die Bücher ablösen, in denen lebendiges Wissen unschön auf toten Bäumen präsentiert wird. Was nötig ist, ist eine Neubestimmung der kulturellen Tradition. Mit der Berliner Veranstaltung Ins Netz gegangen arbeiten so unterschiedliche Fraktionen wie Wikimedia und Googles Co:llaboratory an einer derartigen Bestimmung. Mit dabei: die deutsche Kinemathek, die auch ein schönes weißes Buch veröffentlicht hat. Ein Aufsatz wie "Kriminelle Energie als konstitutives Element der Entstehung von Filmarchiven" gibt zu denken. Erinnert sei noch einmal an Steve Jobs, der auf sein komplettes Bootleg-Archiv von Bob Dylan sehr stolz war.

In diesseitigen Gefilden muss die Medica eingeordnet werden, die am Mittwoch startet und ganz im Zeichen des Übergangs von eHealth zu pHealth steht. Nachdem die "electronic health" mit e-Patientenakten, e-Rezepten und nicht zuletzt der elektronischen Gesundheitskarte nicht so zündend startete, ist personal health oder eben die personalisierte Medizin der Weisheit letzter Schluss. Vielfältige Sensoren, in Smartphones eingebaut, mitsamt den entsprechenden Apps sollen für die Patientencompliance sorgen. Noch der kleinste Ausschlag an Unvernunft, wenn etwa ein Diabetiker zum Schokoriegel greift oder wenn ein Redakteur die Muckibude meidet, wird dank der App persönlich bestraft. P steht übrigens auch für Panne mit Patientendaten. Wer glaubt, dass diese Panne ein krasser Einzelfall ist, gehört besonders getreten: Beim Thema Datenschutz in deutschen Krankenhäusern brechen selbst hartgesottene Mediziner in Tränen aus, während die Administratoren achselzuckend etwas von gewachsenen Zuständen murmeln. (jk)