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Was war. Was wird.

Es gibt allen Grund, Halbmast zu flaggen, trauert Hal Faber. Und das nicht wegen des Zustands dieser Welt oder weil in dieser Republik nicht nur WM-Party ist, sondern weil einer, der diese Welt und diese Republik erträglich machen half, nicht mehr ist.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Natürlich war Fußball. Und ein Titan im himmelblauen Teletubbie-Schlafanzugoberteil, dem ein kleines Gedicht zu Seite gestellt werden kann, ein Fluchreimchen für besondere Gelegenheiten, die noch kommen mögen.

Monolog des Torwarts, der einen Elfmeter passieren ließ

Ball, sei verflucht!
Verflucht sei, der dich schlug!
Verflucht das Weib,
das in dem Leib dich trug!
Verflucht der Mann,
der dich gezeugt!
Verflucht das Kind,
das dich gesäugt!
Verflucht der Greis,
der dich gebar!
Verflucht die Greisin,
die sich zwar
aus allem immer schön raushielt,
jedoch aus Gründen der Fairness
nicht unerwähnt bleiben soll –
Fluch jeder Pfeife,
die dir pfiff!
Fluch jeder Hand,
die nach dir griff!
Fluch dir und allen deinesgleichen!
Fluch – doch das sollte erstmal reichen.
Noch jemand ohne Flüche bitte?
Nein?
Dann gebe ich den Ball zur Mitte.
Obacht!

Hätte ich eine Deutschlandfahne, so würde sie heute auf Halbmast hängen. Ich aber habe keine Fahne und das einzige bisschen Schwarzrotgold klebt an meinem Laptop, ist aus Deutschband und überdeckt das nicht FIFA-WM-TM sponsorenkompatible Logo der Klappkiste. Ich könnte das Terminalfenster auf Halbschirm setzen oder schwarze Schrift auf schwarzem Grund mit Trauerrand einstellen. Und nein, das alles würde ich nicht wegen Bruno einrichten, der noch im Tod ein Problembär ist. Robert Gernhardt, der große Freund der ausgemergelten und verhunzten deutschen Sprache, ist tot. Das gelahrte Feuilleton hat diesen Lyriker gerne niederkartäscht, als Zweitwarenhändler und Freund billiger Witze. Doch für das geistige Deutschland, in dem man sich durchs Alphabet fickt, hat die "Wacht am Reim" nicht gedichtet. Die Neue Frankfurter Schule war Volkes Kunst und ziemlich uneitel obendrein.

Ich kenn fast keine Scham mehr.
Außer, natürlich, beim Schreiben.
Bevor ich den Leser mit mir konfrontier,
lass ich das Schreiben glatt bleiben.

Verglichen mit den ganz großen Dichtern war Robert Gernhardt vielleicht klein, verglichen mit einem Schwein auf einem Floß im Strom der Zeit ein Nichts im Sein, doch das hat seiner Reimeskunst im Wörtersee der Gemeinplätze nichts ausgemacht. Heute wird die ganz große, vom Nobelpreiskomitee zertifizierte Dichterin Wislawa Szymborska 83 Jahre alt, die bereits im Jahre 1962 die Inschrift auf ihrem Grabstein dichtete.

Hier ruht, altmodisch wie das Komma, eine
Verfasserin von ein paar Versen. Die Gebeine
genießen Frieden in den ewigen Gärten,
obwohl sie keiner Literatengruppe angehörten.
Drum schmückt nichts Beßres ihre Totenstätte
als dieser Reim, die Eule und die Klette.
Passant, hol den Computer aus dem Aktenfach
und denk über Szymborskas Los ein wenig nach.

*** Holen wir also den Computer aus seinem Fach, wenden uns der Chronistenpflicht der vorbeigehuschten Nachrichten zu und denken über das Los der Menschen nach. Manchmal helfen dabei harte, kalte Zahlen. Inmitten der allgemeinen Billanthropy (Economist), die Warren Buffett mit seiner Spende von 31 Milliarden Dollar über fünf Jahren in das humanitäre Paralleluniversum der Bill and Melinda Gates Foundation pumpt, entsteht ein Wohltätigkeitsverein, dessen Jahresetat doppelt so hoch ist wie jener der Weltgesundheitsorganisation. Ob es ausreicht, grausame Krankheiten wie Malaria vom Betriebssystem Mensch fernzuhalten und gar zu vernichten, wird sich zeigen. Der Kontrast zur Entscheidung von Larry Ellison, dem Gesundheitszentrum der Universität Harvard 115 Millionen Dollar vorzuenthalten, könnte kaum größer sein. Der Oracle-Chef ließ stattdessen in dieser Woche 5 Millionen Dollar in die Ellison Medical Foundation wandern. Immerhin ist Software wohltätiger als Politik, lernen wir aus den neuesten "Bekanntmachungen von Rechenschaftsberichten politischer Parteien". Dort führt Renate Künast mit 32.568,24 Euro die Rangliste der Wohltätigen an, gefolgt von Edmund Stoiber auf Platz 2 mit 15.056 Euro. So ist es ein großes Geben und Freuen, besonders bei der CSU, die von der bayerischen Metall- und Elektronikindustrie 370.000 Euro zur Verbesserung ihrer Hard- und Softwareausrüstung bekam. Wo doch der Kampf gegen die Linux-Desktops in Bayern so schwierig ist wie das Betäuben eines Bären.

