Druck auf Qualcomm steigt

Nach dem Importverbot für Handys mit Qualcomm-Chipsätzen hat ein US-Bezirksgericht dem Chiphersteller einen weiteren Rückschlag beschert. Der Richter attestierte Qualcomm schweres Fehlverhalten und "Foulspiel".

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Nachdem die US-Regierung auf ein Veto gegen das von der Handelsaufsicht verhängte Importverbot für Handys mit bestimmten Qualcomm-Chips verzichtet hatte, steigt der Druck auf den streitlustigen Chiphersteller. In einem Verfahren um zwei Patente für Video-Codecs hat ein Richter des Bezirksgerichts San Diego (US-Bundesstaat Kalifornien) Qualcomm nun eine empfindliche Niederlage beigebracht, die für Qualcomm und seine Anwälte noch weit reichende Konsequenzen haben könnte.

In dem Verfahren hatten die Geschworenen Qualcomms Vorwürfe der Patentverletzung gegen Broadcom bereits im Januar einstimmig abgewiesen. Qualcomm hatte Broadcom vorgeworfen, die US-Patente 5,452,104 und 5,576,767 für Videokompressionsverfahren zu verletzen. Das Gericht hatte die Klage abgewiesen, weil Qualcomm die durch den Standard H.264 verletzten Patente während des Standardisierungsverfahrens bewusst zurückgehalten habe, um sich einen Vorteil zu verschaffen und Broadcom dann aus heiterem Himmel zu verklagen.

Richter Rudi Brewster hat das in einer am Montag veröffentlichten Folgeentscheidung aufgegriffen, in der er Qualcomm das Recht abspricht, die fraglichen Patente künftig gerichtlich durchzusetzen. Der Richter attestiert Qualcomm und seinen Anwälten schweres Fehlverhalten in dem Verfahren und wirft dem Unternehmen ein "ausgeklügeltes Foulspiel" vor. Der Chiphersteller habe dem Gericht wesentliche Beweise vorenthalten und Mitarbeiter, sowie Zeugen hätten Falschaussagen getroffen.

Erst am letzten Tag der Beweisaufnahme habe ein Zeuge die Existenz von Dokumenten belegt, die Qualcomm schon viel früher an den Prozessgegner habe übergeben müssen. Der schlussendliche Zusammenbruch der Vertuschungsbemühungen Qualcomms, schreibt der Richter, enthülle "den sorgfältig orchestrierten Plan und die tödliche Entschlossenheit Qualcomms, sein Ziel zu erreichen, die gesamte Branche in Geiselhaft zu nehmen". In einer zweiten Entscheidung verpflichtet der Richter Qualcomm zur Übernahme der Prozesskosten. Ein Antrag Broadcoms auf weitere Konsequenzen steht noch zur Verhandlung aus.

Qualcomm erkennt die Schwere der Anschuldigungen an und entschuldigt sich in einer kurzen Stellungnahme etwas kleinlaut – wie schon zuvor vor Gericht – erneut für "Fehler in der Beweisaufnahme" und "ungenaue Aussagen bestimmter Zeugen". Dennoch widerspricht das Unternehmen der Annahme des Gerichts, es habe eine Verpflichtung zur Offenlegung der Patente gegenüber des Standardisierungskomitees gegeben. Darüber hinaus habe Qualcomm nicht die Absicht gehabt, das Gericht oder das H.264-Komitee zu täuschen. Der Chiphersteller kündigte Berufung an.

Prozessgegner Broadcom freut sich unterdessen, dass es nun erstmals gelungen sei, Qualcomms systematische Vorgehensweise in Patentverfahren ans Tageslicht zu bringen. "Die Feststellung des Gerichts deutet darauf hin, dass dies einer der schwerwiegendsten und ungeheuerlichsten Fälle von Standardmissbrauch und Fehlverhalten in einem Prozess ist, die unsere Branche jemals gesehen hat", erklärte David J. Rosmann, Broadcoms Vizepräsident für Patentrechtsfragen. Broadcom will nun mit weiteren Anträgen richterliche Anordnungen erwirken, die Qualcomm auch in anderen Verfahren zur Offenlegung zwingen sollen.

Für Qualcomm ist die Richterschelte ein weiterer Rückschlag, nachdem zuletzt die US-Regierung auf ein Veto gegen das von der Handelsbehörde ITC verhängte Importverbot verzichtet hatte. In einem weiteren Rechtsstreit mit Broadcom war Qualcomm zuvor schuldig gesprochen worden, Patente des Konkurrenten verletzt zu haben. Die Handelsbehörde verhängte daraufhin einen Importstopp für Mobiltelefone, die mit den betroffenen 3G-Chipsätzen ausgerüstet sind. Qualcomm will weiter gegen das Verdikt vorgehen und arbeitet parallel mit den Herstellern an einer technischen Alternative. Zugleich haben sich zwei große US-Carrier, Verizon und mutmaßlich auch AT&T, mit Broadcom auf separate Lizenzabkommen für die strittige Technik geeinigt, um das Importverbot zu umgehen.

In diesem Zusammenhang muss auch der heute von Nokia erklärte Strategiewechsel bei der Chipentwicklung für Mobiltelefone als Rückschlag für Qualcomm gesehen werden. Die Finnen, selbst in zahlreiche Gerichtsverfahren mit Qualcomm involviert, haben im Rahmen ihrer strategischen Neuausrichtung einen Auftrag für EDGE-Chipsätze an Broadcom vergeben.

Die Entscheidung des Richters in San Diego könne noch weit reichende Folgen haben, vermuten Experten. "Das verheißt nichts Gutes für Qualcomm", kommentiert Patentanwalt Vander Schaaf in der Los Angeles Times. Der Rechtsethiker Monroe Freedman rechnet in dieser "sehr ernsten Angelegenheit" mit disziplinarischen Konsequenzen für Qualcomms Anwälte. Auch die Wall Street setzt mit Kursverlusten für beide Kontrahenten ein eindeutiges Zeichen. Qualcomm, Broadcom und die anderen Beteiligten sollten besser beginnen, ihre Streitigkeiten beizulegen, meint ein Analyst – "genug ist genug". (vbr)