Bill Gates läutet die Ära der "Live-Software" ein

Der Microsoft-Gründer, CEO Steve Ballmer und Finanzchef Chris Liddell schilderten auf einem Aktionärstreffen die Zukunft ihrer Firma. Diese geht einher mit einem Strategiewechsel, bei dem der Schwerpunkt vom Thema Sicherheit zu Web-Diensten wechselt.

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Wie sehr sich der Schwerpunkt in der Strategie im Hause Microsoft in den vergangenen Wochen verschoben hat, das wurde gestern beim jährlichen Shareholder-Meeting des Softwareriesen in Redmond deutlich. Das Stichwort "Sicherheit" taucht im Transkript des Treffens nur viermal auf, bevor Microsoft-CEO Steve Ballmer auf Nachfrage näher auf das Thema zu sprechen kam, auf Firmenakquisitionen der vergangenen zwölf Monate hinwies und den neuen Service Windows One Care ankündigte, der sich momentan in der Betaphase befindet.

Anders als in den vergangenen Jahren, nachdem Bill Gates Anfang 2002 einen Strategiewechsel verkündete und der Sicherheit Vorrang einräumte, konzentrierte sich der Microsoft-Gründer darauf, den anwesenden Anteilseignern ausgehend von einem Rückblick auf 30 Jahre Microsoft die Visionen vom "digital work style" und "digital lifestyle" zu erläutern. Dabei entließ Gates das Wort "Sicherheit" nur einmal seinem Mund, nämlich bei der Erwähnung neuer Funktionen wie dem Phishing-Schutz im kommenden Internet Explorer 7. Man muss dabei bedenken, dass Gates in den vergangenen knapp drei Jahren kaum eine Gelegenheit ausließ, um auf die unermüdlichen Anstrengungen seines Unternehmens hinzuweisen, die Sicherheit seiner Software zu verbessern, für die sogar eine Entwicklungspause eingelegt wurde.

Gates bestätigte indirekt den Inhalt der gestern in Medienberichten kolportierten internen E-Mail, indem er die neue, große Bedeutung von Online-Services hervorhob und sagte, er habe vergangene Woche mit Ray Ozzie über ihre Vision "Live Software" gesprochen. "Alle Produktgruppen sollen rund um diese Idee gruppiert werden. Sie nehmen reichhaltige Software und verbinden sie mit Diensten im Internet. Darin können wir führend werden", formulierte der Microsoft-Gründer und Chief Software Architect. Er sei zuversichtlich, dass die Ära der Live-Software demnächst beginne. Sie biete die Chance, Dinge besser als je zuvor zu erledigen.

Was sich die Aktionäre und alle anderen unter "Live-Software" vorzustellen haben, hat Microsoft Anfang dieses Monats mit der Vorstellung von "Windows Live" und "Office Live" deutlich gemacht. Beides Dienste, die in erster Linie Werbeplattformen darstellen, über die Anzeigenkunden beispielsweise über die MSN AdCenter aktiv werden können sollen, ohne dass Microsoft selbst dabei viel Hand anlegen müsste. Ballmer bestätigte in seinen Ausführungen, dass sein Unternehmen neue Software-Dienste betreibe und betreiben werde, von denen "viele auf Werbung und Abonnement-Modellen" basieren. Sie sollen sämtliche Produktlinien und Kundensegmente überspannen.

Über die Aussichten der neuen Strategie äußerte sich Ballmer rundweg positiv: "So wie wir den Desktop erobert haben, werden wir bei den Diensten im Web gewinnen." Es werde im Online-Werbemarkt nur wenige "Big Player" geben und er sei sicher, Microsoft werde einer von ihnen sein. Er bezeichnete die vergangene Woche vorgestellen Dienste in seiner überschwenglichen Art als "Software-Revolution". Aus der für den Nutzer unmerklichen Verquickung des Desktops mit dem Web ergebe sich ein neuer großer Umsatzstrom.

Auf die herkömmlichen Finanzquellen des Redmonder Software-Hauses war zuvor Finanzchef Liddell zu sprechen gekommen. Er schilderte, dass die Umsätze im Bereich Server and Tools um 16 Prozent angestiegen seien, der Xbox-Verkauf habe Rekordhöhen erreicht und die Zahl der Xbox-Live-Mitglieder habe sich verdoppelt. Hier nannte der CFO keine konkreten Zahlen. Die Aktionäre bekommen 44 Milliarden US-Dollar durch Dividenden und Aktienrückkäufe ausgezahlt. Für das laufende Geschäftsjahr, in dem Microsoft die neue Xbox und eventuell Windows Vista auf den Markt bringen wird, erwartet Liddell einen operativen Gewinn in Höhe von 18,8 Milliarden US-Dollar. Kosten für Einigungen in Rechtsstreit sind hier noch nicht enthalten.

Allerdings stellte Liddell auch die Risiken heraus, die den Umsatz des Softwarekonzerns schmälern könnten: Unwägbarkeiten beim Wachstum des weltweiten Absatzes von PCs und Servern, bei der Erneuerung von Softwarelizenzen, durch Wechselkursschwankungen, durch nicht-kommerzielle Software und durch Linux. Mit dem nun vollzogenen Strategiewechsel scheint es, als wolle Microsoft mit allen Mitteln versuchen, solchen Unwägbarkeiten mit einem weiteren, im Internet installierten Standbein ihre Schlagkraft zu nehmen. (anw)