Big Brother Awards 2012: Datenschutz zwischen Wolken und Wassern

In diesem Jahr geht der Negativpreis unter anderem an das Konzept der Cloud, zwei deutsche Innenminister, den Anbieter eines großen Rollenspiels und den Verantwortlichen hinter einem Schulwasserprojekt.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Die nicht begehrte Trophäe

(Bild: Thorsten Möller)

Bei der Verleihung der Big Brother Awards 2012 am Freitagabend in Bielefeld gab es sieben würdige Preisträger, sieben Tadel für weitere Datenschutzschlampereien sowie zwei lobende Erwähnungen. Im vergangenen Jahr erhielt die Modemarke Peuterey einen Preis in der Kategorie Technik, weil sie RFID-Chips in ihre Kleidungsstücke setzte. Es lohnt sich, die Begründung für diese technische Machtdemonstration zu lesen. 2012 wird ein ähnlicher Fall in der Kategorie Wirtschaft ausgezeichnet.

Der Preis geht an die Firma Brita, einem Hersteller von Wasserspendern für ihr Projekt Schoolwater. Mit einem an die Wasserleitung anzuschließenden Zapfsystem soll das Trinken von gesundem Wasser in Schulen gefördert werden. Die eingesetzten Wasserspender veredeln das Wasser und darum müssen die Schüler eine Flatrate von 2,50 Euro zahlen, die wie alle modernen Flatrates einen Haken hat. So heißt es in einer Beschreibung des Systems:

"Der Getränkebezug wird über einen im Boden der Trinkflasche eingesetzten RFID-Chip individualisiert und freigegeben. Die im Trinkwasserspender installierte Ausleseeinheit erkennt den Chip und autorisiert den Wasserbezug je nach Status. Es kann nur mit den zur Verfügung gestellten Trinkflaschen und dem darin enthaltenen Chip Wasser bezogen werden. Grundsätzlich kann jeder Teilnehmer so oft Wasser zapfen wie er möchte. Um eine Mehrfachnutzung zu unterbinden, wird ein Chip nach Wasserbezug für zehn Minuten gesperrt. In einer Online-Datenbank werden alle Teilnehmer erfasst und erhalten nach Zahlungseingang die persönlich zugeordnete Trinkflasche. Auf dem RFID-Chip wird der individuelle Zeitraum für den freien Wasserbezug gespeichert.

Aus dem Leitungswasser, das jeder Schüler aus dem Wasserhahn auf Flasche ziehen kann, ist der freie Wasserbezug geworden, der nur mit einer RFID-Flasche funktioniert, die 6 Euro kostet. Die steuerlich getragene Allmende der Trinkwasserversorgung in Deutschland wird kapitalisiert und das in einer Zeit, in der die Vereinten Nationen das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen haben. Was lernen die Kinder? Nichts, denn weder von Lehrern noch von Eltern kam Protest. Bedenken zu den Chips gebe es nicht, schreibt das Branchenblatt RFID im Blick.

Ähnlich unbedenklich wird "die Cloud" benutzt, zwar nicht zum Trinken, aber zum Abstellen von Dateien aller Art im Nirgendwo. Ohne dass ein einzelner Anbieter ausgezeichnet wird, erhält das Cloud Computing in der Kategorie "Kommunikation" den Big Brother Award 2012. Allein das Konzept des "irgendwo online speichern" in einem "Bits- und Bytes-Nebel" sei schon preiswürdig, meint die Jury unter Verweis auf Warnungen der europäischen Netzsicherheitsagentur Enisa.

Auch der für EDRI arbeitende Datenschützer Caspar Bowden wird mit seiner Warnung vor dem US-amerikanischen FISAA-Gesetz (Foreign Intelligence Surveillance Amendment Act Absatz 1881, PDF-Datei) von der Jury erwähnt: Sobald die Betreiberfirma der Cloud eine amerikanische ist, können US-Behörden Druck ausüben und die Herausgabe von Daten verlangen. Der Standort der Server spielt keine Rolle, das deutsche "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" erst recht nicht. Unter Berufung auf den Datenschützer Christopher Soghoian spricht die Jury von einem Privacy-Theater, das Cloud-Anbieter in ihren Nutzungsbedingungen veranstalten. Außerdem verweist sie auf das unrühmliche Beispiel des Cloud-Anbieters Dropbox, der einen Generalschlüssel für alle bei ihm gespeicherten Dateien besitzen soll und obendrein Speicherplatz sparen soll, indem durch Vergleich der Hashwerte von Nutzer-Dateien Dubletten gelöscht werden.

