SPD auf der Suche nach der "guten Netzpolitik"

Auf einer Konferenz der Sozialdemokraten debattierten Experten und Vertreter der Parteispitze über Erwartungen der Netzbürger an Teilhabe und Transparenz und sich daraus ergebende Gefahren für die repräsentative Demokratie.

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Auf einer Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion zu "Leben und Arbeiten in der digitalen Gesellschaft" debattierten Experten und Vertreter der Parteispitze über Erwartungen der Netzbürger an Teilhabe und Transparenz und sich daraus ergebende Gefahren für die repräsentative Demokratie. Das Internet habe zu einem ungeheuren Druck zur durchsichtigen Gestaltung politischer Prozesse beigetragen, erklärte Urs Gasser, Direktor des Berkman Center for Internet & Society der Harvard University, in seinem Eröffnungsvortrag am Freitag in Berlin. "Wir müssen uns auf voll-transparente Verhandlungen einstellen", betonte der Schweizer. Geheimabsprachen wie im Fall ACTA würden von der Internet-Community nicht mehr akzeptiert.

Wichtig sei es in dieser Situation, neue Regeln der Mitsprache der vernetzten Öffentlichkeit zu schaffen und die "normativen Grenzen von Transparenz auszuloten", erläuterte Gasser. Trotz der gewandelten Bedingungen brauche Politik bei aller Informationsfreiheit auch geschützte Räume. Andererseits seien für Bereiche, in denen der Staat Informationen etwa im Einklang mit den "Open Data"-Prinzip freigebe, Vorgaben und Infrastrukturen zur Erschließung der Daten zu schaffen. Nutznießer dürften nicht allein große Internetkonzerne sein, die schon jetzt ungeheure, nur schwer ins öffentliche Wissen einzubindende Informationsmengen sammelten.

Der Rechtswissenschaftler sprach sich für durchlässigere Schnittstellen und einen stärkeren Austausch zwischen Forschung und Politik aus. Beide Seiten teilten das Schicksal, hinter den Nutzungsgewohnheiten hinterherzuhinken und daher Praktiken der Entschleunigung für ihre Arbeitsprozesse finden zu müssen. Eine gute und nachhaltige Netzpolitik stünde in scharfer Konkurrenz zu "Headline"-getriebenen Reaktionen. Nötig sei es dafür vielmehr, an der Erzeugung von Wissen teilzuhaben und dieses auszutauschen. Zu vermeiden sei zudem die Gefahr, das offene Prinzip des Internets nachhaltig zu verletzen, um dessen Innovationskraft zu bewahren. In Phasen der Unsicherheit über den eigenen Wissensstand sollten schlecht korrigierbare Entscheidungen vermieden werden. Verbote von Killerspielen oder der Facebook-Nutzung an Schulen könnten in diesem Sinne "höchstens im Sinne der symbolischen Gesetzgebung einen Wert haben".

"Verwaltung von Herrschaftswissen kein Zukunftskonzept": Frank-Walter Steinmeier

(Bild: Stefan Krempl)

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier stimmte Gasser insofern zu, dass "die Verwaltung von Herrschaftswissen kein Zukunftskonzept" sei. Andererseits wertete er Transparenz auch als Kennzeichen einer Misstrauensgesellschaft. Es löse nicht Vertrauen, sondern die Einforderung weiterer Einblicke aus. Steinmeier, der nach eigenem Bekunden "kein Internet-Junkie" ist, bekundete ferner, dass der Alleinvertretungsanspruch von Politikern, Parlamenten und klassischen Medien im Internetzeitalter verloren gehe. Dies führe teils zu einer "Ansammlung von Wutbürgern", sodass große Infrastrukturvorhaben kaum noch durchsetzbar seien.

Steinmeier plädierte dafür, die "fließende Einflussnahme der Netzbürger" über Plattformen wie Liquid Democracy kritisch daraufhin abzutasten, ob sie wirklich "ein Mehr an Demokratie" mit sich brächten. Er warf die Frage auf, ob etwa die Twitterei die Erwartung des Publikums an die Einfachheit politischer Vorschläge noch weiter steigere. Es sei zu bedenken, dass 90 Prozent der Internetmeinungsäußerungen von einem Prozent der Nutzer stammten.

Der Düsseldorfer Kommunikationswissenschaftler Gerhard Vowe gab Steinmeier Recht, dass die Hälfte der Bevölkerung um jede politische Kommunikation einen weiten Bogen mache und für sie die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen durch das Netz keine Bedeutung habe. 16 Prozent der Bevölkerung gehörten aber zu den "Digital Citizens", die er auch als "Bequeme Moderne" charakterisierte. Dieses neue, junge, gut ausgebildete und auf die Freiheitsrechte Wert legende Elitensegment fordere unter "starker medialer Ausleuchtung" mehr Beteiligung ein ­ "und zwar subito". Aufgabe der Politik sei es, trotz dieser verzerrten Wahrnehmung aus der veränderten Gemengelage weiter ein Gemeinwesen zu formen.

Generell wollten die Sozialdemokraten mehr Elemente direkter Demokratie etwa auch in Form von Volksentscheiden einführen, damit die Bürger punktuell politische Entscheidungen korrigieren oder ergänzen könnten, so der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Die SPD-Abgeordnete Christine Lambrecht unterstrich, dass "Netzpolitik endlich auch als Gesellschaftspolitik verstanden werden muss". Sie grenzte so die Haltung der Fraktion vom Ansinnen der FDP ab, bei der politischen Rahmung des Internets stärker die Wirtschaftspolitik in den Vordergrund zu stellen. "Wir müssen das Bildungssystem fit machen, damit die digitalen Medien für die ganze Gesellschaft selbstverständlich werden", setzte Lambrecht einen Schwerpunkt. Wichtig sei es auch, Bedingungen für "gute digitale Arbeit zu setzen". Dazu könne etwa ein "Recht auf Nicht-Erreichbarkeit" gehören. (js)