*** Nie wieder Gammelfleisch! Am Donnerstag wurde das neue Verbraucherinformationsgesetz im Bundestag durchgewunken, das im "Anwendungsbereich des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzes" für Informationstransparenz sorgen soll. Doch was ist mit Gammel-Software? Haben wir keinen Anspruch darauf, zu erfahren, wie es um die Datensicherheit bestellt ist oder was mit den Kundendaten passiert? Noch nicht. Nur die gammeligen Handy-Verträge im geizgeilen Stil von Holland zahlt die Rechnung aufzunehmen, wie dies die FDP fordert, das kann doch nicht alles sein, was mündige Verbraucher wissen müssen.

*** Nie wieder alte Rechtschreibung! Im Rahmen einer "Technologie-Partnerschaft mit dem Duden-Verlag" stellt ausgerechnet der Axel-Springer-Verlag seine Rechtschreibung um, weil endlich die "Einbindung von Softwarewerkzeugen des Dudenverlages zur Rechtschreibprüfung in die IT-Systemlandschaft von Axel Springer" gelungen ist. Schließlich ist die neue Schreibung so kompliziert, dass es schon besonders kluger Computer bedarf, wenn die klugen Köpfe woanders sitzen. Etwa beim Bildblog beispielsweise, der mittlerweile von Habermas gelobt wird. Und wenn schon Rechtschreibung, so sollte die richtige Schreibung nicht unerwähnt bleiben. Neun Jahre stritten sich Palm und Xerox vor Gericht, ob die Kunstschrift Graffiti Xerox-Patente verletzt. Nun hat Palm in einem Vergleich 22,5 Millionen Dollar gezahlt und bekommt dafür etwas, für das der Duden keinen guten Ausdruck kennt, nämlich einen "seven-year patent non-aggression pact". So einen Nichtangriffspakt würde sich auch in unseren Foren fesch machen, die gerade den ersten 100.000er hatten. Eigentlich kann man nur von rund 99.400 Foren sprechen: So etwa 600 fielen Trollattacken und Platzhalterexperimenten zum Opfer.

Was wird.

Am 1. Juli vor 148 Jahren erschien die erste Abhandlung von Charles Darwin über den Ursprung der Arten nach einer Idee, die der Naturforscher schon 1837 hatte. 1858 musste Darwin sein Buch in aller Eile veröffentlichen, weil ein Konkurrent mit einem ähnlichen Buch herauskommen wollte. Es galt, die Arztkosten für die kranken Kinder zu bezahlen, die Scharlach, Typhus und Malaria hatten, all das, was die Gates Foundation heute bekämpft. Seit Darwin wissen wir, dass der Mensch ein mutierter, vorwärts stolpernder Affe ist und ziemlich einzigartig im Universum. Stolpern können heutzutage aber auch andere, und zudem gibt es möglicherweise intelligentes Leben da draußen, doch die NSA ist noch intelligenter und unterbindet den Kontakt. So effizient wie die NSA wünscht sich die amerikanische Regierung die Pressezensur, damit Geschichten wie die Abfrage von SWIFT-Überweisungen zum Zwecke der Terrorbekämpfung nicht an die Öffentlichkeit kommen. Doch die schlimmste Geschichte ist längst draußen, trägt den Namen Guantánamo und wurde jüngst damit bekannt, dass Selbstmörder einen barbarischen Akt asymmetrischer Kriegsführung verübten. Es ehrt Bill Gates, dass er als prominenter Kritiker des Irak-Kriegs auch das Lager verurteilt. Doch das in dieser Woche bekannt gewordene Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA, nach dem die Militärtribunale gegen terrorverdächtige Gefangene illegal sind, ist noch deutlicher.

Menschenkinder leiden,
Sie foltern einander, streiten,
Verhärten sich in harter Zeit.
Kein Schauspiel, Lied, Gedicht
Macht jemals ganz zunicht
Unrecht und Ungerechtigkeit.

Das Hämmern eingesperrter
Unschuldiger an Gitterstäbe.
Ein Hungerstreik-verwaister
Vater steht zwischen Gräbern.
Die Polizistenfau in Schwarz
Bricht nieder in ihrem Schmerz.

Die Geschichte sagt: Hoff nie
Diesseits des Grabs. Doch Mut:
Einmal im Leben kann sie,
Die lang ersehnte Flut
Der Gerechtigkeit, doch steigen,
Geschichte Hoffnung zeugen.

Klappen wir die Kiste zu: Hoffnung ist da, doch das Geschäft blüht bestens. Die Terrorindustrie floriert, wie es das Beispiel des obersten Managers für Cybersecurity zeigt, der seiner Universität die dicksten Aufträge zuschustert. Wie Sicherheitsforschung mit neuen Instituten fette Gelder locker machen kann, wird in der kommenden Woche in Karlsruhe bei der Sicherheitsforschungskonferenz verhandelt.

Vor 129 Jahren wurde übrigens Hermann Hesse geboren. Aber wen interessiert schon der Innerlichkeitsmystiker und Gottvater aller vor sich hinpubertierenden Jungesoteriker, wenn echte Männer um Trophäen kämpfen. (Hal Faber) / (jk)