Zu den Eigenheiten des Big Brother Awards gehört es, dass in einigen Kategorie nicht jedes Jahr Preisträger gefunden werden. Nur die Kategorie "Behörden und Verwaltung" ist beständig vertreten, so auch 2012: Für die Dresdener Funkzellenabfrage erhält der sächsische Innenminister Markus Ulbig die Negativauszeichnung. Die fragwürdige Schnüffeltechnik, die auch schon den Bundestag beschäftigte, ist nicht auf Dresden beschränkt, doch setzte Innenminister Ulbig nach Ansicht der Jury neue Maßstäbe für den Datenwahnsinn in dieser Form einer "spontanen Vorratsdatenspeicherung" durch seinen Verweis auf Richter und Staatsanwälte, die ja die Funkzellenabfrage angeordnet hätten. Diese wiederum betonten, dass sie sich keine Kritik von Datenschützern gefallen lassen müssten. Preiswürdig sei auch, dass die Daten der Funkzellenabfrage bis heute nicht gelöscht worden sind, befand die Jury. Der Expertenstreit über die Maßnahme geht munter weiter.

Bundesinnenminister Friedrich bei der Eröffnung des Zentrums

(Bild: BMI/Schaaf)

Zur Tradition des Big Brother Awards gehört auch die Vergabe eines Preises an den diensthabenden Innenminister der Bundesrepublik. Nach Otto Schily 2001 (2005 noch einmal für sein "Lebenswerk") und Wolfgang Schäuble 2009 hätte eigentlich der bis März 2011 amtierende Innenminister Thomas de Maizière als Initiator des im April 2011 gestarteten Cyber-Abwehrzentrums den Preis verdient, doch nach einem Postenwechsel bekommt ihn Hans-Peter Friedrich, der das Abwehrzentrum offiziell eröffnete. Die Preisvergabe für diese Abwehrleistung sieht die Jury vor allem damit gerechtfertigt, dass das Bonner Zentrum ohne Legitimation durch den Bundestag errichtet wurde und in "Tateinheit" mit dem Abwehrzentrum Rechtsextremismus und der geplanten zentralen Verbunddatei Rechtsextremismus eine problematische Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten darstelle. Die Abwehr von Cyber-Angriffen dürfe verfassungs- und datenschutzrechtliche Machtbegrenzungen nicht aushebeln, heißt es in der Begründung.

Verwiesen wird auch auf die Anti-Terrordatei, für die die Innenministerkonferenz im Jahre 2006 mit einem "präventiven Big Brother Award" geehrt wurde. Verschärfend käme nach Ansicht der Jury hinzu, dass Innenminister Friedrich mit den beiden Projekten gegen den Rechtsextremismus suggeriere, dass die Aufklärung der rechtsterroristischen Mordserie der NSU an fehlenden staatlichen Befugnissen gescheitert sei. Gegen die Machtkonzentration demokratisch kaum kontrollierter Sicherheitsbehörden müsse ein Zeichen gesetzt werden, was die Jury mit dem Satz des norwegischen Ministerpräsidenten zu den Massakern in Oslo und Utøya unterstreicht: "Wir sind erschüttert von dem, was uns getroffen hat. Aber wir geben nie unsere Werte auf. Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Humanität."

Im Jahre 2009 wurde ein bemerkenswerter Kollektivpreis für all die Firmen verliehen, die Überwachungssoftware programmieren. Firmen wie Syborg, DigiTask, Utimaco und das Siemens-Spinoff Trovicor erhielten den Sammel-Award lange vor Beginn des "Arabischen Frühlings". In diesem Aufwachen der Demokratiebewegungen zeigte sich, wie in Ägypten, Libyen und Syrien Software zum Einsatz kommt, mit der die Bevölkerung ausspioniert wurde. 2009 wurde die Firma Gamma mit ihrer Software Finfisher nicht berücksichtigt, die in Ägypten sowie im Oman und Turkmenistan zum Einsatz kam. Dafür kann sich Gamma nun an einem eigenen Big Brother Award erfreuen, der in der Kategorie Technik verliehen wird. In ihrer Begründung erwähnt die Jury, dass die Struktur der Firma alles andere als durchsichtig sei und man hoffe, mit dem im Handelsregister ausgemachten Prokuristen den Richtigen zu treffen. Dass ein Produkt von Gamma als zeitlich befristete Lizenz vom Bundeskriminalamt "im Rahmen der üblichen Marktbe­obachtung im Bereich der Quellen-Telekommunikationsüberwachung" getestet wird, sei ein weiteres Stückchen in dem schwer durchschaubaren Puzzle.

