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Was war. Was wird.

Träumen E-Books nachts von YouPorn? Ganz sicher nicht von elektronischen Ausweisen aller Art, die ihre Besitzer demnächst nerven und unausweichlich in die neue Überwachungsinfrastruktur einfügen, denkt sich Hal Faber.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zwischen den Jahren über Tage eine Wochenschau schreiben, ist eine elende Lavabelität, zumal dann, wenn der Jahresrückblick wie die Vorschau in ein paar Tagen zur großen Knallerei ihre "Schatten werfen". Die einen haben Eid al Adha, Chanukka oder Weihnachten gefeiert und eine wunderschöne Lichterkette im Forum aufgehängt. Sie spielen mit ihren neuen E-Books, angeblich die Renner im festlichen Konsumrauschen und essen Stollen oder Mikrofiches, je nachdem. Die anderen starten Kwanzaa mit Obama oder solidarisieren sich mit dem großen weißen Snowzilla.

*** Als bekennend fröhlicher Atheist haben all die Aktivitäten bisher keine Spuren hinterlassen. Kein E-Book mit spannender Lektüre, nicht mal ein Döschen Red Bull vom vierten, theologisch schwer interessanten Weihnachtsmann zum vierten Jahrestag der großen Welle hat sich eingefunden. Dafür hat meine Interpretation der Weihnachtsgeschichte in der vorherigen Wochenschau nicht allen Lesern gefallen. Sie ärgerte der Satz vom jüdischen Bernie Madoff, der gezielt mit dem jüdischen Image spielend das bisher größte globale Schneeballsystem aufbauen konnte, das sich ein später Bewunderer von Mussolini ausgedacht hatte. Alle Investoren wollten schnell reich werden, schnell auf irgendeine Art in diesen geheimnisvollen geschlossenen jüdischen Fond investieren, der sagenhafte Renditen versprach. Vielleicht hilft es den Kurzgeschlossenen, wenn jüdische Stiftungen ebenfalls ruiniert sind. Wie heißt es doch so schön:

"Jede Wirtschaft beruht auf einem Kreditsystem, das heißt, auf der irrtümlichen Annahme, der andere werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine so genannte 'Stützungsaktion', bei der alle – bis auf den Staat – gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, dass die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch nichts mehr." Das schrieb Kurt Tucholsky vor nunmehr 77 Jahren.

*** Mangels E-Book, in dem ich blättern und stöbern kann, werde ich die Zeit zwischen den Jahren mit einer kleinen Betrachtung zur Identität überbrücken. Eine kleine Bilanz: Im gesamten Jahr 2008 habe ich vier Mal meinen Presseausweis vorlegen müssen, drei Mal bei staatlichen Veranstaltungen und einmal bei einer Messegesellschaft. Drei Mal war der Führerschein bei Anmietung eines Fahrzeuges ebenso gefragt wie die Vorlage des Passes beim Wechsel ins westliche und östliche Ausland abseits von Europa. Kein einziges Mal wurde hingegen der Personalausweis verlangt, nicht einmal bei vielen Hotelanmeldungen, wo sofort nach der Kreditkarte gefragt wurde. Fehlanzeige auch bei Besuchen in zwei deutschen Arztpraxen als neuer Patient. Die herkömmliche Krankenkarte reichte. All das wird es in den nächsten Jahren nicht mehr geben. Wir bekommen eine elektronische Gesundheitskarte, mit Foto-ID und einen elektronischen Personalausweis mit Meldepflicht der Adressdaten im Hotel wie der Möglichkeit zum Datenabgleich im Internetportal. Missbrauchen und Abtauchen ist ab sofort verboten und der Seitensprung ist ohnehin sowas von verpönt. Schließlich muss die brutale Klammerung unseres maroden Gesundheitswesens aufgebrochen werden, die nach dem gedruckten Spiegel sich wie eine Apokalypse liest, in der vieltausendfach der Staat versinkt: "Junkies und illegal eingewanderte Ausländer, abgetauchte Straftäter und geldgierige Privatversicherte, die ihren Rückerstattungsanspruch retten wollen", all diese würden Karten am Hauptbahnhof kaufen und dem ehrlichen, meist gesunden deutschen Volkskörper Milliarden entziehen. Gelder, die eben nicht durch die idiotische "Konjunkturmaßnahme" Straßenbau wieder hereinkommen.

