4W

Was war. Was wird.

Wir bestehen darauf, ja, wir verlangen es jetzt und sofort: Freiheit. Hal Faber erinnert sich, trauernd, und verwundert ob der schrägen Sachen, mit denen man sich stattdessen heutzutage herumschlagen muss.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 91 Kommentare lesen
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** 404 ist vorüber, die Sommerrätsel haben sich verflüchtigt wie der Sommr. Wer jetzt kein Haus baut, beschäftigt sich allein mit den Rätseln des Alltags: Deutsche Dinge wie die "freiwillige Wehrpflicht" und die Vernachrichtendienstlichung wollen nicht nur fehlerfrei ausgesprochen, sondern auch verstanden werden,

*** Doch erst einmal harrt die Bonusfrage des Sommerrätsels ihrer Lösung. Wo warst Du, als Elvis starb? Mein Redakteur lag beispielsweise in einem Krankenhaus nach einem Fahrradunfall, mit zerschundenen Gelenken, und las Marxens "Die deutsche Ideologie". Ein Heise-Leser namens MeinFreund wurde an diesem Tag geboren. Und Leon hielt seine unsterbliche Rede in der Disco, aufgeschrieben von Tony Parsons in "Als wir unsterblich waren": Die Punks, die vom verfetteten Elvis angewidert waren, wussten um seine Größe.

"Das war wie Apartheid, bevor Elvis kam. Musik war vorher wie ein einziges verdammtes Riesensüdafrika. Weiße Radiosender. Schwarze Radiosender. Musik, jede Art von Musik, war in ein Ghetto gesperrt. Elvis hat die Musik da rausgeholt, er hat uns verdammt noch mal befreit, Mann!"

*** Und hier ist nun leider ein kurzes Innehalten notwendig, in Gedenken an einen anderen, der vielleicht nicht mich, aber die Musik befreit hat. Der der Musik einen ganz neuen Rhythmus, einen neuen Beat schenkte, der befreite, ohne den der Bebop nichts gewesen wäre. Max Roach starb am Donnerstag, der Drummer des Bebop und der Befreiung. Wir bestehen darauf, wir verlangen es: Freiheit jetzt! trommelte er dem Amerika der 60er-Jahre die Botschaft der Bürgerrechtsbewegung ins Gewissen. Der "Herzschrittmacher des Jazz" sollte uns noch viele Freiheitstage bringen.

*** So mögen wir uns in 30 Jahren erinnern, wo wir waren, als Max Roach starb. Als Elvis starb aber, da arbeitete ich in den Semesterferien als "Hand" an der Schleusentreppe Carl Johan am Götakanal. Im Jahre 1977 waren die sieben Schleusen in Berg noch in Handarbeit zu bedienen, und besonders ältere Skipper heuerten uns Studenten an, die die Maloche übernahmen, während sie an Bord blieben. Es gab sicher besser bezahlte Ferienjobs, aber kaum einen, der so weitab der hitzigen Diskussionen in den Sympathisantenzirkeln der politischen Gefangenen (vulgo RAF) lag, in denen damals die Fetzen flogen. Vom Tod des Kings hatte ich nichts gehört, bis ich ein Schiff mit einem älteren Ehepaar bekam, das Rotz und Wasser heulte und dabei teuren Fusel trank wie andere Tri-Top. Ein Professorenpaar wars und der Mann brabbelte abwechselnd von Elvis und Adorno. Später habe ich sie nachgeschlagen, Adornos Reaktion auf Elvis:

"Die Kulturindustrie Amerikas hat eine ungeheure Macht; sie verödet und korrumpiert nicht nur die Empfindungswelt des amerikanischen Volkes, sondern sie droht auch die Kulturen anderer Völker mit ihrem Schmutz zu überschwemmen. Durch die Massenproduktion von Schund und Kitsch wird sie zum gefährlichsten Feind des kulturellen Forschrittts auf der ganzen Welt. Um sich gegen sie wehren zu können, muss man ihre Gefährlichkeit begreifen."