Gemeinhin ist der Big Brother Award ein Preis, bei dem die Vorschläge von aufmerksamen Bürgern eingereicht werden. Dass eine Gewerkschaft sich an die Organisatoren in Bielefeld wenden, ist eher ungewöhnlich, doch im Fall des TK-Unternehmens Bofrost passiert. TK steht hier für Tiefkühlkost, doch auch in Sachen Telekommunikation zeigt sich das Unternehmen kenntnisreich, installierte man doch eine "Wartungssoftware", um gesetzeswidrig auf den Computer eines missliebigen Betriebsrates zugreifen zu können. Dafür erhält Bofrost den Big Brother Award in der Kategorie Arbeitswelt. Dass der Bofrost-Betriebsrat ein Gericht bemühen musste, damit die Firma "Fernbedienungssoftware" nicht wieder ohne Zustimmung des Betriebsrates installiert, verdeutlicht eine bemerkenswerte Unkenntnis des gesetzlichen Arbeitnehmerdatenschutzes. Nach Ansicht der Jury zeigt das Beispiel Bofrost, wie sich dieser Datenschutz zunehmend verflüchtigt. Besonders der Entwurf des Beschäftigtendatenschutzgesetzes, an dem sich die amtierende Regierungskoalition seit einiger Zeit abarbeitet, sei ein Schritt in die falsche Richtung. Er wird von der Jury als "Beschäftigtenausspionierungserlaubnisgesetz" charakterisiert und dürfte ein weitere Anwärter auf den nicht sonderlich begehrten Preis sein.

Bei World of Warcraft habe Blizzard alles für gläserne Kunden getan

(Bild: Blizzard)

In der Kategorie Verbraucherschutz darf sich der Spielehersteller Blizzard Entertainment, eine Tochter von Activision Blizzard, über einen Big Brother Award freuen. Mit ihrer Änderung der Nutzungsbedingungen, dem Scannen des lokalen Rechner-Arbeitsspeichers, der firmeneigenen Chataufzeichnung, den Real ID- Freundeslisten und der als "Erfolgsstatistik" getarnten Spielverlaufsaufzeichnung habe die Firma wirklich alles dafür getan, einen gläsernen Kunden zu bekommen. Bei ihrer Würdigung der als Online-Spiel getarnten Spyware von Blizzard verweist die Jury auf ein Patent eines Google-Mitarbeiters, das deutlich macht, wie das aufgezeichnete Spielverhalten für zielgenaue Werbung missbraucht werden kann.

Neben den Preisträgern können sich eine Reihe von Firmen und Behörden über einen ausgesprochenen Tadel der Juroren freuen, der deutlich machen soll, dass es in vielen Bereichen Verbesserungen in Sachen Datenschutz und Achtung der Privatsphäre geben kann. Erwähnt sei die nach Ansicht der Jury unnötige Videoüberwachung in Wohnanlagen, die präventive "Gefährderansprache" der Polizei oder das Kinder-Überwachungssystem Lok8u. Immerhin hat sich die Jury für zwei lobende Erwähnungen ausgesprochen. Sie gelten dem Hessischen Rundfunk, wo sich Geschäftsleitung und Betriebsrat gemeinsam frühzeitig gegen das mittlerweile eingestellte ELENA-Verfahren aussprachen (PDF-Datei) und dem schleswig-holsteinischen Datenschützer Thilo Weichert. Seiner unermüdlichen Arbeit sei es zu verdanken, dass Datenschutz nicht in Vergessenheit geraten ist.

Die Jury, gestellt von Vertretern des Chaos Computer Clubs, der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, des FoeBuD, des FItuG, des FIfF, der Humanistischen Union und der Internationalen Liga für Menschenrechte hat gute Arbeit geleistet und überzeugende Preise vergeben. Mit Spannung wird erwartet, welcher Preisträger den Weg in die Hechelei nach Bielefeld schafft, um seine Auszeichnung im Rahmen der beliebten Gala abzuholen und dabei seine Arbeit zu verteidigen. (mho)