Elektronische Gesundheitskarte: Sie kommt, wenn sie kommt

Vor wenigen Tagen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gesundheitskarte zur Chefsache gemacht. Davon ist auf dem Kongress IT-Trends in der Medizin wenig zu spüren. Viel ist von den kleinen Schritten die Rede, denen große Schritte folgen werden.

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Von
  • Detlef Borchers

"Die Party geht weiter", verkündete ein großes Transparent den Teilnehmern des diesjährigen dreitägigen Kongresses IT-Trends in der Medizin an der Messe in Essen. Damit war jedoch nicht die elektronische Gesundheitskarte gemeint, sondern ein Public Viewing auf dem Messegelände, weil Deutschland gegen San Marino kickte.

Unter den Referenten und Ausstellern der "IT-Trends" hätte ohnehin nur eine Firma Grund gehabt, eine Party zu schmeißen: Stolz verkündete die Firma Celectronic, dass man mit dem Universalterminal 6620 das erste Gerät am Markt hat, das die heutige Krankenkassenkarte wie auch die kommende Gesundheitskarte verarbeiten kann und obendrein die wichtige Zertifizierung der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bestanden hat. Schlappe acht Monate hatte man dafür gebraucht. Nun wartet man auf die Zertifizierung durch die Gematik, die für alle Belange der elektronischen Gesundheitskarte zuständig ist. Das 229 Euro teure Terminal wird derweil von Celectronic zu den 26 wichtigsten Softwareherstellern in der Branche geschickt: Jeder einzelne muss das Gerät testen und das Zusammenspiel mit der Software prüfen und freigeben. Die ungemein aufwendige Prozedur ist nur ein winziger Teil des großen Gesundheitspuzzles und zeigt gut, warum die elektronische Gesundheitskarte nicht vom Fleck kommt. "Wir wollen eine mobile Terminalvariante für Ärzte auf Hausbesuch, für Rettungswagen und Notfallkoffer bauen. Doch dafür gibt es derzeit überhaupt noch keine Spezifikationen", erklärte Vertriebsleiter Rainer Czmok gegenüber heise online. Frühestens in einem Jahr dürfte dieses Terminal in Serie gehen können.

Vor wenigen Tagen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gesundheitskarte zur Chefsache gemacht. Davon ist in Essen wenig zu spüren. Kein Redner erwähnt diese Chefsache, dafür ist viel von den kleinen Schritten die Rede, denen große Schritte folgen werden. Große Töne schlägt eigentlich nur noch der IT-Branchenverband Bitkom an, der verkündet, dass die Gesundheitskarte jährliche Einsparungen von 500 Millionen Euro bringen wird.

Stefan Winter, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium, stellte zum Kongressbeginn die elektronische Patientenakte Ruhr vor, bei der sich die Firmen "verbindlich verpflichtet haben, ihre besten Experten zur Verfügung zu stellen". Es sind die Siemens AG, T-Systems, Agfa Healthcare, IBM, CompuGroup, DOCexpert, Fliegel Data, InterComponentWare und Microsoft. Das ambitionierte NRW-Projekt soll zur Medica gestartet werden und eine "Sogwirkung" ausüben. "Wenn die Akte einmal da ist, bietet sie einen erfahrbaren Mehrwert wie die Navi im Auto", erklärte Winter auf der anschließenden Pressekonferenz. Niemand könne sich vorstellen, ohne Navigation zu fahren, wenn er einmal das System benutzt hat.

In Essen ist auch eine der Musterumgebungen eingerichtet worden, in der alle Aspekte der Gesundheitskarte beim Erstellen eines eRezeptes getestet werden können. Aus dieser Musterumgebung entsteht später der so genannte 10.000er-Test, dann der 100.000er-Test – Essen/Bochum ist eine der Modellregionen. Doch noch ist unklar, wann die Musterumgebung starten kann. Ursprünglich sollte dies im Sommer 2006 passieren. Irgendwann Ende des Jahres, spätestens Anfang des nächsten soll es nun so weit sein, erklärte Jürgen Sembritzki vom Essener Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen (ZTG): "Die Arbeit an den Spezifikationen ist aufwendig. Es gibt nicht unbegrenzt Spezialisten, die das können, wir haben da Personalengpässe." Die Karte kommt, wenn sie kommt, so die Sprachregelung der Spezialisten.

Einen Fortschritt gibt es dennoch zu vermelden. Der IT-Trends-Kongress ist eine der ersten Veranstaltungen zur elektronischen Gesundheitskarte, die ein öffentliches Bürgerforum (PDF) bietet. Am Freitag öffnet sich der Kongress dem allgemeinen Publikum, das Fragen an die Spezialisten stellen kann. Die sind gespannt, wie viele Bürger kommen werden, auch wenn man nicht mit einer Party werben kann.

Zur elektronischen Gesundheitskarte und der Reform des Gesundheitswesens siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)