*** Wie korrumpierend dieser Schund und Kitsch ist, kann man mit dem finnischen Dr. Ammondt begreifen, der Elvis-Songs auf Latein oder Sumerisch singt. Tote Sprachen für tote Sänger! Wie es der blinde Uhrmacher will, haben Heise-Leser in dieser Woche mal aufgeschrieben, was sie fünf Jahre später mit der ersten CD hörten. Eine beachtliche Auswahl, samt akzeptierter Entschuldigung für den Ausrutscher Mötley Crüe.

*** Aber was sind schon Schund und Kitsch, was ist gar schon der Tod, wenn die Singularität naht – verstanden als der Punkt, an dem Supercomputer wie der in einer Kirche installierte Mare Nostrum unser aller Schicksal lenken? Zu ihr hat ein anderer Kolumnist ein paar lustige Gedanken veröffentlicht, wie man die drohende Unsterblichkeit vermeiden kann und über jenen Raymond Kurzweil, der mit allen Mitteln überleben und in der Singularität aufgehen möchte. Wird es diese kleine Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene ewig geben wie das ewige Genörgel darüber, wie laaaangweilig das WWWW mal wieder ist? Das KI-Programm Hal Faber, gefüttert von seinen Lesern, das nicht länger aus der norddeutschen Tiefebene kommt, sondern aus einem holographischen Speicher, der jedweden Datenvandalismus überstanden hat und etwas bramabasiert, was andere Holo-Speicher dann als Copy-Test nutzen.

*** Zellhaufen oder Bytehaufen, das ist die Frage, die sich dem Prinzen von Dänemark stellte. Aktuell stellt sie sich vielleicht der Prinzessin von Norwegen, die sich auf das Engel-Dating verlegt hat, komplett mit Himmelhochjauchzen. O. K., ich mag befangen sein: Engel kenne ich nur als Datenbankavatare und Helpdesk aus dem Film Enthüllung, mit dem mir das ZDF gerade Konkurrenz macht. He, nicht wegschalten! Funktionstasten sind übrigens sexier als interaktive Hilfen und das Blättern mit dem Datenhandschuh in einer Oracle-Installation.

*** Doch was ist der Tod des Einzelnen gegen das Aussterben einer Art? So viele Engel gibt es gar nicht, die da Protest brüllen können. Wer den großen Douglas Adams nicht nur als Romancier gelesen hat, wird sich an sein Buch Die Letzten ihrer Art erinnern, als er mit Zoologen den Lipotes vexillifer, den Baji- oder Jangtse-Delphin in freier Wildbahn in einem Gebiet suchte, das von der Metallverhüttung geprägt war. Sie fanden keinen, nur ein Exemplar am hydrobiologischen Institut Wuhan. Nun hat man den Baji für ausgestorben erklärt. Er ist die erste Walart, die durch den Menschen ausgerottet wurde. Ja, ich hab es heute mit dem Zitieren, DNA inklusive:

"Ich dachte, dass der Begriff 'gefährdete Art' zu einer Phrase geworden war. Als ich dem Wind beim Kräuseln der galligen Jangtse-Oberfläche zusah, wurde mir mit schmerzhafter Deutlichkeit bewusst, dass irgendwo unter mir oder um mich herum intelligente Lebewesen, deren Wahrnehmungswelt wir uns nicht einmal andeutungsweise vorstellen können, in einer gärenden, vergifteten, betäubenden Welt lebten und dass sie ihr Leben höchstwahrscheinlich in ständiger Verwirrung, ständigem Hunger, ständigem Schmerz und ständiger Furcht verbrachten."

