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Was war. Was wird.

Es ist Wahlkampfzeit. Wenn dann die als Argumentenfundament gedachten Statistiken fehlerhaft sind, könnten diejenigen, die die Daten eingegeben haben, doch eine DNA-Probe abgeben, schlägt Hal Faber vor.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich beginne diese kleine Wochenschau am Knuttag damit, dass ich erst einmal kräftig auf den Bildschirm meines treuen Thinkpad spucke. Es ist nämlich so: Während die Spucke langsam den Schirm hinunterläuft, trifft sie auf das hingerotzte WWWW und tauscht so magische Informationen aus, die sich mit dem Text verbinden und einen, nennen wir es mal wissenschaftlich, anastigmatisch-genetischen Abdruck hinterlassen. Eine magische Wechselwirkung zwischen Text und Person vermutet die Generalbundesanwaltschaft, die bei einem Berliner Soziologen die zwangsweise Entnahme einer Blutprobe angeordnet hat, die nur durch eine freiwillige Speichelabgabe verhindert werden kann. Die Abgabe einer DNA-Probe zur Feststellung der Autorenschaft eines Textes ist nach Geruchsspurensicherung, Briefpostsistierung und verdächtiger Verschlüsselung ein deutliches Zeichen, dass die von der taz Serientäterin genannte Monika Harms weiter ermittelt, als ob es den Bundesgerichtshof nicht geben würde. Da bleibt doch glatt die Spucke weg.

*** Die Methode, das Karlsruher Gericht wegzuerklären oder zu ignorieren, ist auch in der Politik bekannt. Im Fall der beliebten heimlichen Online-Durchsuchung von Festplatten erklärte CSU-Frontmann Peter Ramsauer im Interview der Woche: "Wir wollen das natürlich möglichst schnell haben. Wir sind ja der Gesetzgeber. Wir sind ja nicht die Vollzugsmaschinerie als Parlament des Bundesverfassungsgerichts, sondern das Gericht spricht Recht und wir machen die Gesetze. Also wir brauchen im Grunde genommen auf Karlsruhe nicht zu warten." So einfach ist das, wenn man einen Wegerklärbär hat. Das hat man offensichtlich auch beim Bundeskriminalamt gedacht, das in dieser Woche auf seiner Homepage als Bürger-Service auf dieses etwas ältere Bären-FAQ des Bundesinnenministeriums verlinkte, was wiederum einen bekannten Motzbär zum Brummen brachte.

*** Manchmal hilft selbst der beste Wegerklärbär nicht weiter, da muss er schon mit harter Pranke kommen. In diesen Tagen kursiert bei deutschen Passbehörden ein Schreiben des erwähnten Bundesinnenministeriums, das den Abverkauf von Alu-Hüllen für den Reisepass wie in Lübeck kommentiert. Nach einer längeren Erklärung zur super-sicheren, von keiner Entropie betroffenen Basic Acess Control ganz ohne diese schrecklich störanfälligen Fingerkuppen erklärt das Ministerium, dass es die Alu-Hüllen ablehnt. "Ich bitte daher, alle Passbehörden auf diese Sachlage hinzuweisen und sie aufzufordern, von einer Verteilung von Aluhüllen abzusehen, da sie nicht erforderlich sind und zu einer unnötigen Beunruhigung von Passinhabern führen. Das hat der innenministerielle Wegerklärbar ganz wunderbar geschafft: Die Alu-Hüllen, die beruhigen sollen, führen zu einer Beunruhigung von Bürgern. Sososo. Und wie war das mit Herrn Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamtes? Der gab in einer Anhörung im Bundestag (PDF-Datei) am 23.April 2007 den Zauberbär: "Die Abschirmung des Passes durch so genannte leitende Materialien durch einen Schutzumschlag – das hat der erste Sachverständige schon gezeigt – ich habe hier einen ähnlichen. Man benutzt diesen Umschlag nur, um den Ausweis dort hineinzustecken, und dann ist dieses Szenario völlig entzaubert." Entzaubert wird aus dem Frosch ein beunruhigendes Monster.

*** Ich hätte auch "Jugendlicher" schreiben können. Es ist schließlich Wahlkampfzeit, nicht nur in den USA: Da kocht der Koch sein Schlägersüppchen aus Zuwanderanten, da rührt der Wulf einen Versprechungsbrei an und selbst der feingeistige Ole von Beust sucht nach dem passenden Rezept. Mit Gulasch mallorquinischer Art hat er es im Internet gefunden, komplett mit einem zweijährigen Rezept-Abo. Beusts Behörden haben in dieser Woche übrigens einen besonders schicken Erklärbär präsentiert. In der Zeitschrift für "Jugendkriminalität und Jugendhilfe" hatte der Kriminologe Bernhard Villmow einen Aufsatz (PDF-Datei) über die kriminalstatistische Provinz Hamburg veröffentlicht und nachgewiesen, dass die Zahlen über straffällige Jugendliche falsch waren. Zahlen, auf die die Hanseherren von Law & Order doch so stolz waren. Wie kommt's? Ein Datenbankfehler ist der Schuldige, oder, in den Worten des Justizministers: "Bei der Umstellung auf ein neues elektronisches Erfassungssystem sind bei der Eingabe Fehler gemacht worden." Der doofe Computer und die miserable Software haben sowieso immer schuld. Wie wäre es mit einer DNA-Probe der Leute, die die Daten eingegeben haben?

