Gutachten: Staat muss für Telekommunikationsüberwachung zahlen

Der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten fordert auf Basis einer Studie des Max-Planck-Instituts den Erlass einer Verordnung zur Entschädigung von Telcos und Providern für ihre Hilfe beim Beschnüffeln ihrer Kunden.

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Der VATM (Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten) fordert auf Basis einer wissenschaftlichen Studie (PDF-Datei) den Erlass einer Verordnung zur Entschädigung der Telcos und Provider für ihre Tätigkeiten als Hilfssheriffs. Laut dem 61 Seiten starken Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg erscheint eine mögliche Regelung der Kostenerstattung für das Beschnüffeln der Kunden im Rahmen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) "nicht sachgerecht". Die Telekommunikationsüberwachung sei nicht mit der Entschädigung für einzelfallbezogene Belastungen bei Zeugenaussagen während der Ausübung normaler staatsbürgerlicher Pflichten vergleichbar.

Die Gutachter empfehlen daher eine Entschädigungsregelung, die entweder direkt ins Telekommunikationsgesetz (TKG) eingebaut werden oder in eine eigene Verordnung fließen sollte, wie zum Beispiel in Österreich. Die österreichische Überwachungskostenverordnung vom August 2004 sieht nach unterschiedlichen Überwachungsmaßnahmen gestaffelte pauschalierte Sätze für Personal- und Sachaufwendungen vor. Auch die deutsche Bundesregierung hat vor zwei Jahren eine prinzipielle Entschädigungsklausel ins TKG aufgenommen. Eine von der damaligen rot-grünen Bundesregierung 2005 vorbereitete Verordnung fiel nach der vorgezogenen Bundestagswahl unter den Tisch, ein neuer Entwurf ist nicht in Aussicht. Vielmehr setzt sich der Bundesrat inzwischen in einer Kehrtwende seiner bisherigen Forderungen dafür ein, die Entschädigungsgrundlage wieder komplett zu streichen.

Die Max-Planck-Forscher raten dem VATM dazu, notfalls eine Klage zweier Mitgliederunternehmen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen neue Spitzelauflagen im Umfeld der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) zu unterstützen. Konkret beziehen sie sich dabei auf die Ausdehnung der "Auslandskopf-Überwachung" auf alle Betreiber mit internationalen Netzknotenpunkten nach der jüngsten Novelle der TKÜV im Herbst 2005. An diesen Vermittlungsstellen muss seitdem die Kommunikation von Nutzern überwacht werden, von denen lediglich ein bestimmter ausländischer Anschluss bekannt ist.

Das jetzt veröffentlichte Gutachten sieht in der Verpflichtung der TK-Unternehmen zur Auslandskopfüberwachung als unverhältnismäßigen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit der TK-Unternehmen. Eine Verfassungsbeschwerde halten die Autoren der Studie daher für besonders aussichtsreich. Dabei sollten die Kläger auch darauf hinweisen, dass das erforderliche Notifizierungsverfahren der Bundesregierung für die TKÜV-Änderung bei der EU-Kommission fehlerhaft verlaufen sei, meinen die Gutachter. Auf diese Tatsache allein könne eine Verfassungsbeschwerde aber kaum erfolgreich gestützt werden.

"Ohne eine angemessene Entschädigung der TK-Unternehmen befürchten wir eine weitere erhebliche Zunahme der Überwachungsmaßnahmen", plädiert VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner nun für den baldigen Erlass einer entsprechenden Regelung. Er verweist darauf, dass sich nach den Statistiken der Bundesnetzagentur die Zahl strafprozessualer Überwachungsmaßnahmen im Zeitraum 2000 bis 2005 auf inzwischen rund 40.000 pro Jahr mehr als verdoppelt hat. Der VATM hofft, dass in der noch ausstehenden Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zur laufenden TKG-Novelle endlich Klarheit geschaffen wird und die Bundesregierung einer "verfassungswidrigen einseitigen Belastung der Wirtschaft eine deutliche Absage erteilt". Für eine zügige Lösung der Frage hat sich jüngst auch der IT-Branchenverband Bitkom eingesetzt und sogar bereits konkrete Entschädigungssummen vorgeschlagen. (Stefan Krempl) / (anw)