*** Wieviel gemütlicher ist da das Leben als masseloses Photon, wenn man nicht gerade von deutschen Forschern am Herumhängen mit den anderen Photonen gehindert wird. Nun sorgen die Experimente für internationales Aufsehen und aparte Kommentare besonders bei den Schotten, die als Erstes an ihren Bus- und Eisenbahnverkehr denken. Dabei ist Eisenbahn nicht einmal schlecht, weil der Erklärungsveruch auch mit einer Eisenbahn funktioniert, deren Abfahrt und Ankunft immer in der Mitte des Zuges gemessen wird, die aber laufend Waggons verliert. Aber vielleicht hat da jemand etwas entdeckt, was er im Resultat noch nicht überzeugend darstellen kann?

Was wird.

Wie man wobbelnd zwar keine Waggons, aber wohl das Ziel der Aktion verlieren kann, zeigt sich gerade bei der elektronischen Gesundheitskarte. Forsch wird da ein 100.000er-Test gestrichen und damit geworben, dass die Kartenterminals schon Mitte 2008 in der Fläche "ausgerollt" werden, die echten gesunden Karten kurz danach. Dabei steht die Riesenakquise der Fotos von über 80 Millionen Menschen noch als kleines Stolpersteinchen vor der Tür. Und, besser noch ist der Witz mit der Online-Fähigkeit des Gesamtsystems. Dieser Part soll frühestens in fünf Jahren angetestet werden. Das ganze Gerede über die Einsparungen, die die neue Karte bringen soll, ist damit Makulatur. Wie passend ist es dann, wenn geblödelt wird, dass die Karte den Versicherten praktisch nichts kostet: Praktisch alle Einsparungen können nur dann erzielt werden, wenn die verschiedenen Systeme online sind und Medienbrüche vermieden werden, wie den Bruch vom Arzt, der die Daten der elektronischen Patientenakte als Datei aushändigt oder auf ein Faxgerät legt. Aber eifrig melden Agenturen noch den größten Schwachsinn gleich mit, ohne Nachdenken, und schreiben von einer Karte, auf der auch Rezepte, Röntgenbilder und komplette Krankengeschichten gespeichert werden können. Zur Erinnerung und zum Nachrechnen: Die Nutzlastkapazität der Karte liegt derzeit immer noch bei 34 KByte bis 56 KByte.

Und wieder breche ich mein Gelübde, nichts über diesen seltsamen Online-Trojaner zu schreiben, den das BKA in der Hosentasche haben will. Die Behörde, von der drei Beamte in einem völlig unsinnigen Auslandseinsatz in Afghanistan "am Hindukusch" getötet wurden, hat nicht nur Terroristen-, sondern auch Radler-Festplatten im Visier. Immerhin: In Kiel will BKA-Chef Ziercke seinen Online-Angriff auf die Festplatten vorstellen, während der um Forderungen nicht verlegene Innenminister und Schützensportler Uwe Schünemann seinen Auftritt vor all den Datenschützern abgesagt hat. Derweil wird taggleich im Berliner Innenministerium versucht, 45 Fragen zu beantworten. Ein paar Kalenderblätter weiter findet dort nicht nur eine Anhörung statt, sondern eine Demonstration gegen die allgemeine Ignoranz gegenüber den Bestrebungen der Politik, aus diesem Nachtwächterstaat einen Nachtkamerastaat mit integrierter IMEI-Verfolgung zu machen: Hier fahren die Busse.

O. K., das ist natürlich eine bannig große Sache, in so einen Bus zu steigen. Geht es auch eine Münze kleiner? Aber hallo, wir kennen auch Cent! Love a.k.a. Kleingeld is everywhere. In Erinnerung an diese hinweggerotteten Flussdelphine in China eine Losung an alle Hacker, die jetzt noch den Pizzadienst anrufen: ESST MEHR ANCHOVIS! Pizza Napoli rulez! Ohne Thunfisch! Oder wie immer das Teil beim Italiener eures Vertrauens auch heißen mag. (Hal Faber) / (jk)