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Was war. Was wird.

Das Bürgertum hat nichts mehr zu sagen. Das mag eine alte Erkenntnis sein, aber all dieses Web-2.0- und New-Economy-3.0-Gedöns bestätigt nur, was französische Philosophen schon lange wussten, freut sich Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn im unermüdlichen Newsticker aus der norddeutschen Tiefebene die täglichen Nachrichten – nicht die Forumskommentare – mit einem roten Anfang gekennzeichnet werden, so kann das zweierlei bedeuten. Entweder erscheint das WWWW täglich oder womöglich gar stündlich und ich werde ein schwerreicher Mensch werden. Oder aber die CeBIT beginnt und überschwemmt den Ticker mit CeBIT-Nachrichten. Willkommen in Hannover, der Hauptstadt der Einsen und Nullen, des Leibnizkekses mit 52 Zacken und des Heise-Verlages. Südlich der Eilenriede die prickelnde Atmosphäre in den Messehallen genießen, die von ihrem hochrangigen IT-Gipfel winkende Bundeskanzlerin ganz ohne Podcast erleben zu können, das ist doch das pure digitale Leben. Noch. Sollten die Ideen der Zukunfts-CeBIT verwirklicht werden, wird die Messe virtuell. Und nicht nur die CeBIT, sondern auch das Arbeitslosenproblem. Wie der seerosige Eintrag über die "Second Life-Statisten" beweist, ist es doch eine tolle Idee, die mickrigen Beträge für die Hartz-IV-Empfänger in Linden-Dollar auszuzahlen. Wie heißt es noch so schön: Fordern und Fördern! In jedem von uns steckt eine "hessische Lehrerin" wie Anshe Chung. Im Second Life die kargen Bezüge ordentlich aufbessern und dann im First Life ausgeben, das ist doch eine echte CeBIT-Idee: Wer erfolgreich ist, der wird glatt gesamwert.

*** Ach, wie gerne würde ich jetzt alle wichtigen CeBIT-News bringen, alle Trends, alle Gadgets, alle Alles, damit die CeBIT wieder zurück zu ihren Wurzeln kann und unbestechliche Heise-Redakteure wieder Hänge-Registraturen und Bleistiftanspitzer im Dauertest bewerten können. Aber diese kleine Wochenschau soll sich den Details widmen, den Neben-Sächlichkeiten und den Unter-Persönlichkeiten, die diese IT-Branche manchmal manchem so rästelhaft erscheinen lassen. Ja, diese Wochenschau ist ein niemals endgültig konfigurierter Parameter.

*** Nehmen wir nur den scheißenden Hund, der bei dem ins Internet Wirres schreibenden Menschen verschwunden ist. Dieser Hund war eine Hommage an Die elektronische Revolution von William Burroughs, dem Sohn einer Familie, die mit Computern schwerreich geworden ist. Auf Burroughs antwortete damals einer mit einem Requiem für die Medien und der ist diese Woche in diesem Spiel namens "First Life" gestorben. Früh hat sich Jean Baudrillard mit der "kybernetischen Illusion" auseinandergesetzt und über alle Theoretiker des Feed-Back gespöttelt, die meinten, dass Leserzuschriften, telefonisches Eingreifen oder eben auch Bloggen die Rolle der Medien verändern könnten. "'The Medium is the Message' ist eine bürgerliche Behauptung. Sie bedeutet, dass die Bourgeoisie nichts mehr zu sagen hat."

*** Gestorben ist auch Richard Joseph. Als Nichtspieler muss ich gestehen, dass ich die "Videospiellegende" bis vorgestern nicht kannte und von den Einsendungen der Heise-Leser überrascht wurde. Anscheinend ist ein großer Komponist in der Kategorie Ennio Morricones von uns gegangen, den niemand richtig würdigen konnte. Aber muss man alles kennen? Ich antworte mit Baudrillard: "Multifunktionalität ist ein schicker Ausdruck, der gar nichts ändert. Wer behauptet, multifunktional zu sein, appelliert an das System, in dem er ein Rädchen sein will." Und bei aller Jazzbegeisterung bleibt die Verbeugung vor Kris Kristofferson übrig, natürlich für die Nicht-Musik in dem Film über Billy the Kid, mit einem Link der zeigt, was eine Wikipedia leisten kann.

*** Wie gut, dass es heute wichtige Jubiläen zu feiern gibt. Damit meine ich nicht den Start des Neuen Marktes, dem Tummelplatz der Bobos oder das Ende des Reinheitsgebotes, das irgendwie passend zum Börsenschwindel vor 10 Jahren gekippt wurde. Ein richtigen Grund zum Feiern hat Tuxmobil, das vor 10 Jahren als MobiliX begann, bevor das Oberlandesgericht München eine hochgradige Ähnlichkeit erkannte und ein hochgradig lächerliches Urteil fällte, wie sich später in einem ähnlich gelagerten Fall herauskristallisierte.