*** Alle Proteste gegen Big Brother, die Quellen-TKÜ und die nur für Terroristen angedachte vorsorgliche Online-Durchsuchung mit ihren paar "herausragenden Fällen", für die plötzlich hunderte neuer Richter aus dem Straßenbauetat benötigt werden, sind ein Pieps gegen das was kommt. Eine kontaktbasierte Gesundheitskarte und ein kontaktloser Personalausweis ergeben zusammen ein dichtmaschiges Netz neuer Qualität, in dem zusammen mit der Vorratsdatenspeicherung von jedem Bürger mehrmals im Monat Daten gefischt werden. Perfekt aufeinander abgestimmt wie Hose und Sakko bei Gottschalk wirken ein smartes Bundesinnenministerium und ein tollpatschiges Gesundheitsministerium zusammen, aus Deutschland einen Überwachungsstaat zu machen, über den die Rentner von der ostdeutschen Staatsicherheit glücksstrahlend verkünden können: "Das ich das noch erleben durfte." Als grundsätzliches Problem aller Nachrichtenproduktion des Jahres 2008 bleibt übrig, dass Projekte wie die neue Gesundheitskarte und der neue Personalausweis einzeln betrachtet werden. Wer behauptet, dass zufälligerweise neben einer kontaktbehafteten Smartcard eine kontaktlose Smartcard durchgesetzt und mit attraktiven Angeboten kredenzt wird, kennt Dr. Reiner Zufall nicht, den Bruder von Dr. Seltsam. Ein bisschen Vorhersage gefällig? 2009 werden wir die ersten Arzt- und Zahnarztpraxen mit Hinweisschildern sehen, auf denen deutlich darauf hingewiesen wird, dass der Betrieb nicht an die Online-Überwachungs-Infrastruktur angeschlossen ist. 2010 werden die ersten Hotels mit diesem Hinweis folgen, nicht nur einfache Schuppen, sondern auch die Nobelsteigen, die heute schon die Sterne abmontieren. Bis 2012 eine neue Wichtigtuerei der Politik auch das noch unter Strafe stellt. Dabei ist es übrigens völlig egal, welche Farbkombination regiert.

*** Erwähnte ich schon, dass ich, ganz gegen den überall erwähnten Weihnachtstrend 2008 kein E-Book (Bezahl-Content, in 1 bis 2 Tagen frei verfügbar) bekommen habe? Kein Gerät mit einem eigenen Prozessor, ähem, mit einem eigenen Bewusstsein, das all die Texte auf den Bildschirm bringt und dabei grübelt, was Unterstreichungen in der vorelektronischen papierenen Zeit eigentlich sind: "Ich weiß nicht, was mit einem Buch geschieht, in dem etwas unterstrichen worden ist, ob es dann die unterstrichenen Sachen intensiver denkt." Ein E-Book, das ganz am Ende nach dem Durchforsten des Kanons der abendländischen Literatur erschöpft träumt:

"Ich wäre so gerne das Papierbuch, das die Geschichte jenes Herren enthält, der die Hölle, das Fegefeuer und das Paradies besucht hat. Ich würde in einem ruhigen Universum leben, wo die Unterscheidung zwischen Gut und Böse klar ist, wo ich wüsste, wie man es anstellt, von der Qual zur Glückseligkeit zu gelangen, und wo die Parallelen sich nie überschneiden."

