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Was war. Was wird.

Der Papst ist gekommen und auch schon wieder weg, doch nicht ohne uns noch etwas zu hinterlassen. In Berlin gibt es derweil Ermutigung von einem anderen Vater und Hal Faber trinkt Freibier aus praktischen Halblitereimern.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Er war da. Der deutsche Papst besuchte das deutsche Bayern und die Welt staunte über Bayern, das nicht ganz Deutschland ist und seinen Papst, der nicht der Papa aller Deutschen ist. In der norddeutschen Tiefebene, wo einstmals der Stamm der Sachsen lebte, ist die entschlackte Variante der päpstlichen Religion zu Hause. Ganz zu schweigen von Berlin, wo der Papst Partymeister Wowi im Wahlkampf unterstützt hätte, wäre er denn in der Gegenwart angekommen. Doch in Bayern bringt die mit Fußballmannschaften konkurrierende Sekte genügend Anhänger zusammen, um den Papsteinsatz zum Spektakel werden zu lassen. Da brauchte es nur noch eine bewegende Rede des Oberhirten einer Religion, die seit den Kreuzzügen ihren Glauben mit dem Schwert verbreitet hat, um richtig Stimmung zu machen im jüdisch-christlichen Abendland und muselmanischen Morgenland.

*** Er war auch da. Ganz in Schwarz missionierte Vater Lawrence Lessig in Berlin die Massen auf der Wizards of OS, machte ihnen Mut, doch nicht den Traum von der "Read/Write-Society" aufzugeben, in der jeder Mensch die Inhalte mixen kann, ohne gleich von der Content-Industrie ans Kreuz genagelt zu werden. Selbst Jesus. Passend dazu gab es quelloffenes Freibier vom Feinsten, nämlich Lessigs Freie Kultur unter einer freien Lizenz. Sehen wir mal davon ab, dass das Buch in der deutschen Version der absolute Ladenhüter ist, weil a) Free Culture auf Englisch viel sexier klingt oder b) kein freier Mensch ein theoretisches Buch dieses Kalibers lesen will. Freibier im Sinne der Normalsterblichen gab es auch, nach Lessigs Messe, in abendmahlgerechten Halbliterpappen, die zur Feier der Registered Commons spendiert wurden. Und Frieden war auf Erden, bei den Zauberern und Elfen. Und ein himmelblaues offenes Netz spannte sich über die, die da glaubten und sich nicht von der miserablen Internetverbindung stören ließen. Eine heile Welt, die Zwietracht selten stört. Immerhin wurde so endlich einmal bekannt, dass es zum Beispiel Spezialisten gibt, die gezielt Links von heise online auf Wikipedia-Inhalte unterwandern. Der Konter? Ein harter Permalink-Schwinger, tief angesetzt.

*** Mit einem Zauberstab püriert, ansprechend gewürzt und verflüssigt, kann noch die dickste c't als Köstlichkeit verspeist werden. Das ist noch nicht der ultimative Kochwettbewerb "Kochen mit Heise" oder "Amuse Geil aus der norddeutschen Tiefebene", sondern eine schlichte Regel des Journalismus: Wer Prognosen macht und gesichertes Wissen verspricht, sollte seine geflügelten Worte wie Bob Metcalfe essen können. Nun hat Microsoft ein Versprechen abgegeben, die Kanonen ihrer Rechtsanwälte nicht auf die zu richten, die das Single-Sign-On a la mode de Microsoft verwenden wollen. Die Frage ist, was ein Versprechen juristisch wert ist. Immerhin entsteht diese Kolumne am Software Freedom Day. An so einem Tag hat auch Microsoft bei mir ein Versprechen gut, zumal die Firma mit ihrem [ticker:762098 Zune] einen MP3-Player auf den Markt gebracht hat, der offenbar ungeschützte Audiodateien frei von jedem DRM-Teufelszeug abspielt, wenn die ersten Berichte stimmen. So viel Lernfähigkeit von einer Firma, die einstmals mit Play for sure auf DRM setzte, muss einfach honoriert werden. Außerdem darf man niemals vergessen, wer der eigentliche Arbeitgeber ist.

