Debatte um Fördermittel für Nokia entbrannt

Mit seiner geplanten Produktionsverlagerung von Deutschland nach Rumänien hat der Handy-Weltmarktführer eine Diskussion zwischen Landes-, Bundes- und EU-Politikern über Fördermittel losgetreten.

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Der Handy-Weltmarktführer Nokia hat mit der geplanten Verlagerung seiner Produktion von Deutschland nach Osteuropa eine neue Fördermittel-Debatte losgetreten. Zudem sah sich der finnische Konzern durch die Schließungspläne für das Bochumer Werk harschen Abzocke-Vorwürfen ausgesetzt. SPD-Chef Kurt Beck warf der Konzernleitung am Mittwoch laut dpa eine hemmungslose Gewinnmaximierung vor. Arbeitnehmer würden im Stich gelassen und Steuerzahler ausgenutzt. Aus Wut verweigerten am Mittwoch zahlreiche Beschäftigte in Bochum die Arbeit. Hunderte Arbeitnehmer und Gewerkschafter versperrten die Werkstore.

Ökonomen forderten strengere Vergaberichtlinien und langfristige Standortzusagen, wenn Unternehmen öffentliche Gelder annähmen. Bund und Land hatten zwischen 1995 und 1999 knapp 60 Millionen euro aus einem Fonds zur regionalen Wirtschaftsförderung gezahlt, berichtet die Financial Times Deutschland (FTD). Dafür sei das Unternehmen verpflichtet worden, bis Mitte September 2006 mindestens 2856 Arbeitsplätze in Bochum zu schaffen oder zu erhalten. Dazu habe das Bundesforschungsministerium von 1998 bis 2006 9,5 Millionen Euro Forschungsmittel gewährt.

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) warnte Nokia im ZDF davor, sich ein Image als "Subventions-Heuschrecke" zu verschaffen. Er betonte vor den Werkstoren in Bochum, die Debatte sei noch nicht zu Ende. Nokia müsse es auch um sein Image gehen. "Deutschland ist nicht nur Produktionsstandort, sondern auch Absatzmarkt." Rüttgers' Behauptung, der Bund habe weitere 28 Millionen Euro gegeben, habe in Berlin Rätselraten ausgelöst, heißt es in der FTD.

"Es ist eine absolute Sauerei, deutsche Fördermittel für Arbeitsplätze in Anspruch zu nehmen und dann Arbeitsplätze aus Deutschland zu verlagern", sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel den Kieler Nachrichten. Ein Bundeswirtschaftsminister, der sein Amt ernst nehme, komme nicht umhin, angesichts dieses Falls den Umgang mit Förder-Steuergeldern sehr gründlich zu überdenken.

Während in Bochum noch Entsetzen herrschte und Politiker wie Gewerkschaften auf eine Rücknahme der Entscheidung pochten, wurden nach rumänischen Medienberichten an dem neuen Nokia-Standort schon die ersten Handy-Prototypen produziert. Im Februar soll die Massenproduktion starten. Dort sollen später 3500 Menschen arbeiten. Nokia äußerte sich nicht zu den Berichten.

Unterdessen versicherte die EU-Kommission, sie habe keinerlei Geld für die Ansiedlung der Handy-Produktion von Nokia in Rumänien gezahlt. Das gelte auch für den Aufbau von Infrastruktur in dem entsprechenden Industriepark, versicherte eine Kommissionssprecherin in Brüssel laut dpa. Die FTD schreibt, eine Sprecherin der EU-Regionalkommissarin Danuta Hübner habe bestätigt, dass die Infrastruktur im ersten Bauabschnitt des rumänischen Industrieparks "Tatarom" 2001 durch "Phare"-Vorbeitrittshilfen der EU in Höhe von etwa 3,4 Millionen Euro unterstützt worden sei. Nokia habe seine neue Produktionsstätte im später errichteten dritten Abschnitt des Parks angesiedelt, für den keine EU-Gelder geflossen seien.

In Rumänien hieß es laut dpa, Vergünstigungen für Nokia ließen sich an Infrastrukturarbeiten ermessen, zu denen sich Rumänien in dem Industriepark in Jucu bei Cluj verpflichtet habe, wo sich Nokia angesiedelt hat. Unter anderem sollte die rumänische Eisenbahngesellschaft dort ein extra Nebengleis für die Güterwaggons errichten. Die Elektrizitätswerke sollten in "Nokia Village", so der Name des neuen Industrieparks, für 17 Millionen Euro ihre Infrastruktur erneuern. Laut einem Bericht der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung soll der rumänische Staat 33 Millionen Euro für das "Nokia Village" aufgebracht haben.

Nokia hatte am Dienstag unerwartet angekündigt, den Standort Bochum mit 2300 Beschäftigten Mitte des Jahres zu schließen und die Produktion nach Rumänien und Ungarn zu verlegen. Von der Schließung sind auch bis zu 1000 Leiharbeiter und etwa 1000 Beschäftigte von Zulieferern betroffen.

NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) wollte Gespräche mit der Nokia-Spitze in Helsinki aufnehmen. Die Bundesregierung ist ebenfalls zu Gesprächen mit Nokia bereit, sollte der Konzern seine geplante Firmenschließung überdenken. Die Regierung stehe in ständigem Kontakt mit dem Unternehmen, teilte der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Hartmut Schauerte (CDU), laut dpa in Berlin mit. Deutschland sei global wettbewerbsfähig. "Nokia ist es leider offenbar – trotz erheblicher öffentlicher Unterstützung – nicht gelungen, dieses Potenzial zu erschließen."

Christoph Schmidt, Chef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsförderung, sagte der FTD, die Klagen der Politik verdeckten ihren begrenzten Einfluss auf das globale Wirtschaftsgeschehen. "Ein internationaler Konzern denkt nicht in regionalen Kategorien. Er hat seinen eigenen Betriebserfolg im Blick." Sobald die mit Subventionen verknüpften Auflagen entfließen, seien Unternehmen frei, neu zu kalkulieren.

Zur geplanten Schließung des Nokia-Werks in Bochum siehe auch:

(anw)