US-Musikindustrie gibt Massenklagen auf [Update]

Der US-Musikindustrieverband RIAA will wohl künftig auf eine enge Zusammenarbeit mit Providern setzen, die entdeckte illegale Filesharer per Mail warnen sollen und bei mehrfachen Verstößen den Zugang sperren

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Die amerikanische Musikindustrie will ihre Strategie im Kampf gegen illegales Filesharing von urheberrechtlich geschütztem Material grundlegend verändern. Der Verband der großen US-Labels (Recording Industry Association of America, RIAA) wird künftig auf Massenklagen verzichten und setzt stattdessen auf die Zusammenarbeit mit den Zugangsanbietern. Einen entsprechenden Bericht des Wall Street Journal vom heutigen Freitag bestätigte eine RIAA-Sprecherin gegenüber heise online.

Seit 2003 hatte der Verband rund 35.000 Internetnutzer wegen mutmaßlicher Urheberrechtsverletzungen verklagt. Dem Zeitungsbericht zufolge hat die RIAA im Herbst begonnen, die Klagekampagne einzustellen. Mit ersten großen Providern gibt es demnach bereits Vorabvereinbarungen über eine Zusammenarbeit nach dem auch in Europa aktuellen Modell der abgestuften Erwiderung.

Danach werde die RIAA beim Verdacht eines illegalen Up- oder Downloads eine E-Mail an den Provider schicken. Je nach Vereinbarung soll der Provider dann die Nachricht weiterleiten oder die Person selbst auf den Verstoß aufmerksam machen und auffordern, damit aufzuhören – die Identität des Kunden erfahre der Verband dabei nicht. Ignoriert der Internetnutzer den Hinweis, soll er noch weitere Male gewarnt werden. Im Gespräch sind laut Bericht auch Sanktionen wie Drosselung oder auch Sperrung des Zugangs.

Mit welchen Providern die RIAA schon erste Vereinbarungen getroffen hat, wollte der Verband der Zeitung aber nicht verraten. Die früher verhärteten Fronten zwischen den beiden Branchen bröckeln schon eine Weile. So dürften die Zugangsanbieter ein gewisses Eigeninteresse an einer Zusammenarbeit haben, da sie in jüngster Zeit immer häufiger selbst mit Entertainment-Unternehmen und Musik-Labels zusammenarbeiten, meint das Journal.

Auf der anderen Seite versucht auch die RIAA, neue Wege zu gehen, und mit den Zugangsanbietern ins Gespräch zu kommen, seit sie in den Klageverfahren zunehmend auf Widerstand trifft und dort auch empfindliche Niederlagen einstecken musste. Schon im Frühjahr 2007 hatte die Musikindustrie für eine Zusammenarbeit geworben. Zuletzt hat sich der Haravard-Professor Charles Nesson in ein Verfahren eingeschaltet und wirft dem Verband verfassungswidriges Vorgehen vor.

Doch offenbar hat die Musikindustrie – wie schon hierzulande – auch Gegenwind von Seiten der US-Justiz. Im Sommer habe der New Yorker Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo die Parteien an einen Tisch geholt, um die Prozesslawine zu stoppen. "Wir wollten die Klagen stoppen", zitiert die Zeitung Cuomos Stabschef Steven Cohen. "Sie bringen nichts." Eine unter Kritikern der Massenklagen verbreitete Ansicht.

Mit dem neuen Ansatz würde eine der umstrittensten – und für die Justiz aufwändigsten – Praktiken der RIAA wegfallen: über eine Strafanzeige gegen Unbekannt versucht der Verband, an die Identität des Nutzers zu kommen, von dem wenig mehr als eine IP-Adresse bekannt ist. Der mutmaßliche Filesharer wird dann mit einem Zivilverfahren überzogen – eine auch in Deutschland verbreitete Praxis. Harvard-Jurist Nesson hält das für Missbrauch der Justiz.

Das wäre nun nicht mehr nötig, wenn der Provider die Verwarnungen und die Bestrafung übernimmt. Zwar will sich der Verband laut Informationen der Zeitung das Recht vorbehalten, jene gerichtlich zu verfolgen, die als "besonders aktive" Tauschbörsennutzer gelten und die Warnungen ignorieren, aber man rechne damit, dass es beim Stopp der Massenklagen bleibe, der seit dem Herbst vom Verband praktiziert werde. Aktuelle Verfahren sollen dem Bericht zufolge weiterlaufen.

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