*** Wenn von Honoraren die Rede ist, dann waren in den letzten Wochen meistens die der Ärzte gemeint. Bei der elektronischen Gesundheitskarte, die derzeit hauptsächlich aus simulierten Geräten und Diensten besteht, war hingegen nur von Einsparungen die Rede. Der Bitkom freute sich über 500 Millionen Euro jährlich, die gespart werden, die Testgesellschaft Gematik über die Einsparung der teuren SICCT-Kartenleser, deren Spezifizierung noch nicht abgeschlossen ist. Nun ist ein Papier der Gematik bekannt geworden, das davon ausgeht, dass die Einführung der Gesundheitskarte im ungünstigsten Fall 7 Milliarden Euro Kosten in der Infrastruktur verursachen kann. Dabei sind die Karten selbst nicht mitgerechnet, da Peanuts. Nach 10 Jahren sollen sich Kosten und Nutzen die Waage halten, so rechnet man bei der Gematik. Das größte IT-Vorhaben der Welt ist damit die größte IT-Beschaffungsmaßnahme der Welt. Jede Ähnlichkeit zur LKW-Maut, die jährlich 1,3 Milliarden Unterhalt kostet, und mit einem gezielten Schritt die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, ist zufällig rein.

*** Zum letzten WWWW habe ich einige Mails erhalten, in denen die Entrüstung vibrativ zu spüren war, dass man doch niemals so über die tragischen Ereignisse des 11. Septembers schreiben kann, die den Blutzoll der Amerikaner forderten. Die einfache Antwort: wenn man schon von Zoll spricht, dann sollte auch der richtige Body Count Bemessungsgrundlage sein: Heute vor 144 Jahren starben etwa 23.000 Amerikaner. Und zum Vorwurf des Anti-Amerikanismus textmittig einen Ausflug in die Zukunft des was wird. In der nächsten Woche ist der Neuantrag meines Journalistenvisums für die USA fällig. Das letzte Journalisten-Visum, erteilt am 7. September 2001, wurde schlicht per Telefon bestellt. Heute braucht es: Eine schriftliche Bestätigung aller auftraggebenden Redaktionen, eine mehrseitige Beschreibung in Form eines Essays, worüber man in den USA berichten will. Sämtliche Ausbildungs- und Abschlussnachweise inklusive Telefonnummern der Institutionen dieser Nachweise. Eine Liste der Reisen der letzten 10 Jahre, inklusive Belege, wer für diese Reisen bezahlt hat. Und einen Aufsatz über die amerikanische Demokratie. Alexis de Tocqueville hatte es einfacher. Aber zu seiner Zeit war der Papst nicht die reine Vernunft und der Islam eine Religion unter Vielen.

*** Eine Woche mit fünf Jahren Nine-Eleven und 25 Jahren Chaos. Die nächsten Jahrzehnte werden auch nicht ordentlicher, dafür um so spannender, nach dem verlorenen großen Krieg. Aus dem Schuttberg des WTC erwächst auch den Chaoten neue Arbeit. Die Trümmerfrauen von heute schleppen keine Backsteine auf dem Rücken, sondern haben den Laptop im Backpack. Der Rauch verzieht sich, die Tränen sind getrocknet. Keine Zeit zu Weinen, wusste schon der Mann hinter der großen Sonnenbrille und singt mit Grabesstimme durch die Nebelschwaden.

Was wird.

Mit dem Pretexting bei Hewlett Packard hat es nicht ganz geklappt. Der Staatsanwalt will Anklage erheben und selbst der US-Kongress interessiert sich für das Social Hacking in der Bel Etage der Konzernzentrale. Während HP verspricht, vom bösen Tun Abstand zu nehmen, lädt es deutsche IT-Journalisten in ein besonders exklusives Schlosshotel ein, sich über die neue HP zu informieren. Ob die Mauern besonders abhörsicher sind, wird nicht verraten. Vielleicht hätte man ein Rotel nehmen sollen.

Während die Geldverdiener in Berlin ihr zauberhaftes Treffen beenden, starten die Geldausgeber in Brüssel ihre Show: Die europäische OSCON von O'Reilly ist der angesagte Laufsteg, wenn es gilt, VC-Gelder einzusammeln. Etliche Firmen, die im letzten Jahr debütierten, sind obendrein von großen Konzernen geschluckt worden. Da macht es doch nichts, wenn teilnehmende Firmen sich verpflichten müssen, böse Worte über den Verlag mit den lizenzfreien Tierstichen zu unterlassen. Nennen wir das einfach Pre-Pretexting oder schicker Pretexting 2.0. (Hal Faber) / (vbr)