*** Ich finde, es ist eine ganz, ganz große Geste der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, mit "Bill geht" und einem betenden Gates-Bild das Titelblatt am Dienstag zu schmücken. Tags darauf gab es dann ein langes Interview mit dem Visionär Bill Gates und seiner treudoofen Aussage "Ich bin ersetzbar". Das Titelbild feierte indes prompt den nächsten Visionär: Wilhelm Busch, der seinen 100. Todestag begeht. Sein Hauptwerk ruht in der norddeutschen Tiefebene dort, wo sie am schönsten ist. Seltsamerweise schrieb ein nicht verlinkbarer Zeitgenosse von Busch: "Wer Hannover kennt, weiß, warum Busch nach Wiedensahl zog." Angeblich will Bill Gates hinfort nur Gutes tun und bei der Bill and Melinda Gates Foundation mitarbeiten. Wer ihm das glaubt, wird wahrscheinlich auch glauben, dass Windows Vista ein komplettes Betriebssystem ist. Wahrscheinlich will Bill Gates mit einer furiosen Rückkehr nur zeigen, dass er der beste Steve Jobs aller Zeiten ist. Oder, um Wilhelm Busch zu zitieren:

Das Gute – dieser Satz steht fest –
ist stets das Böse, was man lässt.
Dem Guten in der Kunst hingegen
kommt grad das Böse sehr gelegen.
Das merkten – gar nicht lang ists her –
die Herren Busch und Baudelaire.

*** Das Gute tun, das kann man mit dem ehemaligen Microsoft-Manager John Wood von Room to Read lernen, fängt mit einem perfekten Businessplan an. Der Rest sind aufgeregte Kinder, die zum ersten Mal in ihrem Leben ein Buch sehen und darin einen abgebildeten Elefanten, ganz ohne OLPC mit seinen verwirrenden Mentis und Dementis. Damit will ich dieses Projekt nicht schlecht machen. Das Schlimmste am OLPC ist ein sehr eitler Chef namens Nicholas "ich bin digital" Negroponte, der leider lernresistent ist. Der Satz, dass es ein Lernprojekt und kein Laptopprojekt ist, gilt eben für alle, für all die engagierten Mistreiter und für Negroponte.

*** Gehen wir zurück zum Ursprung und fluten einmal Länder, in denen Kinder schon Leseräume erfahren haben, mit Millionen von billigen Laptops, ob sie nun OLPC, EeePC, Classmates, Shuttle oder sonstwie heißen. Sie mögen vielleicht Blödsinn machen und den Katzen-Content weiter erhöhen. Wenn aber mit dieser Aktion nur 100.000 Hochbegabte gefunden werden, die IT-Konzepte verbessern können, angefangen vom Mesh-Networking bis zum Stromproblem ihrer kleinen Rechner, kommt eine Welle und macht mit einem Schwapp all die PISA-Sandburgen deutscher Bildungsforscher platt. Und danach kommt erst der richtige Brecher. In Deutschland wächst die Kinderarmut exponentiell. Wer die Projekte in Uruguay und Peru belächelt, wird sich nicht wundern können, warum es kein einziges Forschungsprojekt gibt, und sei es auch noch so klein, unserem armen Nachwuchs mal einen OLPC zu bringen und nicht dieses Unterschichtsfernsehen komplett mit dem Werberamsch einer fossilen Autoindustrie. Ich kann es auch anders formulieren, im Einklang mit den Dumpfbacken, die das deutsche LKW-Mautsystem oder das krude Ding namens elektronische Gesundheitskarte als "Exportschlager" feiern, sollte man sich einmal den Weg des nächsten Exportschlagers ansehen: Amana.

*** Während die Spucke herabläuft und ich Screen Clean zücke, das süßlich wie Bionade stinkt, werden die Toten der Woche wach. Als Bewohner der norddeutschen Tiefebene werde ich sicher nicht diesen komischen "Bergen" gerecht, die man schnellstens, bald videoüberwacht überqueren und durchtunneln muss, ehe man zivilisierte Ortschaften erreicht. Ein Abschiedsgruß darum an Edmund Hillary. Außerdem würde ich gern einem Sherpa der Vernunft gedenken, dem spät eingebürgerten Philip Agee. Er war imho der Whistleblower des vergangenen Jahrhunderts – und der meistzitierte Autor in den Schriften der deutschen RAF.

Was wird

Gähn. Die Zukunft ist sowas von langweilig ohne den obersten Nerd Bill Gates als Kontrapunkt. Die Macworld in San Francisco steht an, aber noch immer nicht flutscht das Porno-Gucken mit diesem Bill. Derweil freuen wir uns mit Melinda über den Ehrentitel, den ihre Arbeit dort erfährt, wo gemeinhin der Nobelpreis verliehen wird. Auf ihre Weise ist Melinda Gates die Frau der Zukunft und dankt Simone de Beauvoir: Man kommt nicht als Frau zur Welt. Frau macht sich fit, Mann macht sich fit. Aber nur durch Frauen überlebten die Menschen, an die Haare der Mütter geklammert, währende hungrige Bären brüllten. OK, bei Theweleit und Co. waren es Tiger. (Hal Faber) / (anw)