*** Wenn die Berichte stimmen, dann ist die Terroristenjagd vor allem karrierefördend. In Großbritannien ist der oberste Terrorbekämpfer Jonathan Evens zum Chef des britischen Geheimdienstes MI5 ernannt worden. Etwas früher wurde Cressida Dick, verantwortlich für die Erschießung eines Unbeteiligten, zur führenden Verantwortlichen für die Sicherheit der königlichen Familie befördert.

*** Eine augenfällig ähnliche Situation präsentiert unsere deutsche bündische Republik. Da schimpft ein inzwischen zum Staatssekretär aufgestiegener BND-Mann seine eigenen Leute als blöde Agenten und beruft sich auf Gutachten des Bremer Verfassungsschutzes, die nach Aussagen der Verfassungsschützer als schriftstellerische Fehlleistung bewertet wurden. Währenddessen müssen die drittobersten Geheimnisträger vom Parlament 3000 Seiten in zwei Tagen lesen, wie das neue, schick aussehende Portal Focus Online berichtet. 3000 Seiten über einen "Mitläufer"? Von der Stasi lernen heißt schreiben lernen? Ebenso kauzig kommt die Nachricht einher, dass im Fall der "Kofferbombenattentäter" eine gelöschte Festplatte einfach nur gespiegelt werden musste, auf dass die gelöschten Daten rekonstruiert werden konnten. Sollte das stimmen, sind Terroristen EDV-Einsteiger, die tatsächlich jeden Link in einer Mail anklicken, die Jungfrauen im Paradies als Preview.exe ankündigt. Gegen Steely Dan, den Bundestrojaner, der unsere Festplatten penetriert, haben sich übrigens die Datenschutzbeauftragten von Bund und Bundesländern ausgesprochen. Amüsant dabei die folgende Passage: "Die Konferenz befürchtet massive Sicherheitseinbußen, weil zu erwarten ist, dass sich Computernutzer vor staatlicher Ausforschung zu schützen versuchen, indem sie etwa Softwaredownloads unterlassen." Nie wieder Patches! Tod aller Downloads! Das Internet steht still! Und wieder einmal hat Amerika eine Alternative zu bieten. Dort verklagt ein Gefangener die Firma Microsoft, weil ihre Software unzureichend vor einer Durchuchung durch das FBI schützte.

*** Ja, so geht das. Erneut sehne ich mich nach Waldi Hartmann, wenn ich mir einen Boxkampf auf RTL anschaue. Wie jetzt, hab ich das eben wirklich geschrieben? Nach Waldi Hartmann sehnen? Ach, während Wladimir sich ein kleines bisschen mit Ray kloppte und Kai den Ringreporter gab, verneigte ich mich kurz gen GEZ und freute mich auf die nächste Boxnacht in ARD oder ZDF. Ja, es ist offensichtlich Zeit, zum Schluss zu kommen, die Verwirrung nimmt überhand, wenn öffentlich-rechtliche Sportreporter das kleinere Übel sind. Das Wetter. Äh. Was wird?

Was wird.

Wer der Eröffnung der CeBIT entgegen fiebert, damit endlich der geile neue Begleiter auftragsgemäß besabbert werden kann, der möge weiter fiebern. Natürlich gibt es auch ein Antidot gegen diese bloggende Form der Beuteltiere, bei den Kollegen von der Computerwoche unter dem treffenden Namen Messe: schnell weg.

Von hier aus nur alle guten Genesungswünsche und meine sprichwörtliche Sympathien mit all den Menschen, die auf dem Messegelände Standdienst haben, ob am Stand des kleinen Verlages aus der norddeutschen Tiefebene oder anderswo. Diesmal sind meine Sympathien übrigens geteilt: Ein Teil geht nach Übersee und gilt den Microsoft-Mitarbeitern, die auf der fast zeitgleich stattfindenden Brainshare von Novell Standdienst haben. Das sich im innersten Heiligtum der "Roten" einmal Microsoft als Platinum Sponsor tummeln würde – wer hätte das gedacht? Eigentlich fehlt nur noch SCO als Gold Sponsor, doch tendiert diese Firma gerade zum Pennystock. Das alles geschieht, während der beliebte SCO-Vortragsredner und Star-Analyst Rob Enderle die Wahrheit über Linux erzählt. Die nackte Wahrheit, vom meistzitierten amerikanischen Analysten direkt in sein Vroom-Vroom-Ferrari-Notebook gehämmert. Schockierend. Da freue ich mich doch, dass es wieder einige Ataris gibt. (Hal Faber) / (jk)