In der echten Welt, ist die Unterscheidung zwischen Gut und Böse nicht so einfach, wie sich dies das kleine E-Book vorstellt, nur die zwischen blöd und noch blöder funktioniert mit hinreichender Genauigkeit und das vor allem bei deutschen Politikern. Sie fordern passend zum Straßenbau ein Mondprogramm, komplett mit EU-Mitteln für Mondbauern und ihre Mondkälber. Eine Erneuerung von Wirtschaft und Konjunktur im Zeichen einer neuen Bio- und Energiepolitik ist ebenso undenkbar wie vor vierzig Jahren der Rückzug der Amerikaner aus Vietnam. Damals begann das Jahr mit einer Einladung der nunmehr auch von uns gegangenen Eartha Kitt ins Weiße Haus, die eben diesen Rückzug forderte. Es endete mit der Tet-Offensive der Vietcong, zu der drei weiße Astronauten um den Mond herum flogen, mit 5682 Kilometern in der Stunde, ohne Kontakt zur Erde. "See you on the other side", der denkwürdige Spruch von Bill Anders inspirierte nicht nur Pink Floyd. Denn die andere Seite des Mondes war nicht nur immer dunkel. "Es war im Jahre 1886, als der deutsche Pharmakologe Louis Lewin die erste systematische Arbeit über den Kaktus veröffentlichte, der seinen Namen, Anhalonium Lewinii tragen sollte", schrieb Aldous Huxley 1954 über die andere Seite.

*** Auch Harold Pinter ist gestorben und Alan Cox hat Red Hat verlassen. Beiden Briten habe ich früher schon ein paar Worte gewidmet. Der grandiose Text von Pinter über die Show der Vereinigten Staaten im Irak kann heute noch gelesen werden, doch die Zukunft für Nobels Preise ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Übrig bleibt eine ziemlich undankbare Aufgabe. "Blicken wir in einen Spiegel, dann halten wir das Bild, das uns daraus entgegensieht, für akkurat. Aber bewegt man sich nur einen Millimeter, verändert sich das Bild. Wir sehen im Grunde eine endlose Reihe von Spiegelungen. Aber manchmal muss ein Schriftsteller den Spiegel zerschlagen – denn von der anderen Seite dieses Spiegels blickt uns die Wahrheit ins Auge."

Was wird.

Wohlan, die Rückblicke werden zum guten Schluss gezäumt, doch mit den Vorschauen und Prognosen habe ich meine Probleme. Ich mag noch akzeptieren, dass 2009 der Niedergang der CES bevorsteht, die wie Comdex, Milia, Brainshare oder Apple Expo ihre Zeit gehabt hat. Etwas schwieriger wird es schon, zum nächsten Jahr den Untergang der Betriebssysteme zu prognostizieren. Eher tippe ich darauf, dass 2009 die 500. Ausgabe des WWWW erblicken wird. Was aber nicht besonders prophetenhaft sein soll, denn dies hier ist Nummer 477. Ach, hätte ich ein E-Book, so würde ich es mit all diese Wochenschauen füttern und vielleicht noch jenen köstlichen kleinen Text beimischen, der über eine Zeit erzählt, als sich die Heldenherzen mit Boxhandschuhen prügelten und James Joyce Arno Schmidt K.O. schlug und mit der Siegesprämie seine Augen operieren lassen konnte.

Meine alten Augen aber taugen nicht zum Blick in die Kristallkugel. Als Hommage an die untergehende Welt des Web 2.0 mit ihrem "andere arbeiten lassen", die einstmals sogar Hal 2.0 möglich werden ließ, rufe ich die WWWW-Leser auf, ihre Prognosen zum kommenden Jahr zu nennen, auf dass der Jahresrückblick auch ein Produkt der klugen Köpfe ist, die hinter dem Forum stecken oder so. Dazu passend die Musik zum neuen Jahr: History Repeating. Ja, genau. (Hal Faber) / (jk)